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Der alten Heimat treu

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Nadi den Englisch- und Französisch-Kana- diern sind die Deutsch-Kanadier die drittgrößte Volksgruppe in Kanada. Jedes Jahr wandern Tausende von deutschsprechenden Menschen aus, aus Deutschland, Oesterreich, aus den Sudetenlanden, aus den Ostgebieten und zum geringen Prozentsatz natürlich — auch aus der Schweiz. Der Durchschnittskanadier macht keinen großen Unterschied zwischen Deutschen und Oesterreichern, alles, was deutsch spricht, ist für ihn deutsch. Und wenn er von Oesterreich redet, so denkt er vor allem an Wien, das ihm der Inbegriff der Musik schlechthin ist. Denn es wird wohl keinen Oesterreicher geben, der populärer wäre als Johann Strauß, von dem im CBC, dem größten kanadischen Radiosender, mindestens einmal am Tag ein Werk gebracht wird.

Es ist selbstverständlich, daß sich die deutschsprechenden Menschen zusammenschließen, daß sie Vereine bilden, daß sie Zeitungen in deutscher Sprache herausgeben, daß sie deutsche Radiostunden veranstalten und so weiter.

Die deutschen Vereine in Toronto bestehen schon viele Jahre, und so wurde am 11., 12. und 13. September 1953 das 100jährige Bestehen deutscher Organisationen in Toronto mit großen Festlichkeiten gefeiert und gleichzeitig auch das 25jährige Namensfest des deutschen Vereines „Harmonie“, der der größte deutsche Verein in Toronto ist und gegen 2000 Mitglieder zählt. Der Verein „Harmonie“ hat verschiedene Untergruppen, so eine Frauengruppe, eine Musik- und Bühnengruppe, die vor allem aus eifrigen Amateurschauspielern und -Sängern besteht, eine Fußballgruppe, eine Schachgruppe,. dann vor allem einen Männergesangverein, der der eigentliche Kern des Vereines ist, eine Jagdgruppe, eine Abteilung für Geschäftsleute und noch andere kleinere Gruppen.

Seit etwa drei Jahren besteht auch eine Organisation für Oesterreicher, der Klub „Edelweiß“, der seit Silvester 1952 53 ein eigenes Klubhaus besitzt und schon gegen 300 Mitglieder verzeichnen kann. Der Klub „Edelweiß“ ist auch bemüht, sich weiter auszubauen und verschiedene Untergruppen zu bilden.

Neben diesen beiden großen Vereinen gibt es noch einen Verein der Sudetendeutschen, der sich „Vorwärts“ nennt und sozialdemokratisch gerichtet ist, und einen Schweizer Klub; der aber kein eigenes Klubgebäude besitzt und im Heim des kanadischen One- Two-Club zusammenkommt. Außerdem finden sich in dem „New World Club“ vor allem deutschsprechende Juden zusammen, im Verein der Baltendeutschen Deutsche aus den Ostgebieten.

Das Sprachorgan aller Deutschsprechenden sind die zwei deutschen Zeitungen, die wöchentlich einmal erscheinen und alle kanadischen Provinzen erfassen. Die eine, „Der Nordwesten“, besteht schon seit 1889, wurde aber dann von der anderen, „Der Courier“, die seit 1907 erscheint, überflügelt. Die Auflagenummer dieser letzten Zeitung ist beachtlich, in Toronto allein hat der „Courier“ 3000 Abonnenten. Beide Zeitun gen sind überparteilich, grundsätzlich aber christlich gehalten. Seit einigen Monaten bringt man auch eine eigene Zeitung für Toronto heraus, die „Torontoer Zeitung“, doch hat diese noch mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Die meisten Deutschen, die auch oft schon sehr lange in Kanada sind, haben sich die deutsche Sprache gut bewahrt. Ganz anders ist das bei den Kindern. Da die Kinder die englische Schule, die Kleineren den englischen Kindergarten besuchen, lernen sie das Englische mit unglaublicher Geschwindigkeit, und da die englische Sprache der deutschen sehr ähnlich ist, so sprechen die Kinder bald viel lieber englisch als deutsch und versuchen auch, die Eltern englisch anzureden. Und wenn die Eltern nicht sehr scharf darauf achten, daß die Kinder in der Familie deutsch sprechen, so haben die Kinder gar bald ihre Muttersprache vergessen. Dazu kommt noch, daß während lind nach dem Krieg alles, was deutsch sprach, angefeindet und ungern gesehen wurde, so daß sich nicht nur die Kinder, sondern auch viele Erwachsene der deutschen Sprache schämten.

Um den Kindern die deutsche Sprache zu erhalten, wurde im April 1953 eine deutschsprachige Schule für Kinder gegründet, die jeden Samstag von 10 bis 12 Uhr vormittags tagt und die Kinder nicht nur deutsche Rechtschreibung, Grammatik, Aufsatzgestaltung, Lesen und Schreiben, sondern auch Botanik, Zoologie, Geographie und Gesang lehrt. Da die englischen Schulen an Samstagen geschlossen sind, so ist die deutsche Schule, die bereits über fünf Klassen verfügt und für die monatlich pro Kind nur 1.25 Dollar zu bezahlen ist, allen Kindern zugänglich und eine große Hilfe, um die Kinder zur Zweisprachigkeit zu erziehen.

