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Ausgebrannte Gotteshäuser

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Sind die verfallenen Synagogen Polens noch zu retten? Ein Komitee in Krakau fordert entsprechende Maßnahmen.

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Sind die verfallenen Synagogen Polens noch zu retten? Ein Komitee in Krakau fordert entsprechende Maßnahmen.

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Die in Krakau erscheinende polnische Zeitschrift ZNAK berichtet über das neugegründete Komitee für die Betreuung jüdischer Kulturdenkmäler. In den breitgestreuten Plänen zu einem Zeitpunkt, in dem es für die Rettung vieler B au wer ke schon zu spät ist, nimmt die Bewahrung der Uberreste von Synagogen und jüdischen Friedhöfen einen wichtige Platz ein.

Angesichts dieser alten Baudenkmäler in Polen wird der Betrachter mit dem erregenden Gefühl von Uberzeitlichkeit konfrontiert. Diese Erfahrung der Kontinuität entspricht auch unserem Bedürfnis, die Existenz schlechthin zu verteidigen: unser Leben in der Ewigkeit.

Deshalb empfinden wir beim Betrachten solcher Bauten mehr als Ehrfurcht: wir begreifen plötzlich eine Dimension der Freiheit in der Zeit. Unsere Suche nach einer Form der Zeit, der die wesentlichste Eigenschaft—die Vergänglichkeit — entnommen wäre, erscheint mit einem Schlag erfolgreich zu sein.

Die zum Stehen gebrachte Zeit ist ein Dokument, das über das Leben informiert. Sie führt in eine Welt, die es nicht mehr gibt.

Es genügen oft auch die erhalten gebliebenen spärlichen Reste, um die Atmosphäre einer ehemaligen Synagoge wachzurufen.

In Polen gab es früher die schönsten Tempel. Die meisten wurden schon im 16. Jahrhundert errichtet, einst aus Holz, mit kunstvollen Innenräumen. Sie nahmen Bezug auf die Architektur der polnischen Gutshöfe, der

Herbergen, der Speicher und auch der Kirchen.

Am Anfang unseres Jahrhunderts waren die Synagogen voll von Gläubigen; in den Tempeln hatten außerdem die jüdischen Gemeinden und das Gericht der Rabbiner ihren Sitz. Sie sind auch als Zuflucht für Arme bekannt gewesen.

Diese Gotteshäuser zu retten und zu erhalten war schon im Jahre 1928 die Pflicht jedes kulturbewußten Menschen in Polen. „Rettet unsere Denkmäler”, appellierte seinerzeit Majer Balaban an alle Polen, „sie gehören uns allen, da sie auf dieser Erde errichtet wurden, und ein Beweis der materiellen Kultur der polnischen Juden sind.”

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist in Polen kein einziger hölzerner Tempel erhalten geblieben. Die gemauerten Synagogen waren ausgebrannt oder verwüstet. Im Jahr 1954 wurden darüber hinaus auch die aus dem 16. Jahrhundert stammenden Synagogen von Lu-blin und von Przemysl abgetragen. Kaum zwei oder drei Tempel sind in ihrer ursprünglichen Funktion erhalten geblieben. Zu ihnen gehört die Synagoge Remi, eine der ältesten: Sie steht auf dem Kazimierz in Krakau.

Ein anderer Tempel in derselben Gegend wurde in ein Museum der jüdischen Kunst und der Geschichte der Krakauer Juden verwandelt. In wenigen anderen, die gerettet wurden, sind regionale Museen, Galerien, Bibliotheken, Archive untergebracht. Viele Synagogen dienen heute als Kinosaal.

Es gibt allerdings noch Synagogen in Polen, die - obwohl sie von Jahr zu Jahr verfallen, obwohl sie von Unkraut überwuchert sind — nach wie vor stehen. Sie sind es, die uns das Weiterleben der vergangenen Zeit vermitteln. Sie lassen uns die Anwesenheit vieler Generationen spüren.

Jahrhunderte hindurch lebten die polnische und die jüdische Kultur nebeneinander. Die Zeit der deutschen Besatzung, die Katastrophe, bereitete dieser unvergleichlichen Tradition ein rasches und schreckliches Ende. Der Beitrag der Millionen Ermordeten zur polnischen Kultur ist jedoch unvergänglich. Deshalb erkennen auch in Polen immer mehr Menschen, daß es ihre Pflicht ist, die noch vorhandenen Synagogen für zukünftige Generationen zu erhalten. Das vor kurzem gegründete Komitee für die Erhaltung der Denkmale der jüdischen Kultur in Krakau meint in seinem Aufruf:

„Es ist unsere Aufgabe, für die Erhaltung der Institution zu sorgen und ihr mit unserer Erfahrung zu dienen, das Gedenken an eine große Kultur für die Zukunft zu wahren.”

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