"Wir sind keine Bürger 2. Klasse"

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Erwarten Sie nicht, dass wir unbedingt in eine solche EU wollen!" Der frühere tschechische Arbeits- und Sozialminister Milan Horalek macht keinen Hehl aus der grassierenden und zunehmenden EU-Skepsis in seinem Land. Würde morgen in Tschechien das Referendum zum EU-Beitritt des Landes stattfinden, wären nur mehr rund 44 Prozent der Bevölkerung für diesen Schritt, ist sich Horalek gewiss. Die Zeiten, in denen Tschechien ohne Wenn und Aber in die EU wollte, seien vorbei. Nur eine "riesige Überzeugungskampagne" könne eine Trendumkehr einleiten, meint er.

Die Schuld an dieser Situation gibt Horalek jener "verrückten Politik" in den EU-Staaten, die den Menschen in den Beitrittsländern den Eindruck vermittle, sie seien "Bürger 2. Klasse". Hinzu kommt, dass viele verantwortungslose Politiker in den Ländern Mittel- und Osteuropas - auch in Tschechien - dieses Unbehagen gegenüber der Union für eigene Zwecke auszuschlachten versuchen.

Horalek war einer der Vortragenden bei der Konferenz "Sozialstandards in Europa. Im Dialog mit den Beitrittsstaaten", die von der Politischen Akademie gemeinsam mit dem Karl-Kummer-Institut in Wien veranstaltet wurde. Und der Minister der ersten Stunde der demokratischen Tschechoslowakei findet klare Worte, mit denen er seine "große Enttäuschung über die gegenwärtige österreichische Politik" ausdrückt. Wie Österreich in den Fragen rund um die Benes-Dekrete oder das AKW-Temelin agiere, zeuge jedenfalls nicht von "politischer Klugheit". In Österreich und Tschechien soll wieder mehr das gesucht werden, "was uns vereinigt", propagiert Horalek. Jedenfalls soll Schluss mit dieser "schmutzigen Politik voller Ideologie" sein.

Die Migration von arbeitssuchenden Tschechen nach Österreich wird, laut Minister a.D., auch nach dem EU-Beitritt seines Landes kein Problem darstellen. Österreich liege bei den Tschechen als Migrationsziel erst an fünfter Stelle. "Die Jugend lernt Englisch, nicht mehr Deutsch", nennt Horalek einen weiteren Indikator, der bestätigen soll, dass Österreich in tschechischen Augen kein Wunderland mehr ist. Derzeit arbeiten rund 3.500 Tschechen in Österreich, rechnet Horalek vor, aber Österreicher haben in Tschechien 3.000 Firmen gegründet, in denen sie arbeiten. Die Bilanz sei also ziemlich ausgeglichen.

Horalek beklagt auch dass Tschechien nach der Wende "vor allem die negativen Seiten der Konsumgesellschaft: Kriminalität, Mafia, ... abbekommen habe", an denen das Land nach wie vor leidet. Bezüglich den Anforderungen des EU-Beitritts meinte der Ex-Sozialminister, dass die Erfüllung der Sozialstandards für sein Land das "leichteste Kapitel darstellte". Um einiges schwieriger seien da schon die ökologischen Anforderungen, die die EU an Tschechien stellt.

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