Jüdische Spuren in der Buckligen Welt

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Erinnerung an dunkle Zeit

Novemberpogrome

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in Wien - bis auf den Stadttempel in der Seitenstettengasse - sämtliche Synagogen und Bethäuser zerstört. (Bild: Schoa-Mahnmal in Wien)

Gestapo-Hauptquartier

Das Wiener Gestapo-Hauptquartier, in dem auch viele Juden verhört und misshandelt wurden, befand sich im Hotel Metropol am Franz-Josephs-Kai. Heute erinnert ein Mahnmal an diesen Ort (Bild).

Schwedische Mission

Die Schwedische Israelmission in der Seegasse 16 in Wien-Alsergrund ermöglichte vielen Juden die Ausreise. Über den Stand der Forschung dazu wird am 7. November berichtet (s. Artikel ganz u. li.)

Erzbischöfl. Hilfsstelle

Die vom Jesuiten Ludger Born (Bi.) geleitete und von Kardinal Innitzer geförderte "Erzbischöfliche Hilfsstelle für nichtarische Katholiken" nahm sich zwischen 1940 und 1945 schutzsuchender Juden an.

Hochwolkersdorf ist ein idyllischer Flecken in der Buckligen Welt, doch im März 1938 brach auch dort die Hölle los. Kaum hatte die Deutsche Wehrmacht Österreichs Grenzen überschritten, rottete sich ein Mob zusammen, grölte "Juda verrecke!" und schlug mit Ketten, Stöcken und Prügeln an die metallenen Rollläden der beiden jüdischen Geschäfte. Kurt Winkler, damals ein zwölfjähriger Bub, fürchtete um sein Leben und verstand die Welt nicht mehr: Warum bloß bedrohten ihn plötzlich jene Leute, die gerade noch ganz normal im Geschäft seiner Eltern eingekauft hatten?

Der Terror hielt auch die nächsten Tage an: Angehörige der lokalen SA drangen in Wohnhäuser und Geschäfte der beiden Kaufmannsfamilien ein und holten sich Möbel als Einrichtung für ihren Stützpunkt. Mitten in der Nacht wurden Kinder und Erwachsene von bewaffneten SA-Männern aus dem Bett geholt und schikaniert. Nach einer Woche schließlich flohen die insgesamt sieben einheimischen Juden aus Hochwolkersdorf.

Das andere Hochwolkersdorf

Doch es gab auch das andere Hochwolkersdorf: Der Bürgermeister stellte sich, zumindest einmal, dem Mob entgegen: "Geniert ihr euch nicht, was ihr da macht?" Die Nazis trollten sich, vorerst. Der Pfarrer wurde bei den jüdischen Familien vorstellig und entschuldigte sich für das Verhalten seiner Gemeinde. Und die Frau des Bäckermeisters brachte ihren jüdischen Nachbarn etwas zum Essen - was ihr prompt Probleme mit der Polizei einbrachte. "Es hat in Hochwolkersdorf alles gegeben: überzeugte Nazis, schäbige Leute, die die Notlage der Juden ausgenutzt haben, Menschen, die weggeschaut haben, und einige wenige Mutige, die versuchten, den Juden zu helfen", erzählt Johann Hagenhofer.

Der pensionierte Gymnasialdirektor ist organisatorischer Leiter eines Forschungsprojektes, das sich mit der Geschichte der jüdischen Bevölkerung in der Buckligen Welt beschäftigt. Ziel ist die Errichtung eines Museums in Bad Erlach, schräg gegenüber jenem Grundstück, auf dem 1938 noch ein jüdisches Bethaus stand, das älter als die katholische Kirche des Ortes war.

Hier im südöstlichen Winkel Niederösterreichs lebten bis 1938 etwa zweihundert Juden in 26 Ortschaften. Viele davon waren Mitte des 19. Jahrhunderts aus Westungarn -dem heutigen Burgenland - zugewandert, etwa aus Kobersdorf, wo die Synagoge als Gebäude bis heute erhalten geblieben ist. Sie etablierten sich hauptsächlich als Kaufleute. Weil ihre Geschäfte am Sonntag geöffnet waren, kauften die Bauern aus der Einschicht, die nur sonntags zur Messe in die Dörfer kamen, gerne bei jüdischen Händlern. Bald waren sie gut integriert und unterhielten durchaus freundschaftliche Beziehungen mit christlichen Nachbarn. Aber natürlich gab es auch latenten Antisemitismus: Manche Dorfbewohner kauften grundsätzlich nicht bei Juden, und in Hochwolkersdorf etwa schienen die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs nicht auf dem örtlichen Kriegerdenkmal auf. 1938 schließlich wurden die Juden binnen kürzester Zeit aus der Region vertrieben.

So erging es auch der Familie von Kurt Winkler, die zunächst zu Verwandten nach Wiener Neustadt und nach dem Novemberpogrom weiter nach Wien floh. Glücklicherweise gelang ihnen die Ausreise: mit dem Schiff die Donau hinab und von dort nach Palästina. Dort allerdings wurden sie von den britischen Behörden gleich auf das Gefängnisschiff "Patria" gebracht und hätten zusammen mit Tausenden anderen jüdischen Flüchtlingen nach Mauritius deportiert werden sollen. Doch die jüdische Untergrundbewegung sprengte das Schiff, so dass die Flüchtlinge als Schiffbrüchige in Palästina aufgenommen werden mussten. Als Winkler Jahre nach Kriegsende zu Besuch zurück in die alte Heimat kam, stellte er fest: "Die Juden waren einfach weg -so als ob es uns nie gegeben hätte." Heute immerhin erinnert eine Gedenktafel in Hochwolkersdorf an die Vertriebenen.

Projekte in verschiedenen Regionen

Auch im westlichen Teil der Region, wo die Bucklige Welt in das Wechselland übergeht, lebten bis 1938 Juden -allerdings handelte es sich hier vorwiegend um Angehörige des jüdischen Großbürgertums. Dazu gehörte zum Beispiel Stephan Mautner, der ein Landgut in Trattenbach besaß. Seiner Familie gehörte bis zur Wirtschaftskrise einer der größten Textilkonzerne Europas, der auch eine Fabrik in Trattenbach betrieb. Mautner liebte den Ort, 1918 schrieb er ein 200-seitiges Buch über das Dorf und dessen Bewohner. "Die Sehnsucht nach Heimat, nach Zugehörigkeit -das tiefe Dilemma der assimilierten Juden", merkte der Historiker Wolfgang Hafer in seinem Buch "Die anderen Mautners" an, in dem er vor einigen Jahren die Geschichte dieser jüdischen Unternehmerfamilie nachzeichnete. Im November 1938 emigrierten Mautner und seine Frau Else nach Budapest. Nachdem 1944 die Wehrmacht in Ungarn eingefallen war, wurde das Ehepaar in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Diesen Oktober wurde in Trattenbach eine Stele in Erinnerung an Stephan Mautner eingeweiht (korrekter: gesegnet).

In Feistritz lebte der - nicht mit den Trattenbacher Mautners verwandte -Bankier Maximilian Mautner. Dieser Magnat war in erster Ehe mit einer prominenten Society-Lady verheiratet, Christine von Imhof-Geißlinghof, und verfügte über gute Kontakte zur Spitze von Gesellschaft und Politik. 1922 erwarb er die Burg Feistritz, die sich damals in erbärmlichem Zustand befand, setzte das Gemäuer instand, ließ einen mächtigen Turm errichten und richtete die Burg mit erlesenen Antiquitäten ein. Es gibt ein Foto, auf dem Mautner in einem Zeppelin über seiner prachtvollen Burg schwebt. 1936 zieht er nach Paris, seine zweite Frau bleibt in Österreich zurück.

"1938 wurde Mautners Bankhaus unter kommissarische Verwaltung gestellt und in den Zwangskonkurs getrieben", erzählt Franz Jeitler, der für das Projekt "Die jüdische Bevölkerung der Region Bucklige Welt -Wechselland" die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Feistritz erforscht hat. Nachdem Hitlerdeutschland 1940 Frankreich besetzte, emigrierte Mautner zusammen mit seiner ersten Ehefrau und der gemeinsamen Tochter in die USA, wo er 1943 an Darmkrebs verstarb.

Vor nicht allzu langer Zeit wären Projekte wie dieses im ländlichen Raum auf große Widerstände gestoßen. Das hat sich offenbar geändert. Zumindest seitens der lokalen Politik bekam Projektleiter Hagenhofer volle Unterstützung für die Erforschung der Geschichte der lokalen jüdischen Bevölkerung und auch für das geplante Museum. "Die Resonanz derartiger Bottom-up-Projekte, die in der Region entstehen, hat in den letzten Jahren zugenommen", bestätigt Martha Keil, Direktorin am Institut für Jüdische Geschichte Österreichs in St. Pölten, das nicht in die Aktivitäten in der Buckligen Welt involviert ist, aber selbst ein ähnliches Projekt betreibt ("Unsere vertriebenen Nachbarn: Juden im niederösterreichischen Zentralraum").

Laien als kompetente Historiker

Es handle sich um einen typischen Fall von "Citizen Science", erläutert die Historikerin. Das ist ein aus dem angloamerikanischen Raum stammendes Konzept, bei dem wissenschaftliche Laien sich mit Unterstützung von ausgebildeten Forschern an wissenschaftlicher Forschung beteiligen. Das kann das Sammeln von Wetterdaten oder das Beobachten von Tieren sein, aber eben auch eigenständige historische Forschung wie bei Hagenhofer und seinem Team. "Speziell bei Familiengeschichten sind die Menschen vor Ort die größten Experten", sagt Keil, "an dieses Wissen kommen wir Wissenschaftler gar nicht heran."

Auch die Art des Erinnerns - insbesondere an die schrecklichen Ereignisse der Schoa -ändert sich zusehends. "Die Zeitzeugen, deren Authentizität durch nichts ersetzt werden kann, werden immer weniger", bedauert Keil: "Das Gedenken verlagert sich immer mehr in virtuelle Erinnerungsräume." Auch Kurt Winkler, der als Zwölfjähriger die Schrecken des "Anschlusses" miterlebte, ist vor Kurzem verstorben. Die Errichtung der Gedenktafel in Hochwolkersdorf hat er allerdings noch erlebt -und zeigte sich überglücklich darüber, dass nun doch etwas an die aus dem Ort verschwundenen Juden erinnert.

Die Resonanz derartiger Bottom-up-Projekte, die in der Region entstehen, hat in den letzten Jahren zugenommen. (Martha Keil)

Es hat alles gegeben: überzeugte Nazis, schäbige Leute, Menschen, die weggeschaut haben, und einige wenige Mutige, die versuchten, den Juden zu helfen

Die Zeitzeugen, deren Authentizität unersetzlich ist, werden immer weniger. Das Gedenken verlagert sich immer mehr in virtuelle Erinnerungsräume. (Martha Keil)

Freunde

Bäckerei (1928) der Familie Dienbauer, die seit vier Generationen mit der jüdischen Familie Winkler befreundet ist (li.), letzter Besuch von Kurt Winkler (3. v. li.) im Jahr 2010.

Nach der Vertreibung

Umzug in der Dorfstraße von Hochwolkersdorf nach dem "Anschluss" Österreichs 1938.

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