"Ich erwarte viel von Österreich"

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Der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im polnischen Senat über das Spannungsfeld Polen - Österreich Europäische Union.

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Der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im polnischen Senat über das Spannungsfeld Polen - Österreich Europäische Union.

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dieFurche: Herr Bartoszewski, was erwarten Sie - als langjähriger Freund Österreichs, als einer der führenden polnischen Politiker und Intellektuellen - vom EU-Vorsitz Österreichs?

Wladyslaw Bartoszewski: Diese Frage kann man auf verschiedene Art beantworten - höflich oder sachlich. Höflicherweise kann ich sagen, gerade weil ich als Freund Österreichs bekannt bin, daß ich sehr viel erwarte. Ich hätte gerne ein aktives Engagement Österreichs für die Beschleunigung der Beitrittsgespräche. Wir haben mit den Gesprächen im März begonnen, die Präsidentschaft Österreichs kommt in dem Moment, da die Gespräche intensiv geführt werden. Ich meine, daß - auch wenn das nicht alle Österreicher verstehen - Österreich viel stärker an der Osterweiterung interessiert sein sollte - aus historischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen. Sachlich sehe ich, daß sehr viele Bürger Österreichs nicht überzeugt sind, daß die EU-Osterweiterung im Interesse des Landes liegt. Alle Umfragen beweisen, daß Österreich bei den Befürwortern der Osterweiterung ganz hinten liegt. So gesehen erwarte ich also viel weniger als ich logischerweise und auch gefühlsmäßig erwarten könnte.

dieFurche: Haben Sie den Eindruck, daß die österreichische Politik sich zu sehr von der Stimmung in der Bevölkerung in der Frage der Osterweiterung leiten läßt?

Bartoszewski: Ja, ich fürchte, daß das so ist. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der prinzipiellen Meinung der politischen Klasse einerseits und der konkreten Bereitschaft zur praktischen Umsetzung dieser edlen und hohen Ziele. Ich sehe besonders, daß zumindest zwei Bundesländer - Niederösterreich und Burgenland - große Ängste vor der Erweiterung haben. Aber ich hoffe und glaube, daß die Aufklärungs- und Bildungsarbeit der österreichischen Medien hier bei der Bevölkerung etwas bewirken kann. So hat etwa die Zusammenarbeit Österreichs mit den Visegrad-Ländern (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) in den Jahren 1994 bis 1997 41.000 neue Arbeitsplätze in Österreich gebracht. Das ist eine konkrete Angabe. Oder: Laut WIFO ist der österreichische Export in diese Länder von 1989 bis 1996 von 18,9 Milliarden auf 58,9 Milliarden Schilling gestiegen.

dieFurche: Das sind natürlich abstrakte Zahlen. Einem Arbeiter, dessen Arbeitsplatz jetzt schon ständig bedroht ist, dem sind diese Zahlen relativ egal. Was soll man diesen Leuten sagen, um ihnen die Angst vor der EU-Erweiterung zu nehmen?

Bartoszewski: Ich kenne die psychologischen Probleme der Bevölkerung sehr gut, im übrigen gibt es das auch in Polen: Es gibt auch bei uns sehr viele Leute, die vor der EU Angst haben, die der Meinung sind, wir würden dann von fremdem Kapital überflutet, gierige Ausländer würden bei uns massenweise Boden aufkaufen und dergleichen mehr. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß Österreich eine der niedrigsten Arbeitslosenraten in Europa hat, daß weiters unsere Arbeitslosenrate in Polen niedriger ist als die deutsche. Umfragen zeigen, daß es nicht mehr als 60.000 Polen sind, die ein - auch nur prinzipielles - Interesse an einer Arbeit in Österreich nach einem EU-Beitritt Polens haben.

dieFurche: Würden Sie so weit gehen, von einer Kursänderung in der österreichischen Außenpolitik in bezug auf die Osterweiterung gegenüber früheren Jahren zu sprechen?

Bartoszewski: Nein, von einer Kursänderung nicht, aber von einer Rücksicht auf die Stimmung der Wähler. Ich muß sagen, ich bin zum Beispiel ein bißchen enttäuscht vom niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll, denn ich persönlich kenne und sehr schätze und der sicher einer der begabtesten Politiker seiner Partei und einer der führenden Politiker Österreichs ist. Pröll hat schon mehrmals seine Zweifel hinsichtlich der Osterweiterung geäußert. Zuerst haben wir gedacht, er sagt das nur vor den niederösterreichischen Landtagswahlen. Nun sind die Wahlen aber vorbei, er hat dazugewonnen, ist damit auch politisch stärker geworden, aber er bleibt bei seiner Skepsis. Andererseits: wenn ich mit dem österreichischen Außenminister zu tun habe, mit Wolfgang Schüssel, mit dem ich befreundet bin, dann sehe ich überhaupt keine Schwierigkeiten beim Dialog unserer Länder.

dieFurche: Es war zuletzt von Schwierigkeiten zwischen der EU und Polen zu hören: es ging um Projekte, für die EU-Gelder gestrichen worden sind; und im Zusammenhang damit wurden auch grundsätzliche Probleme thematisiert: so hieß es, der Reformprozeß in Polen lasse - entgegen der Sonntagsreden der Politiker - zu wünschen übrig; es wurde kritisiert, daß der polnische Präsident Kwasniewski ungeachtet einer künftigen Mitgliedschaft Polens trotzdem der Ukraine weiter offene Grenzen zugesagt habe...

