Europäer gegen Barbaren

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Wladyslaw Bartoszewskis Rückschau auf NS-Zeit und Stalinismus: Ohne Freiheit ist nichts.

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Wladyslaw Bartoszewskis Rückschau auf NS-Zeit und Stalinismus: Ohne Freiheit ist nichts.

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Im Sammelband "Kein Frieden ohne Freiheit" stellt Wladyslaw Bartoszewski seine Ansichten über Freiheit, Frieden und künftiges Miteinander im vereinigten Europa vor. Er enthält Veröffentlichungen und Reden des jetzigen Außenministers. Drei beigelegte Dokumente beinhalten wichtige Reden: die Dankrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1986 sowie die Rede im Bundestag vom 28. April 1995 und die Rede im österreichischen Nationalrat vom 4. Mai 2000.

Freiheit, sagt Bartoszewski, sei eine unentbehrliche Voraussetzung des Friedens und der Weg zum Frieden führe nur durch die Freiheit. Die Freiheit des Volkes, des Staates ist für ihn untrennbar von "der Freiheit des einzelnen Menschen und verschiedenen Gruppen, von Glaubensfreiheit und Weltanschauungsfreiheit, von der Freiheit in der Wahl des Ortes und der Form des Lebens, der Wahl des politischen und wirtschaftlichen Systems, von der Freiheit des Wortes und dem Freisein von Angst." Doch Frieden ohne Vergebung könne es nicht geben, sonst wäre die Welt "eine Hölle ohne Ausgang".

Bartoszewski ist als Pole stolz darauf, dass sich die Polen als erste Hitler widersetzten. Heute Widerstand zu leisten, bedeutet für ihn, gegen die Verharmlosung, gegen das Versagen der Verantwortlichen aufzutreten. Als Pole und Zeitzeuge, der Krieg und Okkupation erlebte, kann er darüber reflektieren. Als 18-jähriger Warschauer, angestellt beim polnischen Roten Kreuz, wurde er im September 1940 Opfer einer Polizeirazzia und als politischer Häftling mit der Nummer 4427 nach Auschwitz gebracht. Damals waren noch ausschließlich Polen in Auschwitz inhaftiert, hauptsächlich Vertreter der Intelligenz. Es gab noch keine Gaskammern, aber Hunger, Prügel und Arbeit über alle menschlichen Kräfte. Er verbrachte dort "nur" ein halbes Jahr und wurde dank Interventionen des Roten Kreuzes entlassen. Auschwitz bestimmte sein weiteres Leben.

Bartoszewski nahm aktiv am Leben des polnischen Untergrundes teil. Seine Arbeit galt vor allem der Hilfe für die Flüchtlinge aus dem Ghetto. Auf Initiative der bekannten polnischen Schriftstellerin Zofia Kossak wurde in Warschau der Hilfsrat für Juden "Zegota" gegründet, der vielen Juden während der deutschen Okkupation das Leben gerettet hat. Nun ist Bartoszewski der letzte Lebende aus dieser Gründergruppe. Für den Zeitzeugen und Historiker schreibt der heutige Außenminister ist der Krieg von 1939 "ein gemeinsamer, fast heiliger Verteidigungskrieg für Polen ... und auch für die polnischen Juden". Die einzige Rettung für diese fast vier Millionen Menschen sei der Widerstand der Polen gegen die Nazis gewesen.

Der Genozid an den Juden im besetzten Polen wurde etappenweise realisiert, und zwar so, dass bis 1942 weder den Juden noch den Polen die endgültigen Ziele der Hitlerschen Politik voll bewusst wurden.

Den Krieg verloren Ab Frühling 1942 wurden die Juden unter dem Vorwand der Umsiedlung aus Krakau, Lublin und später Warschau in die Konzentrationslager verschickt, nach Treblinka, Sobibor, Belzec und so weiter.

Parallel zur Vernichtung der Intelligenz und des Klerus lief die "Umvolkung" der "eingegliederten Ostgebiete". Sechs Millionen Hektar Agrarfläche wurden enteignet. "Was damals seinen Anfang nahm, die Verschiebung ganzer Bevölkerungen wie eine störende Sache, das schlug 1945 mit furchtbarer Gewalt auf die Deutschen in Ostpreußen, Schlesien und Pommern zurück", schreibt Bartoszewski. Viel Platz räumt er dem Funktionieren des polnischen Untergrundstaates in den Jahren von 1939 bis 1945 ein. Er war ein wohl einzigartiges Phänomen. Im Untergrundstaat pulsierte das breite Spektrum des Kulturlebens, ein Schulwesen wurde aufgebaut, es gab konspirative Universitäten, in Museen, Bibliotheken und Archiven wurden Rettungsaktionen für Kulturgüter durchgeführt. Die Deutschen hatten noch vor dem Polenfeldzug ein Programm zur Ausraubung polnischer Kunstsammlungen erstellt. Im besetzten Warschau wurden wertvolle Kunstschätze auf Grund der vor dem Krieg erstellten Listen des Professors Dagobert Frey aus Breslau konfisziert. In Zentralpolen spielte eine Gruppe von Kunsthistorikern unter der Leitung von Kajetan Mühlmann eine besondere Rolle. Er wurde von Göring zum "Sonderbeauftragten für die Erfassung und Sicherung der Kunst- und Kulturschätze Polens" ernannt. Für Warschau und die nördlichen Gebiete war sein Bruder Josef, ein Kunsthistoriker aus Salzburg, zuständig. Auch Hans Posse, der Direktor der Dresdner Gemälde-Galerie, durchforschte die Warschauer Sammlungen und durfte die wertvollsten Stücke für das "Führermuseum" in Linz aussuchen. In einem reich illustrierten Katalog mit dem Titel "Sichergestellte Kunstwerke" präsentierten Nazi-Kunsthistoriker die Ergebnisse ihrer Plünderungsaktion. Unter ihnen befanden sich einige am Kunstraub direkt beteiligte Personen wie Anton Kraus aus Wien, Josef Mühlmann aus Salzburg, Günther Otto aus Breslau, Karl Pollhammer aus Wien.

Die sogenannte Befreiung im Jahre 1945 war eigentlich eine Eroberung Polens, wo Moskau nun eine kommunistische Gewaltherrschaft installierte. Aus den Oder-Neiße-Gebieten nahm die Rote Armee ihre Beute mit. Alles Mögliche wurde in die Sowjetunion abtransportiert: "Die Polen haben sich als Volk verstanden, welches den Krieg im Grunde genommen verloren und nicht gewonnen hat." Doch der Wille zur Freiheit ist stärker als die Macht "aus dem Lauf der Gewehre". Das bewies das "annus mirabilis 1989".

Heute stelle sich die Frage nach den neuen Gewichten in der "kulturellen Realität Europas". Das Ziel müsse zur Vielfalt in der Einheit führen. Die Einheit beruhe auf der gemeinsamen Hierarchie der christlichen, abendländischen Werte. Bartoszewski versteht Kultur als Hierarchie der Werte, der europäischen Kultur liege ein dreifaches Erbe zugrunde: Griechisches Denken, christlicher Glaube und römisches Recht.

Kein Frieden ohne Freiheit Betrachtungen eines Zeitzeugen am Ende des Jahrhunderts Von Wladyslaw Bartoszewski, Nemos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000, 208 Seiten, brosch., öS 358,-/e 26,02

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