Einfach geschluckt

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Kommt kein Erdbeben oder die Pest dazwischen, meint Romano Prodi, ist Tschechien 2004 in der EU. Der Zuspruch ist wichtig, denn die EU-Skeptik steigt.

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Kommt kein Erdbeben oder die Pest dazwischen, meint Romano Prodi, ist Tschechien 2004 in der EU. Der Zuspruch ist wichtig, denn die EU-Skeptik steigt.

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Hierzulande zerbrechen wir uns noch den Kopf, ob und wann denn die ungeliebte Osterweiterung kommen soll. Besonders beliebt in den Meinungsumfragen: "Sind Sie dafür oder dagegen? Bangen Sie um Ihren Arbeitsplatz? Glauben Sie an wirtschaftliche Vorteile durch den größeren Markt oder fürchten Sie sich vor der Ostmafia?"

Während also Österreich über diverse Verzögerungs- und Verhinderungsstrategien beziehungsweise besonders lange "Übergangsbestimmungen" nachdenkt und die Bevölkerung mit einer halbherzigen Informationskampagne von der Notwendigkeit der Erweiterung überzeugen will, ist unser nordöstlicher Nachbar, die Tschechische Republik, um einiges weiter.

Seit dem Besuch von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi im April dieses Jahres steht ein für beide Seiten verbindlicher Integrationsfahrplan mit dem Aufnahmedatum 2003 oder spätestens 2004 fest. Nachdem Prag im Zuge des sich derzeit zwischen den einzelnen Beitrittskandidaten abspielenden Konkurrenzkampfes sogar auf die bislang geforderte Übergangsklausel für das Recht von Ausländern auf Grunderwerb in Tschechien verzichtet hat und von EU-Seite keine schwerwiegenden Einwände gegen das Atomkraftwerk Temelin kamen, ist der Beitrittsprozess unumkehrbar geworden. Vorausgesetzt natürlich Tschechien ändert seinen wirtschaftlichen und politischen Kurs nicht grundlegend und hält weiter an den Reformen vor allem im Justiz-, Gesundheits- und Umweltbereich fest.

Prodi auf der Pressekonferenz mit Milos Zeman wörtlich: "Es müsste schon ein Erdbeben oder die Pest dazwischen kommen, sonst wird die Erweiterung 2004 stattfinden." Jetzt gilt es für Prag möglichst optimale Aufnahmebedingungen mit der EU auszuverhandeln. Dass Prodi zuerst mit Tschechien Gespräche geführt hat ist nicht zufällig. Die Tschechische Republik kann relativ gute Wirtschaftsdaten und eine niedrige Arbeitslosenrate vorweisen, außerdem hat das Land eine im EU-Vergleich kaum nennenswerte Größe. Tschechien wird von der EU einfach "geschluckt" - ein Musterbeispiel an gelungener Integration (oder sollen wir es besser Assimilation nennen?).

Alternativen zur EU Prodi wollte mit seinem Besuch und der damit einhergehenden Terminfixierung auch der allgemein zunehmenden EU-Skepsis in den mittel- und osteuropäischen Ländern, vor allem in Tschechien, zuvorkommen. Mehrmals verschobene Beitrittsdaten, wechselnde Kreise der Aufnahmeländer und monströs lange Übergangsbestimmungen haben nicht nur, aber auch in Prag sehr viel böses Blut gegenüber der EU erzeugt.

Die ODS (Demokratische Bürgerpartei) unter der Führung des früheren Regierungschefs Vaclav Klaus, die 1997 den EU-Beitrittsantrag eingebracht hat, tritt mittlerweile immer mehr EU-kritisch auf und entwirft Alternativszenarien zu einem EU-Beitritt. Eine Stärkung der Visegrad-Allianz beziehungsweise der CEFTA (Central European Free Trade Association), dem politischen und wirtschaftlichen Bündnis mittel- und osteuropäischer Staaten, wird von der ODS genauso propagiert, wie eine stärkere Anbindung an die Nato und die USA. Im Vorfeld der im nächsten Jahr stattfindenden tschechischen Wahlen ist dem nicht sehr viel Gewicht beizumessen, doch schon die Tatsache, dass über den EU-Beitritt ein Plebiszit abgehalten werden soll, birgt viel Gefahr in sich.

Eine gelungene Plakatwerbekampagne zeugt davon, dass sich die Tschechen schwejksche Seitenhiebe zum Thema "Acquis Communautaire" (EU-Beitrittsanforderungen) nicht verkneifen können. Auf den Plakaten ist eine zu Ende gehende Klopapierrolle zu sehen. Der Kommentar zu dem Bild lautet: "Jede Klopapierrolle muss einen Meter vor ihrem Ende eine sichtbar angebrachte Warnung haben - dies legt eine EU-Richtlinie fest. Stimmt das - ja oder nein?" Die Reaktionen der Tschechen waren verschieden, manche blieben stehen und lachten amüsiert, andere regten sich fürchterlich darüber auf, was sich denn die EU nicht schon wieder ausgedacht hat. Zu oft noch nehmen die Tschechen die EU als eine Institution wahr, die ihnen etwas verbieten will, zum Beispiel die typische Essigwurst und die Olmützer Quargeln oder gar das heilige quersubventionierte Bier.

Doch es geht nicht bloß ums Essen und Trinken. Die meiste Angst unter den Tschechen herrscht vor der wirtschaftlichen und politischen Dominanz Deutschlands. Daran ändert auch die von Österreichs Außenministerin Benita Ferrero-Waldner ins Leben gerufene und in Mittel- und Osteuropa nicht unumstrittene "strategische Partnerschaft" mit Österreich nicht viel. Neben Polen, der Slowakei, Ungarn und Slowenien nimmt auch Tschechien teil. Eine strategische Partnerschaft mit Österreich hat aber in allen diesen Ländern einen faden Beigeschmack, wird doch von vielen gerade Wien für die Verzögerungen in den Beitrittsverhandlungen und die zahlreichen Übergangsbestimmungen verantwortlich gemacht. Außerdem fürchtet Tschechien, dass sich Österreich in das bis dato koordinierte Vorgehen und Auftreten der Visegrad-Staaten gegenüber der EU hineindrängen könnte. Es war einmal, dass man sich in Tschechien am gutem alten Österreich orientiert hat. Jetzt ist die Zeit, wo man den rosaroten Reden österreichischer Politiker geglaubt hatte, längst vorbei.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Österreich und Tschechien.

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