Bartoszewski: Zunächst zur Kürzung der Gelder aus dem PHARE-Programm (Programm zur Unterstützung der Reformstaaten, Anm.): es sind 15 Prozent weniger als wir uns vorgestellt haben, Brüssel signalisierte in etlichen Fällen, daß von uns eingereichte Projekte nicht direkt Vorbereitung auf den EU-Beitritt dienen. Da gibt es unterschiedliche Sichtweisen, aber das ist keine Tragödie. Die Gelder sollen überdies in anderer Weise den Beitrittskandidaten zugute kommen. Es kann auch nur das Vertrauen der Mitglieder in die Union stärken, wenn sie sehen, daß mit den Geldern für die Beitrittskandidaten sehr sorgfältig umgegangen wird. Was die Ukraine angeht, so hat das eine ganz andere Dimension. Ich möchte Österreich darauf aufmerksam machen, daß gerade die Österreicher eine besondere historische Beziehung zur Ukraine haben. Die Vorstellungen der ukrainischen Eliten von Europa sind an Polen und Wien geknüpft, nicht an Lissabon oder Paris.

dieFurche: Aber dennoch bleibt bestehen, daß Polen als künftiges EU- und auch Schengen-Mitglied gemäß dem Schengener Abkommen die Ostgrenze dieses Schengenraumes doch ziemlich gut absichern müßte.

Bartoszewski: Das liegt schon im polnischen Interesse. Wir haben die Visum-Pflicht eingeführt, das heißt aber nicht, daß wir nicht die eine oder andere Erleichterung schaffen wollen. Vergessen Sie nicht, wir haben 800.000 Polen in der Ukraine, wir haben 500.000 Polen in Weißrußland. Die sind nicht dort angesiedelt worden, die haben dort jahrhundertelang gelebt und sind durch die Verschiebung der Grenze jetzt eben in einem anderen Land. Hier liegt eine Problematik, die sehr viel Fingerspitzengefühl verlangt. Das ist das Grundsätzliche, eine andere Sache ist die Praxis. Da geht es darum einen goldenen Mittelweg zu finden, sodaß die Leute nicht ganz abgekapselt bleiben und Polen die Rolle der Brücke spielen kann. Im übrigen ist natürlich die Ukraine ein Land, das sehr viel Nachholbedarf hat. Aber wer sagt, daß die Ukraine in 20, 30 oder 40 Jahren nicht NATO-Mitglied sein wird - und Österreich vielleicht nicht?

dieFurche: In der FAZ ist dieser Tage ein langer Artikel über Polen unter dem Titel "Schon auf dem absteigenden Europa-Ast?" erschienen. Die Gefahr, daß der Reformprozeß im wirtschaftlichen und strukturellen Bereich stagniere und daß das nur in politischen Sonntagsreden übertüncht werde, die sehen Sie nicht?

Bartoszewski: Nun, die wirtschaftliche Stabilität ist gegeben, wir rechnen damit, die Inflationsrate weiter senken zu können, auf weniger als zehn Prozent jährlich. Sie können in Polen Schillinge wechseln und einige Zeit später wieder zurückwechseln, praktisch ohne Verluste - das ist eine Situation der Stabilität. Trotzdem ist es gut, daß der FAZ-Korrespondent auf die Probleme hingewiesen hat. Daß viele Gesetze schon auf EU-Niveau sind, aber daß es noch an den entsprechenden Durchführungsvorschriften fehlt, daß es Probleme in der Verwaltung gibt und verschiedenes mehr. Aber es sagt ja auch niemand, daß wir in zwei Jahren Mitglied der Union sein werden. Ein realistischer Termin ist für mich 2002, 2003. Falls unsere Öffentlichkeit dafür sein wird, was nicht ganz sicher ist. Aber wir werden sehen, ich bin der Meinung, daß das, was die Polen in acht Jahren erreicht haben, enorm viel ist.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

Zur Person Langjähriger Freund und Kenner Österreichs Wladyslaw Bartoszewski, geboren 1922 in Warschau, ist Österreich - und im besonderen der Furche - seit Jahrzehnten verbunden. Der katholische Intellektuelle und Politiker war - 1940/41 Häftling in Auschwitz, 1946 bis 1948 und 1949 bis 1954 wegen angeblicher Spionage sowie 1981/82 als Mitglied der Solidarno's'c interniert - von 1990 bis 1995 polnischer Botschafter in Wien und 1995 auf Vorschlag des damaligen Staatspräsidenten Lech Walesa Außenminister unter dem postkommunistischen Premier Jozef Oleksy. Heute ist Bartoszewski Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Europäische Integration im Senat, dem Oberhaus des polnischen Parlaments. Zu ersten Kontakten mit der Furche kam es im Jahr 1963 unter dem damaligen Chefredakteur Kurt Skalnik. In der Furche erschien auch der erste Artikel einer österreichischen Zeitung über Bartoszewski. Autor war ein gewisser hfm - Horst F. Mayer.

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