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Prüfung für Polen
Den Polen wird mulmig im Haus Europa, wie es derzeit konkret in Planung ist. Die geopolitische Lage zwischen einer Supermacht und -wenn das eine Deutschland wahr werden soll - einer neuen europäischen Großmacht zwingt den ums wirtschaftliche Überleben kämpfenden Staat, auf vermehrte Mitbestimmung bei der Konstruktion des neuen Europas zu pochen.
Auf der einen Seite zittert Polen um seine Energieversorgung. Sollte im Sowjetstaat das nationale Chaos ausbrechen, wird es keine Strom- und Erdgaslief erung aus der
UdSSR mehr geben. Angesichts dieser Aussichten soll Algerien Warschau Erdgaslieferungen angeboten haben. Aber wie und über welche Pipeline?
Auf der anderen Seite fürchtet man sich im Land an der Weichsel vor den Auswirkungen der deutschdeutschen Vereinigung. Konkret geht es um die völkerrechtliche Anerkennung der seit dem Zweiten Weltkrieg geltenden Oder-Neiße-Grenze. Die halbherzigen politischen Erklärungen von Bundeskanzler Helmut Kohl zur Unverletzlichkeit der polnischen Westgrenze haben Warschau nicht zufriedengestellt. Hans Modrows klares Bekenntnis Ost-Berlins zur Oder-Neiße-Grenze vergangene Woche in Polens Hauptstadt hat zwar Genugtuung ausgelöst - aber wie bemerkte ein politischer Beobachter so schön zur FURCHE? „Ministerpräsidenten wechseln, das Volk aber bleibt."
Überzeugend klingt, was viele Gesprächspartner in Warschau heute über ein künftiges vereinigtes Deutschland sagen: „Polen ist seit 123 Jahren geteilt gewesen, daher sollte Polen nicht dagegen sein, wenn die Deutschen die Einheit suchen." Der langjährige Berater des polnischen Primas Jözef Glemp, der Publizist Andrzej Mi-cewski, glaubt, daß nur sehr wenige Polen gegen die deutsche Vereinigung sind. „Für uns war die Teilung die schlimmste Zeit, daher dürfen wir den Deutschen nicht die ewige Teilung wünschen." Ähnlich argumentiert auch Slawo-mir Siwek, Chefredakteur der Wochenzeitung „Tygodnik rolnik Solidarnoäd": „Die Deutschen haben ein Recht auf Einheit."
Verunsichert sind die Polen durch Äußerungen Westdeutscher Unionspolitiker, wonach die Grenzen Deutschlands von 1937 Ausgangspunkt der Diskussion mit Polen nach der Vereinigung Deutschlands sein sollen. Für Polen klingen gewisse christdemokratische Feststellungen wie eine Infragestellung der polnischen Westgrenze.
Deswegen verlangt jetzt auch die Regierung Mazowiecki eine Art Beteiligung Polens an der geplanten Vier-Mächte-Konferenz mit den beiden deutschen Staaten über die künftige Gestalt Deutschlands. „Darin", so Mazowiecki , „unterstützt die polnische Gesellschaft hundertprozentig diese Regierung."
Es geht bei dieser Forderung jedoch nicht darum, Polen quasi als fünfte Macht über das Schicksal Deutschlands mitentscheiden zu lassen. Wohl möchte man aber dabei sein, wenn auf dieser Konferenz Grenzfragen zur Sprache kommen.
Rußland als Schutzmacht wird immer schwächer, das Sowjetreich ist vom Zerfall bedroht. „Wir schauen nicht auf die Linie mit den Russen gegen die Deutschen", betont Mazowiecki, „das ist eine alte national-demokratische Option, wir meinen, daß man die deutsche Frage innerhalb der europäischen lösen muß."
Und gerade hier haben sich die Gewichte verschoben. Deutschland gibt so forsch den Ton in Europa an, daß die (west)europäische Einigung, Festigung und Vertiefung der EG als Voraussetzung für weitere Integrationsprozesse, ins Hintertreffen gerät. Auch Österreichs neuer Botschafter in Warschau, Gerhard K. Wagner, konstatierte im Gespräch mit der FURCHE eine „Umkehrung" der ursprünglichen Idee, erst Europa, dann Deutschland.
Polens realistischer Außenminister Krzysztof Skubiszewski glaubt daher, die Sowjettruppen vorläufig noch zu brauchen - auch wenn man Polens antirussische Stimmung von vielen Häuserwänden ablesen kann. Denn erstens braucht die Sowjetunion schon wegen der eigenen Truppen in der DDR die Kommunikationswege und zweitens weiß man im Außenamt, daß Polen so lange nicht auf die Anwesenheit der Sowjettruppen wird verzichten können, bis ein blockfreies Haus Europa errichtet wird. „Erst wenn wir dieses Haus haben, was ein Gleichgewicht der Kräfte bedeuten muß, können wir an die UdSSR mit der Bitte herantreten, ihre Truppen abzuziehen," betont Mazowiecki.
Jetzt stehen Polen und Deutsche vor einer Prüfung der nachbarlichen Brüderlichkeit. Mazowiecki befürchtet, daß beide Völker - trotz der Versöhnungsarbeit vor allem seitens der katholischen Kirche beider Länder - nicht genügend darauf vorbereitet sind.
Es gilt jetzt diese Versöhnungsarbeit zu forcieren, die beiden Völker auf die neue Situation vorzubereiten, damit - wie es sich die Polen wünschen - „kein Schatten einer Supermacht die europäischen Verhältnisse mehr beeindrucken kann " (Mazowiecki).
Die Ideallösung für viele Polen wäre ein neutrales Deutschland in einem blockfreien Europa vom Atlantik bis zum Ural.
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