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Nicht der alten Lissabon-Strategie nachtrauern, sondern mit Lissabon-neu durchstarten - darauf hat sich die EU-Bürokratie in Brüssel geeinigt und das soll vor allem in einer Verhaltensänderung zum Ausdruck kommen: weniger Worte, weniger Versprechungen, mehr Taten.

Bis zum Jahr 2010, haben sich die Staats-und Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem letztwöchigen Gipfeltreffen in Brüssel verpflichtet, wollen sie zehn Millionen zusätzliche Jobs schaffen. Eigentlich brauchen sie sich aber in den nächsten paar Jahren nur mehr um neun Millionen neunhundertneunundneunzigtausendneunhun-dertneunundneunzig Arbeitsstellen bemühen - einen Job haben sie bereits bei ihrem Treffen letzten Donnerstag zuwege gebracht:

Vincent Galand hat ihn bekommen, Vincent Galand kehrt die Straße neben dem eu-Ratsgebäude in Brüssel - dort, wo der Bau eines weiteren Ratsgebäudes viel Staub aufwirbelt. Vincent Galand mag die eu, weil wegen der eu viel gebaut wird in Brüssel, weil er dadurch wieder einen Arbeitsplatz gefunden hat und das, obwohl er mit seinen 56 Jahren schon gar nicht mehr daran glauben wollte.

EU in die Champions-League

Aber lieber als die eu mag Vincent Galand seinen Fußballklub rsc-Anderlecht: Einen Schal in den Vereinsfarben violett-weiß hat er bis knapp unter den Augen um sein Gesicht geschlungen - "Anderlecht ist spitze!" sagt er; und damit hat er Recht: Auch wenn es schlussendlich nicht ganz gereicht hat, Anderlecht hat es dorthin geschafft, wo die eu hin will - in die Champions-League.

Ende März 2000 setzten sich die eu-Staats-und Regierungschefs das ambitionierte Ziel, bis 2010 "die Union zum wettbewerbfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen" - genau sechs Jahre später stehen die eu-Verantwortlichen vor den Scherben ihrer Lissabon-Strategie.

Neu heißt bescheidener

Anstelle von Lissabon alt wird dieser Tage in Brüssel für die "neue Lissabon-Strategie" geworben: Lissabon in der Form von 2006 kommt vor allem bescheidener daher als sein Milleniums-Vorgänger: "Wir haben schon so viele Prozesse, wir brauchen nichts Neues mehr erfinden", sagt eu-Kommissions-Vizepräsident Günter Verheugen, "was wir brauchen, ist ein Gipfel der Konkretisierungen." - "Taten statt Worte", bringt der eu-Parlamentarier Othmar Karas den Strategien-Überfluss und-Frust auf den Punkt; und die für Kommunikation zuständige eu-Kommissarin Margot Wallström gibt die Order "so konkret wie nur möglich" aus - wobei sie umgehend im Gespräch mit der Furche eingesteht, dass es "verdammt schwer ist", einen institutionellen Koloss in der Größe und Aufgabenvielfalt der Europäischen Union den Bürgerinnen und Bürgern nahe zu bringen, wo doch "die Themenpalette von Wurstrezepten bis hin zum Frieden in Nahost reicht".

Keine Luft-Schlösser mehr

Es hat dieser Tage in Brüssel den Anschein, als hätten die Europa-Politiker und-Beamten mittlerweile schon selber genug von den pompösen Ansagen der Union und den darauf folgenden bescheidenen Ergebnissen: "Weniger Worte, weniger Versprechen, mehr konkrete Resultate", wünscht sich sogar Michele Cercone, ein Sprecher der eu-Kommission und in seiner Funktion allein dafür angestellt, aus Luft Schlösser zu bauen und auch noch dem Nichts einen Anschein von Bedeutung und Großartigkeit zu verleihen.

Es hat dieser Tage auch den Anschein, als ob die Europaskepsis und die Europamüdigkeit der eu-Bürgerinnen und Bürger in Brüssel angekommen ist: Die jetzige Kommission hat es viel schwieriger als die vorige, wird geklagt. Die Prodi-Truppe konnte von einem historischen Paukenschlag zum nächsten eilen: Euro-Einführung, Osterweiterung ... - dem Barroso-Team bleiben jetzt nur mehr die Mühen der Ebene.

"Was nicht geht, geht nicht"

Und zu guter Letzt hat es in Brüssel dieser Tage den Anschein, als würde man sich mit der neuen Bescheidenheit arrangieren: "Machen wir das, was wir können - und was nicht geht, geht halt nicht", bekommt man genauso zu hören wie die Meinung: "Wir können die Mitgliedsstaaten zu nichts zwingen, wir können ihnen nur die Karotten vor die Nase halten - zubeißen müssen sie schon selber."

Nur richtig zugebissen wird halt immer weniger: beim eu-Budget nicht und auch nicht bei einem neuen Anlauf zum europäischen Verfassungsvertrag. Doch im eu-Brüssel regt das nicht mehr wirklich auf und auch Vincent Galand ist zufrieden: Die eu mag er, weil sie ihm einen Arbeitsplatz verschafft hat und in die Champions-League kommt er mit seinem Fußballklub rsc-Anderlecht.

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