Obwohl diese Schule in den Erdgeschoßräumen einer Kirche untergebracht ist, so ist sie dennoch überkonfessionell, das heißt, sie beschränkt sich auf den deutschen Sprachunterricht und die dazugehörigen Unterrichtsfächer. Seit einigen Monaten wurde auch ein deutschsprachiger Kindergarten ins Leben gerufen, der nicht nur den Vorteil der deutschen Sprache hat — denn je kleiner die Kinder sind, um so schneller vergessen sie die Muttersprache —, sondern auch billiger ist als der englische Kindergarten.

Man muß offen und ehrlich sagen, daß gerade die deutschsprachige lutherische Gemeinschaft von Toronto sehr viel zur Beibehaltung und zur Erhaltung des Deutschtums beiträgt, und daß ihr Pastor Doktor Goegginger, der sich bereits einen Namen in Toronto gemacht hat, immer wieder Abende und Konzerte veranstaltet, die dem deutschen Kulturschaffen gewidmet sind.

Auch die Katholiken haben eine Kirche, die dem heiligen Patrick geweiht ist, in der jeden Sonntag um 10 Uhr eine heilige Messe mit deutscher Predigt gelesen wird, bei der auch deutsche Meßlieder gesungen, werden. Jeden Samstag nachmittags und abends und Sonntag während der heiligen Messe wird Beichte in deutscher Sprache abgenommen. Auch veranstaltet diese deutschkatholische Gemeinde gesellige Zusammenkünfte und Ausflüge, wo deutsch gesungen wird oder wo deutsche Theaterstücke aufgeführt ‘werden. Während der deutschlutherischen Kirchengemeinde vor allem Neueinwanderer angehören, besteht die katholische Organisation vor allem aus Alt- Kanadiern, die die deutsche Sprache oft nur noch mangelhaft beherrschen. Daher gehen auch die meisten kulturellen Anregungen von der deutschen lutherischen Gemeinde aus, die aber versucht, ihre Veranstaltungen überkonfessionell zu gestalten, so daß sie allen deutschsprachigen Menschen offenstehen.

So wurde im vergangenen Jahre auch eine deutsche literarische Vereinigung gegründet, die einmal monatlich einen Vortragsabend abhält, bei dem Professoren der hiesigen Universitäten, der deutsche Kulturattache, deutsche Schauspieler und Germanisten Vorträge halten oder Rezitationen bringen. Auch hat ein ehemaliger Regisseur und Schauspieler des Dresdner Staatstheaters, Maximilian Schmack, versucht,

ein deutsches Theater ins Leben zu rufen. Man eröffnete die deutsche Bühnentätigkeit im November 1952 mit Lessings „Minna von Barnhelm“ und brachte dann noch zwei andere Vorstellungen, doch wurden seit Sommer keine weiteren Aufführungen mehr gebracht. Nun plant man auch die Eröffnung eines Zimmertheaters, das leichter zu führen ist.

Was die deutschen und österreichischen Filme betrifft, so gibt es in Toronto zwei Kinos, die ausschließlich europäische Filme, so eben auch deutsche, österreichische und manchmal Schweizer Filme bringen. Das eine Kino zeigt deutsche Schmalfilme, während das im August 1953 eröffnete „Melody Theatre“ in der College Street, einer Hauptstraße Torontos, nur Normalfilme einführt. Mit großem Erfolg wurden die „Wiener Mädl“, die „Csärdäs- fürstin“ usw. gespielt.

Ein bedeutendes Nachrichtenorgan für nie deutschsprechende Bevölkerung in Toronto sind auch die deutschsprachigen Radiostunden, die Nachrichten und Ankündigungen in deutscher Sprache durchgeben und vor allem deutsche Musik bringen, die auch von den Kanad-’ern gerne gehört wird. So gibt es eine Sen ung „Stimmen der Heimat“, „Continental Hour“ und die bekannteste deutsche Radiosendung „Die Stunde der Harmonie“. Neben diesen größeren, alle Deutschen betreffenden Veranstaltungen gibt es noch kleinere kulturelle Unternehmungen in Kanada, so eine deutschsprachige Schule für rhythmische Gymnastik, ein Körpertraining, das für Kanada noch ganz neu ist, deutsche Leihbibliotheken, bei denen man um nur geringes Entgelt, etwa 10 Cents pro Woche, deutsche Bücher entlehnen kann, eine deutschsprachige Schule für Gesellschaftstanz, ein deutsches Schallplattenstudio, das von einem in Kanada bereits bekannten deutschen Pianisten, Emil Debus- mann, ins Leben gerufen wurde usw.

Da jedes Jahr eine große Anzahl Deutscher und Oesterreicher nach Kanada auswandert, so nimmt auch die Zahl der deutschsprachigen Veranstaltungen und Unternehmungen immer mehr zu und es ist noch nicht vorauszusehen, wie weit das Deutschtum, dessen Eigenart sich bereits auf vielen Gebieten bemerkbar macht, zusammen mit den verschiedenen Einflüssen der anderen europäischen Länder auch dem kulturellen Leben Kanadas mit seinen Stempel aufdrücken wird.

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