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Keine „Hitlerowcy“

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FURCHE: Im Sommer brachte die polnische Wochenzeitschrift „Po-lytika“ eine Reportage über die deutschen Oberschlesier. Die ganze Nation stand Kopf. Warum?

BLASIUS HANCZUCH: Wer es vor Jahren nur wagte, über die Existenz von Deutschen zu sprechen, der mußte mit Repressalien rechnen. Offizielle Daten sprechen von 2.700 Deutschen in ganz Polen. Und in diesem Klima berichtete „Polytjka“ auf einmal davon, daß sich in den letzten Monaten 22.000 Menschen in einer Petition zum Deutschtum bekannten. Das kam für die Polen ganz unerwartet.

FURCHE: Sie sind Mitbegründer der Bewegung „Deutscher Freund-schaftskreis“. Wen vertreten Sie, was sind Ihre Forderungen?

HANCZUCH: Der „Deutsche Freundschaftskreis“ wurde bereits 1985 ins Leben gerufen, doch man traf sich nur in Privatwohnungen, um sich Gedanken darüber zu machen, wie man als nationale Minderheit - in diesem Fall als deutsche - kulturelle Rechte einfordern könnte. Es waren schwere Zeiten, denn man mußte alles heimlich tun. Erst in den letzten Jahren veränderte sich das politische Klima, und seitdem Solidarnosc wieder legal und mittlerweile gar im Parlament und auf Regierungsebene führend vertreten ist, faßten wir den Mut, offen Minderheitenrechte zu fordern und um eine Kultur-Vereinigung anzusuchen. Seit neuestem steht jedem Bürger das Recht zu, einen Verein zu gründen - und das verlangen auch wir. Mit Erfolg, wie ich glaube. Etwa 200.000 Menschen haben sich bis heute unserer Bewegung angeschlossen, haben erklärt: Ja, wir sind Deutsche, wir sind keine Polen, als die wir uns bisher ausgaben, weil wir uns schämten, Deut-

sche zu sein.

FURCHE: Wie kam es, daß sich so plötzlich so viele Oberschlesier als Deutsche fühlten?

HANCZUCH: Die Oberschlesier fühlten sich nie als Polen. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte man sie zwar zu polonisieren, und in den großen Städten wie Katto-witz oder Oppeln gelang das auch, aber in den Dörfern fühlten sich die Schlesier als das, was sie sind: als Deutsche in Schlesien.

Die alte Generation war von den Kriegswirren vorbelastet. Es war ja Deutschland, das Polen den Krieg erklärte; also galten nach dem Krieg die Oberschlesier als Inbegriff des Bösen. Man beschimpfte uns als „Faschisten“, als „Hitlerowcy“ -und wir wußten uns dagegen nicht zu wehren. Viele Oberschlesier wurden vertrieben oder siedelten „freiwillig“ in die DDR und die Bundesrepublik um. Doch es wuchs auch eine neue Generation heran, die sich frei fühlte von den Vorwürfen der Polen.

FURCHE: Schweben Ihnen ähnliche Autonomierechte vor, wie sie derzeit für die Wolgadeutschen in der UdSSR im Gespräch sind?

HANCZUCH: Soweitkönnen wir gar nicht gehen. In der Sowjetunion erscheinen deutschsprachige Zeitschriften, gibt es Radioprogramme in deutscher Sprache. In Polen dagegen? Keine einzige deutschsprachige Zeitung, keine einzige Volkshochschule in Oberschlesien, auf der man Deutsch lernen könnte, keine Bibliotheken mit deutschsprachigem Buchbestand. Was wir als erstes zeigen wollen, ist: Wir lassen es nicht mehr zu, daß man uns leugnet. FURCHE: Deutsche unter Polen -ist das überhaupt noch möglich?

HANCZUCH: Ich bin zuversicht-

lich. Denn der Haß der polnischen Bevölkerung auf die deutsche Minderheit läßt nach. Seitdem sich Polen auf eine Demokratie hin entwickelt, erfahren die Menschen die geschichtliche Wahrheit. Sie erkennen, nicht nur Polen, auch Deutsche haben viel gelitten. Nicht nur Hitler, auch Stalin hat Zwietracht unter den Völkern gesät. Polen muß seine nationalen Minderheiten anerkennen, die Ukrainer, die Weißrussen und auch uns. Noch immer gewährt man uns keinen deutschen Kulturverein, noch immer will man mit uns nicht reden, weder die Kommunisten noch die katholische Kirche oder die Soli-darnosc-Bewegung.

FURCHE: Erwarten Sie Druck von Seiten der Bundesregierung auf die polnische Regierung, die deutsche Minderheit anzuerkennen?

HANCZUCH: Wir sind froh über den Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl in Polen. Aber wir wollen keinen Druck, wir wollen Verständnis auf beiden Seiten. Polen und Deutsche müssen zusammenfinden. Und eine deutsch-polnische Aussöhnung kann nicht gelingen, wenn man einfach eine Volksgruppe als solche negiert.

Es glauben auch manche Politiker in der Bundesrepublik, die Frage der deutschen Minderheit in Polen einfach übergehen zu können. Aber dieser Frage muß man sich Stellen, was nicht gleichbedeutend ist mit einer Revision der Oder-Neiße-Grenze. Ich betone: Wir sind deutsche Oberschlesier. Wir wollen in unserer Heimat weiterleben. Doch damit wir uns in der Heimat wohl fühlen können, fordern wir als nationale Minderheit Rechte: die Pflege der deutschen Kultur und Sprache.

Das Interview rührte Roland Hofwiler.

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