Krakow

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furche-Leserreise nach Polen in die "Kulturstadt Krakau 2000" undzur "Schwarzen Madonna" nach Tschenstochau

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furche-Leserreise nach Polen in die "Kulturstadt Krakau 2000" undzur "Schwarzen Madonna" nach Tschenstochau

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Krakau, die Stadt an der Weichsel, gilt bei vielen Reisenden aus dem Westen noch immer als Geheimtipp. Trotz der geringen Entfernung (450 Kilometer von Wien) und trotz Papst, Lech Walesa und "Solidarno's'c" ist Polen für viele Österreicher noch immer ein "fernes Land" .

Die furche hat seit jeher die Geschehnisse im Osten Mitteleuropas mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt und daher nicht zufällig Krakau als Ziel ihrer jüngsten Leserreise gewählt. Die frühere Haupt- und Krönungsstadt der polnischen Könige - und neuerdings "Kulturstadt Europa 2000" - war kürzlich lohnendes Reiseziel einer 20 köpfigen Gruppe von Furche-Lesern.

Wer vor zehn, zwanzig Jahren nach Krakau kam, wurde mit der ganzen grauen Tristesse des Ostblocks konfrontiert. Viele Häuser und Straßen, ja ganze Stadtviertel schienen dem unvermeidlichen Verfall preisgegeben. Heute, zehn Jahre nach der Wende, präsentiert sich die Stadt erstaunlich renoviert. Die alten Paläste, Patrizier- und Bürgerhäuser rund um den Marktplatz, den Rynek Glowny, bilden wieder ein höchst lebendiges Museum aus Gotik, Renaissance und Barock.

600 Jahre herrschten die polnischen Könige vom Wawel, dem hoch über der Weichsel liegenden Schlossberg über das Land. Heute gilt die alte Königs- und Krönungsstadt mit ihrer tausendjährigen Geschichte als eine der jüngsten und dynamischten Städte Europas. Von den 740.000 Einwohner sind 40 Prozent unter 30 Jahre alt.

Die Stadt erlebte ihre Blütezeit unter der Herrschaft der Jagellonen im 14. und 15. Jahrhundert. In der Wawel-Kathedrale wurden alle polnischen Könige gekrönt und fanden dort auch ihre letzte Ruhestätte, so wie die Dichterfürsten Adam Mickiewicz und Juliusz Slowacki.

Krakau besitzt nach Prag (1348) die zweitälteste Universität (Collegium Maius, 1364) Mitteleuropas (Wien 1365). Zu den bedeutendsten Studenten zählte Kopernikus, der dort neben zahlreichen anderen Kommilitonen aus Europa studierte. Das 16. Jahrhundert (1506-1572) unter Sigismund I. und II. gilt als das "Goldene Zeitalter" Polens. Italienische Baumeister errichten Renaissance-Bauten im florentinischen Stil, die noch heute das Stadtzentrum unverwechselbar prägen. Hans Dürer, der Bruder Albrecht Dürers, malte den Arkadenhof in der Wawelburg aus. Der Nürnberger Künstler Veit Stoß - oder Wit Stwosz, wie ihn die Polen nennen, - schnitzte von 1477 bis 1489 den 13 Meter hohen Holzaltar aus Lindenholz in der Marienkirche. Allein dieses Wunderwerk mittelalterlicher Kunst wäre eine Krakau-Reise wert.

Nach dem Tode Sigismunds II., der kinderlos stirbt, bricht die Zeit der Wahlkönige an (1572), die polnischen Adeligen wählen nun selbst ihren König. Eine Zeit der Instabilität bricht an. Die schwedischen Könige aus dem Hause Wasa verlegen die Hauptstadt von Krakau nach Warschau (1572), um näher bei ihrer früheren Heimat zu sein. Der Niedergang Krakaus beginnt.

Nach den drei Teilungen Polens (1772,1793 und 1795) durch die Großmächte Russland, Preußen und Österreich fiel Krakau 1795 unter habsburgische Herrschaft, die 123 Jahre (bis 1918) dauern sollte. Krakau blüht von einer heruntergekommenen Provinzstadt erneut wieder auf. Neben Wien und Budapest wird die Stadt die dritte große Metropole der Habsburger Monarchie. Im 19. Jahrhundert wird Krakau Zentrum des polnischen Nationalismus und der Intellektuellen. Ein Aufstand des Nationalhelden Kosciusko scheitert. 1918 entsteht Polen nach 123 Jahren wieder auf der politischen Landkarte Europas.

1939 beginnt mit dem deutschen Überfall auf Polen eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der Stadt. Der Wawel wird zum Sitz des Generalgouverneurs Hans Frank. Die rund 60.000 jüdischen Bürger Krakaus, ein Viertel der Einwohner, die meist im Stadtteil Kazimierz lebten, werden nun systematisch ins Ghetto Warschau oder in das nahegelegene Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verschleppt.

Heute leben nur noch wenige Hundert Juden in diesem einstigen Zentrum des osteuropäischen Judentums. Seit Steven Spielberg "Schindlers Liste" hier drehte, kommen vermehrt Juden aus den USA und Israel. Kritiker sprechen bereits von der Schaffung eines "jüdischen Disneylandes".

Das rasche Vorrücken der sowjetischen Armee hatte 1945 gerade noch die Zerstörung der Stadt durch deutsche Truppen verhindert. In den fünfziger Jahren ließ die kommunistische Regierung das Stahlwerk Nowa Huta am Rande Krakaus aus dem Boden stampfen. Die Arbeiterstadt sollte ein sozialistische Gegenmodell zur intellektuell-bürgerlichen Stadt Krakau werden. Die giftigen Emmissionen bedrohen noch heute die historische Bausubstanz der Stadt.

Mit der Gründung der Gewerkschaftsbewegung "Solidarno's'c" 1980/81 begann der breite Widerstand der polnischen Arbeiter und Intellektuellen gegen das herrschende kommunistische Regime. Zwei Jahre zuvor, 1978, war der Bischof und Kardinal von Krakau, Karol Wojtyla, beim Konklave in Rom zum neuen Papst gewählt worden. Das Erstaunliche war nun, dass sich diese neue und unabhängige Gewerkschaft auf die Lehren von Johannes Paul II., der von "der Würde der Arbeit, der Nation und der menschlichen Person" sprach, berief. Die Jahre bis 1990 sollten der Anfang vom Ende des kommunistischen Systems und die Zweiteilung der Welt zwischen Ost und West endgültig beenden.

Wer nach Krakau kommt, spürt das besondere Flair dieser Stadt. Geschichte, Kunst und Kultur sind hier lebendige Gegenwart. Viele Große der polnischen Kunstszene wohnen hier ihr Zuhause gefunden. Der Filmemacher Andrzej Wajda, der Musiker und Komponist Krzysztof Penderecki, die beiden Literaturnobelpreisträger Czeslaw Milosc und Wislawa Szymborska, der Satiriker Slawomir Mrozek und Stanislaw Lem, der mit seinen Sciencefictionromanen Millionenauflagen in aller Welt erreichte. Aber nicht nur die großen Alten, auch zahlreiche junge Vertreter der polnischen Kulturszene geben der Stadt eine neue Dynamik und machen sie zu einem liebenswürdig-interessanten Treffpunkt.

Neben Krakau war das zwei Stunden entfernte Tschenstochau, der größte polnische Marien-Wallfahrtsort, der zweite große Höhepunkt unserer Reise. Ungarische Pauliner-Mönche hatten das Kloster am Jasna Gora (Heller Berg) im 14. Jahrhundert gegründet. Aus dieser Zeit stammt auch das Gnadenbild der "Schwarzen Madonna", das von einem polnischen Fürsten aus der heutigen Ukraine nach Tschenstochau gebracht wurde.

Groß, sehr groß ist der tägliche Andrang von Pilgern aus aller Welt in die Kirche, die eigentlich nur die Größe einer Kapelle besitzt. Ununterbrochene und vollbesuchte Messen von sechs Uhr früh bis 14 Uhr nachmittag machen es unmöglich, zum Gnadenbild zu gelangen. Die einzige Chance für ausländische Besucher besteht nur darin, während des Gottesdienstes, durch die Sakristei und hinter dem Hochaltar vorbei für kurze Zeit direkt vor das Bild der "Schwarzen Madonna"zu gelangen. Das Gesicht der Muttergottes strahlt eine ungewöhnliche Milde und Menschlichkeit aus. Die unzähligen Fotos und Bilder wirken dagegen fremd und artifiziell. Ein Ort ungebrochener Frömmigkeit und des Glaubens.

Nachmittags dann Rückfahrt in die Nähe Krakaus, zum berühmten Salzbergwerk Wielicka, welches auf der Liste der UNESCO-Kulturgüter steht. Seit fast 700 Jahren wurde hier Salz abgebaut. Endlose Stollen bis 136 Meter unter der Erde. Einfache Bergarbeiter errichteten nach ihrer Arbeit wahre Kunstwerke aus Salz. Der Fremdenführer erweist sich als hauptberuflicher Lehrer, der wegen des kargen Lohns in der Schule nebenbei noch unter Tage arbeiten muss, um seine Familie ernähren zu können. Ein Schicksal, das heute viele Polen trifft.

"Polen ist anders geworden", behauptete unlängst der wiedergewählte polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski. Dass die Mehrheit der (katholischen) polnischen Wähler gerade einem ehemaligen Kommunisten ihre Stimme gaben, gehört zu den vielen Widersprüchen im heutigen Polen. Der einstige Nationalheld Lech Walesa verlor ein zweites Mal gegen Kwasnieski, weniger als ein Prozent der Wähler stimmten für ihn! Kwasnewski will das Land nach dem Eintritt in die NATO möglichst schnell auch in die EU bringen.

Längst herrschen auch in Polen die harten Gesetze der Marktwirtschaft und Globalisierung. Diese schafft wenige (große) Gewinner und viele Verlierer. Arbeitslosigkeit, Armut und Unsicherheit haben die anfängliche EU-Euphorie in der polnischen Bevölkerung längst dramatisch sinken lassen.

Polen lebt von seiner Geschichte und muss neue Wege der Verständigung mit seinen Nachbarländern finden. Die Einigung Europas kann nur gelingen, wenn die einzelnen Länder voneinander Bescheid wissen um ihre Geschichte und ihr gemeinsames Schicksal.

Wem die Reise nach Polen zuviel Höhepunkte in zu kurzer Zeit geboten hat, für den bleibt nur die Hoffnung, möglichst bald wiederzukommen.

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