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Zündler am Werk

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Nachfahren von Heimatver- triebenen wol len den gewalt- samen Widerstand in West- polen praktizieren. In die europäische Szene idylli- schen Friedens bricht das Grauen ein.

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Nachfahren von Heimatver- triebenen wol len den gewalt- samen Widerstand in West- polen praktizieren. In die europäische Szene idylli- schen Friedens bricht das Grauen ein.

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In einer österreichischen Zeitung stand vor einigen Tagen folgende Meldung: „Die schlesische Jugend Österreichs will am Wochenende mit PLO-Vertretern zusammen- treffen. Hauptthema der Gesprä- che ist ein möglicher Widerstand in den ehemals deutschen Ostge- bieten in Polen." Inzwischen, so ist zu vernehmen, trafen einige Ver- treter dieser Jugend in Libyen wirk- lich mit PLO-Leuten zusammen.

Worum geht es? Da sind „Hei- matvertriebene", das heißt genau- er: jüngere Leute, die die damali- gen Ereignisse nur noch durch die Erzählungen ihrer Eltern kennen, selbst in gesicherten Verhältnissen aufgewachsen sind und sich wie alle anderen Österreicher der Chan- cen eines entwickelten und freien Landes erfreuen.

Allerdings, sie sind die Nachfah- ren von Menschen, die auf eine traumatische Weise ihre Heimat verloren haben. Mehr noch: Vielen von ihnen ist tatsächlich schweres, bitteres Unrecht zugefügt worden - und sie haben diese ihre Bitterkeit an die Jungen weitergegeben, ein- schließlich dem zunächst ohnmäch- tigen Haß auf die Täter. Jetzt glau- ben sie, ihre Stunde sei gekommen, um das Rad der Geschichte zurück- zudrehen.

Sie wollen wohl die Grenzen von damals wiederherstellen und, soll- ten die Polen nicht nachgeben, dann eben mit den Mitteln der Gewalt. Dazu ist mehreres zu sagen:

Erstens ist dieses umstrittene Land längst zur Heimat einer neu- en Bevölkerung^^g^wSfden. Ange- nommen, die genannten Schlesier kämen zu ihrem politischen Ziel, was würde dann aus den Polen werden, die in den ehemaligen „deutschen Ostgebieten" (oder „ polnischen Westgebieten"!) leben? Würden nun neue Vertreibungen auf dem Programm stehen? Wieder Blut, wieder (diesmal polnische) Heimatvertriebene, wieder Unter- drückung von Menschen? Oder will man die Polen ohnehin leben las- sen, wo sie jetzt sind? Aber wozu sollte man dann dieses Gebiet wie- der Deutschland zuschlagen, zu- mal das Vereinte Europa, das wir ersehnen, solche Grenzen ohnehin relativieren wird?

Zweitens müßte man fragen: Warum gehen die Schlesier nicht zuerst an die Ostgrenze Polens und fordern im Namen der Gerechtig- keit von den Russen für Polen zu- rück, was Stalin mit dem Recht des Stärkeren, des Diktators, des schamlosen Siegers den Polen ge- nommen hat? Aber auch hier müß- ten die Rechte und Interessen der heute dort lebenden Menschen be- dacht werden.

Soweit zur Zielsetzung der „Hei- matvertriebenen" . Nun aber zu den vorgeschlagenen Methoden:

Die „Schlesische Jugend" will gegebenenfalls einen deutschen „Widerstand" in Polen organisie- ren. Was mag das wohl für ein „Widerstand" sein?

Um den Widerstand eines Martin Luther King, eines Mahatma Gand- hi oder eines Erzbischofs Romero handelt es sich wohl kaum! Wollen diese jungen Leute vielleicht Ro- senkranz beten, wie es die Filipinos gegen den Diktator Marcos getan haben? Die PLO lehrt andere Me- thoden.

Wohlgemerkt: Dies wollen sie einem Land antun, das unter den Deutschen im Zweiten Weltkrieg unendlich viel gelitten hat, das in- folge der von den Deutschen verur- sachten Ereignisse kommunistisch wurde und dessen weitere Ge- schichte damit bis zum heutigen Tag eine Geschichte der Unfreiheit und der Armut war beziehungs- weise ist und - was die Armut be- trifft - noch viele Jahre sein wird. Sie, die heute österreichischen Nachfahren der vertriebenen Schle- sier, schmieden Pläne gegen ein Land, das den Deutschen die Freu- de der Wiedervereinigung gönnt, sich dafür aber wünscht, mit seinen deutschen Nachbarn endlich in freundschaftlicher Beziehung und in einem Frieden ohne Angst leben zu können!

Die Heimatvertriebenen sind glücklicherweise nicht identisch mit „den Deutschen" oder der „deut- schen Regierung". Aber von offi- zieller Seite müßte ihnen eine klare Absage zuteil werden: Wenn sich die deutschen Politiker vor der Wiedervereinigung von solchen Gruppen nicht klar distanzieren, könnte in den Herzen der Nach- barn (auch der österreichischen!) doch noch die Angst hochkommen: Wie werden sich die Deutschen „danach" verhalten, wenn sie jetzt schon solche Töne dulden?

Eigentlich müßte bei einer solchen Meldung bezüglich der Pläne der jungen, offensichtlich verhetz- ten Ex-Schlesier ein Aufschrei durch die Medien gehen, die Öf- fentlichkeit müßte mobilisiert wer- den, ein Sturm der Entrüstung müßte die Streichhölzer dieser po- litischen Zündler ausblasen! Man kann kein Unrecht der Geschichte durch anderes Unrecht gutmachen. Niemand bezweifelt, daß vielen Deutschen, die wirklich nichts dafür konnten, Unrecht geschehen ist. Das wissen nicht nur die Schle- sier, das wissen auch die Polen. Aber mit der PLO über „Widerstand" in den „ehemaligen deutschen Ostge- bieten" zu sprechen ist eine dreifa- che Ungeheuerlichkeit:

• angesichts dessen, was Polen durch Hitler und in Folge dieses Krieges durch die Kommunisten widerfahren ist;

• angesichts der Polen, die in den Gebieten leben, auf die sich der „Widerstand" beziehen soll;

• angesichts der Methoden, die man von der PLO übernehmen und ge- gen die Polen anwenden will!

Wenn der freie und vor allem auch reiche Westen solche Bewegungen duldet, dann sündigt er nicht nur an seinen östlichen Nachbarn, dann gibt er einmal mehr jenem bösen Geiste nach, der die Geschichte ganz Europas neben ihrer Größe und Schönheit so oft und in so schlim- mer Weise zu einer Geschichte des Unheils gemacht hat.

Gespräche mit der PLO, um „Widerstand" zu leisten? Um Got- tes willen, nein, nein und noch ein- mal nein! Sie wissen nicht, was sie tun und welche Geister sie rufen! Jetzt wäre doch die historische Stunde, die Gewalt als politisches Instrument, diesen Ungeist der Geschichte loszuwerden.

Man sollte mit den jungen Öster- reichern, deren Eltern noch in Schlesien gelebt haben, sprechen und sich mit ihren Problemen aus- einandersetzen. Aber verstehen heißt nicht billigen! Ihren Plänen muß ganz Europa ein klares, festes, unerschütterliches Nein entgegen- setzen - das Nein jener Europäi- schen Gemeinschaft, die sich auf die unverletzbaren Menschenrech- te gründet und dem „Faust- und Bombenrecht" der Terroristen je- der Farbe eine eindeutige Absage erteilt.

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