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Ein toter Student und eine Kirche aus Beton

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Polen macht wieder von sich reden, knapp ein Jahr nach den blutig niedergeworfenen Aufständen in Radom und Ursus. Kürzlich demonstrierten Tausende von Studenten in Krakau gegen den mysteriösen Tod ihres Kommilitonen Stanislaw Pyjas, der mit schweren Verletzungen in einem Hausflur aufgefunden worden war. Fast zur gleichen Zeit wurde nur wenige Kilometer von Krakau entfernt, in der „ersten sozialistischen Stadt“ Nova Huta, in Anwesenheit von Zehn tausenden, ein neues Gotteshaus geweiht.

Sicherlich ist das Zusammentreffen beider Ereignisse eine geographische Zufälligkeit - innerlich gehören sie jedoch nicht nur räumlich zusammen. Hier wie dort, auf den Plätzen Krakaus, wie auf dem Vorplatz der wuchtigen Betonkirche, ging es um die Sache der Freiheit. Während im Westen, vor allem in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland, gewalttätige Studenten Hand an die Freiheit legen, um ihr utopisches Modell eines staatlosen Staates mit Brachialgewalt durchzusetzen, verteidigen polnische Studenten jene unauf- gebbaren Menschenrechte, die der Kommunismus mit Füßen tritt. Und auch das andere Extrem gilt: Während Theologie und Kirche im Westen, vollauf mit den Sorgen der Dritten Welt beschäftigt, kaum mehr das

Ohr am Herzen ihrer Völker haben, macht sich die katholische Kirche Polens zum wortgewaltigen Führer des ganzen Volkes.

Die polnischen Bürgerrechtler wurden auf dem Weg nach Krakau aus den Zügen und aus den Autos heraus verhaftet. Die Machthaber wissen aber genau, daß hinter dieser Handvoll mutiger Männer das ganze polnische Volk steht - ob diese Männer nun als engagierte Christen oder als Patrioten handeln und fühlen. Vor allem: der leicht entzündbare polnische Nationalismus bedarf nur eines erneuten Funkens, wie in Posen 1956, in Warschau 1968, in Danzing 1970 und schließlich 1976 in Radom und Ursus, um in offene Rebellion umzuschlagen, Rebellion nicht nur gegen das eigene System, sondern auch gegen die Machthaber des Kreml, der nach wie vor das 1940 geraubte Ostpolen besitzt.

Es geht also um Moskaus Besitzstand, territorial, wie ideologisch. Wie 1953 in Ost-Berlin, wie 1956 in Budapest, wie 1968 in der ČSSR. Dutzende von Polen haben in den letzten Wochen Asyl im Westen gefunden. Hätte ihr Land eine direkte Grenze mit ihm, würden es längst Zehntausende sein. Was geschieht in Polen, im Vorfeld der Belgrader Beschwichtigungskonferenz? Die Zeichen stehen auf Sturm.

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