7038749-1990_08_01.jpg
Digital In Arbeit

Prüfung für Polen

Werbung
Werbung
Werbung

Den Polen wird mulmig im Haus Europa, wie es derzeit konkret in Planung ist. Die geopolitische Lage zwischen einer Supermacht und -wenn das eine Deutschland wahr werden soll - einer neuen europäi­schen Großmacht zwingt den ums wirtschaftliche Überleben kämp­fenden Staat, auf vermehrte Mitbe­stimmung bei der Konstruktion des neuen Europas zu pochen.

Auf der einen Seite zittert Polen um seine Energieversorgung. Soll­te im Sowjetstaat das nationale Chaos ausbrechen, wird es keine Strom- und Erdgaslief erung aus der

UdSSR mehr geben. Angesichts dieser Aussichten soll Algerien Warschau Erdgaslieferungen ange­boten haben. Aber wie und über welche Pipeline?

Auf der anderen Seite fürchtet man sich im Land an der Weichsel vor den Auswirkungen der deutsch­deutschen Vereinigung. Konkret geht es um die völkerrechtliche Anerkennung der seit dem Zweiten Weltkrieg geltenden Oder-Neiße-Grenze. Die halbherzigen politi­schen Erklärungen von Bundes­kanzler Helmut Kohl zur Unver­letzlichkeit der polnischen West­grenze haben Warschau nicht zu­friedengestellt. Hans Modrows klares Bekenntnis Ost-Berlins zur Oder-Neiße-Grenze vergangene Woche in Polens Hauptstadt hat zwar Genugtuung ausgelöst - aber wie bemerkte ein politischer Beob­achter so schön zur FURCHE? „Ministerpräsidenten wechseln, das Volk aber bleibt."

Überzeugend klingt, was viele Gesprächspartner in Warschau heute über ein künftiges vereinig­tes Deutschland sagen: „Polen ist seit 123 Jahren geteilt gewesen, daher sollte Polen nicht dagegen sein, wenn die Deutschen die Ein­heit suchen." Der langjährige Be­rater des polnischen Primas Jözef Glemp, der Publizist Andrzej Mi-cewski, glaubt, daß nur sehr wenige Polen gegen die deutsche Vereini­gung sind. „Für uns war die Tei­lung die schlimmste Zeit, daher dürfen wir den Deutschen nicht die ewige Teilung wünschen." Ähnlich argumentiert auch Slawo-mir Siwek, Chefredakteur der Wo­chenzeitung „Tygodnik rolnik Solidarnoäd": „Die Deutschen ha­ben ein Recht auf Einheit."

Verunsichert sind die Polen durch Äußerungen Westdeutscher Uni­onspolitiker, wonach die Grenzen Deutschlands von 1937 Ausgangs­punkt der Diskussion mit Polen nach der Vereinigung Deutschlands sein sollen. Für Polen klingen ge­wisse christdemokratische Feststel­lungen wie eine Infragestellung der polnischen Westgrenze.

Deswegen verlangt jetzt auch die Regierung Mazowiecki eine Art Beteiligung Polens an der geplan­ten Vier-Mächte-Konferenz mit den beiden deutschen Staaten über die künftige Gestalt Deutschlands. „Darin", so Mazowiecki , „unter­stützt die polnische Gesellschaft hundertprozentig diese Regierung."

Es geht bei dieser Forderung jedoch nicht darum, Polen quasi als fünfte Macht über das Schicksal Deutschlands mitentscheiden zu lassen. Wohl möchte man aber dabei sein, wenn auf dieser Konferenz Grenzfragen zur Sprache kommen.

Rußland als Schutzmacht wird immer schwächer, das Sowjetreich ist vom Zerfall bedroht. „Wir schau­en nicht auf die Linie mit den Rus­sen gegen die Deutschen", betont Mazowiecki, „das ist eine alte na­tional-demokratische Option, wir meinen, daß man die deutsche Fra­ge innerhalb der europäischen lö­sen muß."

Und gerade hier haben sich die Gewichte verschoben. Deutschland gibt so forsch den Ton in Europa an, daß die (west)europäische Einigung, Festigung und Vertiefung der EG als Voraussetzung für weitere Inte­grationsprozesse, ins Hintertreffen gerät. Auch Österreichs neuer Bot­schafter in Warschau, Gerhard K. Wagner, konstatierte im Gespräch mit der FURCHE eine „Umkeh­rung" der ursprünglichen Idee, erst Europa, dann Deutschland.

Polens realistischer Außenmini­ster Krzysztof Skubiszewski glaubt daher, die Sowjettruppen vorläufig noch zu brauchen - auch wenn man Polens antirussische Stimmung von vielen Häuserwänden ablesen kann. Denn erstens braucht die Sowjet­union schon wegen der eigenen Truppen in der DDR die Kommuni­kationswege und zweitens weiß man im Außenamt, daß Polen so lange nicht auf die Anwesenheit der Sowjettruppen wird verzichten können, bis ein blockfreies Haus Europa errichtet wird. „Erst wenn wir dieses Haus haben, was ein Gleichgewicht der Kräfte bedeuten muß, können wir an die UdSSR mit der Bitte herantreten, ihre Truppen abzuziehen," betont Mazowiecki.

Jetzt stehen Polen und Deutsche vor einer Prüfung der nachbarli­chen Brüderlichkeit. Mazowiecki befürchtet, daß beide Völker - trotz der Versöhnungsarbeit vor allem seitens der katholischen Kirche beider Länder - nicht genügend darauf vorbereitet sind.

Es gilt jetzt diese Versöhnungs­arbeit zu forcieren, die beiden Völ­ker auf die neue Situation vorzube­reiten, damit - wie es sich die Polen wünschen - „kein Schatten einer Supermacht die europäischen Ver­hältnisse mehr beeindrucken kann " (Mazowiecki).

Die Ideallösung für viele Polen wäre ein neutrales Deutschland in einem blockfreien Europa vom Atlantik bis zum Ural.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung