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407 EU-Abgeordnete haben für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gestimmt - darunter nur drei Österreicher, und die sind noch dazu aus drei Fraktionen. Was hat Swoboda, Resetarits und Karas zum Ja bewogen?

Othmar Karas hat ein Buch von Kardinal König vor sich liegen - einige Seiten sind eingemerkt. Er habe wieder einmal darin gelesen, sagt er. Während des Gesprächs wird er ein paarmal das Buch aufschlagen und aus Königs Reden zitieren, dort wo dieser von den verschiedenen Wurzeln Europas spricht und den aus einer klaren Position heraus erwachsenen Dialog einfordert. Und nach dem Interview wird Karas zur Abstimmung in das Plenum des Europaparlaments gehen und für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stimmen - als einziger EU-Abgeordneter der Volkspartei, als einer von drei Österreichern in Straßburg. Warum? "Weil ein Verhandlungsbeginn für beide Seiten mehr Positives bewirken wird als ein Nein - und weil die letzte Entscheidung nach wie vor bei uns bleibt."

"Kein Fahnderl-Schwinger"

Die Abstimmung ist vorüber: 407 Abgeordnete haben für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gestimmt, 262 dagegen - sind Sie jetzt glücklich, Herr Swoboda? "Ich gehöre nicht zu den Fahnderl-Schwingern und Taferl-Hebern", dämpft der SPÖ-Abgeordnete sogleich alle Erwartungen auf einen Gefühlsausbruch: "Es war eine klare Entscheidung, die vielen Gegenstimmen sind jedoch ein deutlicher Hinweis auf die nach wie vor offenen Fragen." Swoboda gehört zu den Skeptikern unter den Befürwortern. Trotzdem hat er sich letztlich zu einem Ja durchgerungen, als einziger in der SPÖ-Delegation, als einer von drei Österreichern in Straßburg. Warum? "Weil die EU mit einer geänderten Türkei stärker wird."

"Zuwenig Visionen"

Karin Resetarits ist am Tag der Türkei-Abstimmung im EU-Parlament in Feierstimmung: Resetarits hat am 15. Dezember Geburtstag. Nach der Abstimmung ärgert sie sich, dass es in Österreich an Menschen fehle, "die aufklärerisch wirken", dass es "kaum mehr Persönlichkeiten gibt, die Visionen haben und diese in der Öffentlichkeit vertreten". Resetarits ist Mitglied im EU-Türkei-Ausschuss. Nach Treffen mit regierungskritischen türkischen Gruppen, die "unisono einen EU-Beitritt befürworten", stand für sie fest, mit einem Ja für die Verhandlungen zu stimmen - im Gegensatz zum Namensgeber ihrer Liste, Hans-Peter Martin, als eine von drei Österreichern in Straßburg.

Trojanisches Pferd Türkei?

In der Türkei erlebte Resetarits eine Begeisterung für Europa, "von der wir lernen können". Dass nicht alles eitel Wonne in den EU-Türkei-Beziehungen ist, bekam sie zu spüren, als der türkische EU-Botschafter ein Gespräch mit dem Frauenausschuss im Europaparlament kurzfristig abgesagt hat, seine Vertreterin konkrete Aussagen verweigerte: "Doch nur weil ein paar Diplomaten verzopft sind, kann man doch nicht den Reformprozess in der Türkei gefährden."

Verzopft sind für Hannes Swoboda jene Argumente, wonach sich die USA am meisten über eine EU-Türkei freuen: "Das ist spätestens seit dem Irak-Krieg Schnee von gestern, die Türkei ist kein trojanisches Pferd." Und mittel- und langfristig werden die Unionsländer über einen "maßvollen Zuzug junger Kräfte" aus der Türkei froh sein, ist Swoboda überzeugt. "Sehr, sehr schade" findet er es nur, dass es die österreichische Politik nicht verstanden habe, die aus der Monarchie herrührende vorbildliche Anerkennung von Muslimen in Österreich auch in Europa als Modell zu etablieren.

Würde jetzt über einen EU-Beitritt der Türkei abgestimmt, wäre er dagegen, sagt Karas: "Weder Türkei noch EU erfüllen heute die Kriterien." Karas lehnt auch jeden Automatismus in den Verhandlungen ab: "Das Regelwerk der EU bietet da genügend Sicherheit." Aber, so Karas: "Heute die Tür für die Türkei zuzuschlagen, ist keine tagespolitische, sondern eine tagespopulistische Entscheidung - und sie wäre falsch."

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