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Straße der gerechten Christen

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Am Tag, da in ganz Israel, wie in jedem Jahr um diese Zeit, des Andenkens an die sechs Millionen ermordeten Juden gedacht wurde, fand auf dem „Hügel der Erinnerung“ bei Jerusalem eine wohl einzigartige Feier statt. In Gegenwart des Staatspräsidenten und anderer Würdenträger wurden die ersten Bäume einer Allee gepflanzt, die den Namen „Straße der gerechten Christen“ erhielt.

Elf Leute aus sieben Ländern Europas, die älteste eine ukrainische Bäuerin, ohne Ausnahme NichtJuden, waren eingeladen worden, je einen Baum an dieser Straße zu pflanzen. Dies stellte eine Ausnahme von der in Israel gebräuchlichen Regel dar, daß Bäume auf den Namen von Toten gepflanzt

werden. Diese Ausnahme sollte die Dankbarkeit des Volkes für all die unbekannt gebliebenen Christen in Europa ausdrücken, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus Juden gerettet hatten und als deren Vertreter diese elf gewählt worden waren.

Daß die mit Fanfarenstößen eingeleitete Feier weit mehr als eine Geste war, ließ die Rede des Außenministers, Frau Golda Meir, erkennen, in der es unter anderem hieß: „Wir danken Ihnen nicht nur, weil Sie Juden, sondern auch weil Sie unseren Glauben an die Menschlichkeit im Menschen gerettet haben. Oft scheint es, als gäbe es nur

zwei Klassen von Menschen, die, welche gemordet werden, und jene, die passiv danebenstehen. Wir sehen hier eine dritte: die, welche die Verfolgten rettet. Die Kinder in den Schulen Israels werden lernen, daß es damals in der Finsternis auch einzelne Lichtstrahlen gab.“

Einer der Eingeladenen, gerade der, dem der Ehrenplatz neben dem Staatspräsidenten eingeräumt war, war nicht erschienen. Der Mann, ein in Frankfurt am Main lebender, aus dem Sudetenland stammender Fabrikant namens Oskar Schindler, stand an der Spitze der Liste, denn er hatte mehr als 1000 Juden — darunter 300 Frauen aus dem KZ Auschwitz — vor der Gestapo und dem Gastod gerettet.

Schindler war eine Art Kommissar für jüdische Betriebe in Krakau und dann Leiter einer Emailfabrik in der Nähe dieser Stadt gewesen. In dieser Eigenschaft gelang es ihm, nach und nach nicht weniger ab 1100 Juden, Frauen und Männer, als „wirtschaftswichtig“ der Gestapo abzulisten, sie in einem eigenen Arbeiterlager unterzubringen, zu verpflegen und dadurch zu retten. Von diesen Geretteten sind etwa 350 in Israel ansässig. Sie bildeten ein eigenes Schindler-Komitee, das ihn einlud, ins Land zu kommen und an der Feier teilzunehmen. (Das heißt, er wurde vor allem als Vertreter Deutschlands von diesem Komitee vorgeschlagen.) Schon die Begrüßung auf dem Flugplatz stellte ein in der Geschichte israels einzigartiges Ereignis dar. Niemals wohl war ein privater Reisender, und schon gar nicht ein Deutscher, von einigen hunderten Menschen derart ekstatisch empfangen und begrüßt worden.

Dieser einzigartige Triumphzug wurde aber ein wenig gestört, als ein Mann namens Julius Wiener eh« Erklärung abgab, derzufolge Schindler ihm sein Geschäft weggenommen und ihn brutal behandelt habe. Erst nach Stalingrad hätte er sich eines Besseren besonnen. Wenn nun auch eine öffentliche Reaktion auf die Erklärung überhaupt night bemerkbar war und einige Blätter darauf hinwiesen, daß nur ein sich als Nazi Gebender in der Lage gewesen sein konnte, eine derartige Zahl von Juden zu retten, tat Schindler das Klügste, das in einem derartigen Fall zu tun war: Er ließ sich, um die Möglichkeit einer unliebsamen Szene von vornherein auszuschalten, krank melden. Der Platz neben dem Staatspräsidenten blieb unbesetzt, aber ein Baum an der „Straße der gerechten Christen“ trägt dennoch den Namen Oskar Schindler, dessen Träger nach der Feier durch einen gigantischen Empfang geehrt wurde. Wie kein Deutscher vor ihm.

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