7043413-1990_25_04.jpg
Digital In Arbeit

Neue Chancen in Ost und West

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Das FURCHE-Team freut sich mit Ihnen, Herr Pro­fessor, und begrüßt Sie, der seit 1962 dieser Zeitung ideell und als Mitar­beiter verbunden ist, als neuen Botschafter Polens in Österreich.

WLADYSLAW BARTOSZEW-SKI: Ich muß Ihnen gleich sagen, daß das alles noch inoffiziell ist und meine Nominierung zum Botschaf­ter in Österreich durch eine Indis­kretion der Solidarnos'c-Zeitung „Gazeta Wyborcza" am 7. Juni, die dann von österreichischen Medien und danach von bundesdeutschen Zeitungen übernommen wurde, publiziert wurde. Mir ist noch nichts darüber bekannt, ob die österrei­chische Bundesregierung Warschau in dieser Angelegenheit schon eine Antwort gegeben hat. Die Solidar-nosc-Zeitung hat von meiner An­hörung im außenpolitischen Aus­schuß des polnischen Sejm als Kandidaten für den Botschafter­posten in Wien berichtet und da­von, daß dieser Ausschuß mich einstimmig für diese Aufgabe be­stätigt hat. Wir rnüssen das Inter­view also in der Wenn-Form füh­ren.

FURCHE: Wenn Sie den Posten in Wien übernehmen, sehen Sie sich dann als Vertreter einer neuen Botschaftergeneration aus den ehemaligen kommunistischen Staa­ten? Die Tschechoslowakei hat mit Magda Vasaryova eine bekannte Schauspielerin nach Wien ge­schickt. Sie sind ein arrivierter Historiker.

BARTOSZEWSKI: Falls ich die­se Aufgabe endgültig übertragen bekomme, dann verstehe ich das als Versuch, Leute, die nicht mit der alten politischen Nomenklatura in Verbindung gebracht werden kön­nen, für das eigene Land auszunüt­zen; das heißt, ihre Autorität, ihren Bekanntheitsgrad als Intellektuel­le oder als Teilnehmer von verschiedenen Veranstaltungen und Sym­posien der vergangenen Jahre zu nützen, ebenso das Vertrauen, das sie sich in der Vergangenheit er­worben haben.

Sie müssen bedenken, daß der neue polnische Botschafter in Wien der erste seit 52 Jahren ist, der das freie Polen in der freien Republik Österreich vertritt. Man muß sich das vergegenwärtigen: Als Öster­reich dem Deutschen Reich einge­gliedert war, gab es keinen polni­schen Botschafter in Wien, nach dem Zweiten ^Weltkrieg wurde Österreich zwar frei, aber Polen war nicht souverän. Jetzt geht es um eine neue psychologische und mo­ralische Qualität - wie dies auch die CSFR mit ihrer Botschafterin zum Ausdruck gebracht hat - in den Beziehungen zwischen Österreich und Polen.

FURCHE: Welche Ziele muß ein neuer Botschafter Polens in Öster­reich vor Augen haben?

BARTOSZEWSKI: Wäre ich Botschafter in Wien, würde ich auf allen bisher vorhandenen verbin­denden Faktoren aufbauen. Öster­reich ist als friedliebendes Land bekannt und hat sich als neutraler Staat, der offen ist nach allen Rich­tungen, einen Namen gemacht. Österreich hat seine Fähigkeit un­ter Beweis gestellt, mit dem Osten und dem Westen zusammenarbeiten zu können. Es ist so, daß sich die osteuropäischen Völker nach lan­ger, rund 45 Jahre dauernder be­drohlicher Krankheit erholen. Jetzt muß man die Perspektive der offe­nen Gespräche sehen, so wie dies Österreich seit Jahrzehnten mit seinen westlichen Nachbarn gelun­gen ist. Das heißt, wir müssen auch die geopolitische Lage anerkennen, Österreich in dieser Perspektive betrachten und die neuen Chancen in allen Richtungen nutzen.

Bisher wurde auch noch nicht ausprobiert, wieweit ein neutraler westeuropäischer Staat wie Öster­reich wichtig für andere - osteuro­päische - Staaten sein kann. Diese Funktion Österreichs wird für die Zukunft noch wichtiger werden.

FURCHE: Sie kommen aber in eine nicht ganz unkomplizierte Situation in Wien: Österreich hat Probleme mit den polnischen Schwarzarbeitern und illegalen Händlern. Man überlegt die Ein­führung der Visapflicht für Polen.

BARTOSZEWSKI: Ich hoffe, daß das im Endeffekt nicht kommen wird. Das wäre psychologisch und politisch ganz schlecht. Natürlich handelt es sich dabei für Österreich um ein Problem, das man nicht verharmlosen sollte. Österreich muß illegale Aktionen unterbinden. Wir wissen aber, daß das nirgendwo auf der Welt hundertprozentig gelingt. Illegale Geschäfte gab es immer in Situationen, in denen unterschied­liche Lebensstandards aufeinan­derprallten. Ich habe volles Ver­ständnis für die psychologischen Auswirkungen dieses Phänomens in Österreich. Ich habe aber in den letzten Wochen auch festgestellt, daß die polnischen Behörden ge­willt sind, von sich aus diese nega­tiven Auswirkungen der neuen Freiheit zu bekämpfen und zu be­grenzen.

FURCHE: Polen wird derzeit von der deutschen Frage und dem Pro­blem seiner Westgrenze in Atem gehalten. Richtet sich das Interesse der Polen jetzt mehr auf West- als auf Mitteleuropa?

BARTOSZEWSKI: Die Grenzen in Europa sind heute nicht von Gewalt bedroht. Das wissen die Polen auch. Es geht jetzt darum, aus Gründen der Staatsräson ge­wisse Unklarheiten auszuräumen. Das bedeutet nicht, daß die Polen nun weniger Interesse dem Zusam­menleben mit anderen Völkern entgegenbringen. Dem Problem eines vereinigten Deutschland widmet Polen nicht weniger Auf­merksamkeit als Frankreich, Ita­lien oder den USA. Die Polen gelten als relativ beweglich - auch in Rich­tung Nachbarvölker hin.

Aufgeklärte Leute in Polen ha­ben Wien immer als einen beson­ders interessanten Ort für Kontak­te und Ansprechmöglichkeiten gehalten. Österreich ist besonders als Land der Kultur und der Wis­senschaft anerkannt. Gerade in der jüngsten Zeit haben sich die Besu­che von polnischen Politikern, Sejm-Abgeordneten auf höchster Ebene in Österreich vervielfacht. Das konnte ich selbst als Privat­beobachter feststellen.

" Mit dem polnischen Historiker und Autor, der zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland lehrt, sprach Franz Gansrigier.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung