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Vor 60 Jahren wurden Zehntausende ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter quer durch Österreich getrieben. Das Projekt "Mobiles Erinnern" ruft ihr kaum bekanntes Schicksal in Erinnerung.

Ich hatte die Nummer 3506, bewohnte die Baracke 39 des Arbeitslagers Wien-West und arbeitete in der Nachtschicht in den Saurer-Werken", erinnert sich in gebrochenem Deutsch der ungarische Jude Bela Varga, der als 14jähriger aus Ungarn nach Österreich verschleppt worden war.

Vor Kriegsende befanden sich etwa 100.000 ausländische Zwangsarbeiter auf dem Gebiet des heutigen Österreichs, die vor allem in der ns-Kriegswirtschaft als billige und dringend benötigte Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Unter ihnen befanden sich auch an die 40.000 ungarische Juden.

100.000 Zwangsarbeiter

Am 19. März 1944 okkupierte die Deutsche Wehrmacht Ungarn, wo zu diesem Zeitpunkt knapp 800.000 Menschen, die gemäß den nationalsozialistischen Rassegesetzen als Juden galten, lebten. Bis auf einige Ausnahmen hatte sich das Land bis dahin geweigert, seine jüdischen Bürger auszuliefern und der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie preiszugeben, wenn auch Juden, als Entgegenkommen gegenüber dem Deutschen Reich, seit 1938 zunehmend aus dem Kultur- und Wirtschaftsleben verdrängt worden waren. Unter dem Druck der Okkupanten verordnete die Regierung unter Miklós Horthy ab April 1944 die Gettoisierung und ab Mai 1944 dann auch die Deportation der ungarischen Juden.

Zwischen dem 14. Mai und dem 9. Juli wurden mehr als 440.000 Menschen aus Ungarn verschleppt. Die überwiegende Mehrheit wurde nach Auschwitz gebracht, wo drei Viertel unmittelbar nach der Ankunft vergast wurden. Der Rest kam zur Zwangsarbeit nach Österreich.

Gegen Kriegsende wurden sie vor allem zum Stellungsbau im Grenzgebiet, den so genannten "Schanzarbeiten" für den Ostwall, eingesetzt. Die deportierten Zwangsarbeiter waren zumeist nicht in Konzentrationslagern interniert, sondern sie waren in Lagern in österreichischen Städten und Dörfern und in landwirtschaftlichen Betrieben untergebracht und waren so für die österreichische Zivilbevölkerung zumeist gut sichtbar.

Im Frühjahr 1945 wurde aufgrund des Heranrückens der Front die Evakuierung der Zwangsarbeiter ins Reichsinnere angeordnet. In Todesmärschen wurden sie zu den Konzentrationslagern Mauthausen und Ebensee und weiter nach Gunskirchen in Oberösterreich getrieben. Es galt die Parole, dass kein Zwangsarbeiter lebend in die Hände der Alliierten fallen sollte. Diejenigen unter ihnen, die zu schwach oder krank waren mitzuhalten, wurden ermordet. Unzählige starben außerdem auf dem Weg an den Folgen der schlechten Versorgung, den Gräultaten und Seuchen.

Kaum bekanntes Schicksal

Bela Varga hatte Glück und überlebte: Da die Lagerführung geflohen war, riss er den Gelben Stern von seiner Kleidung, um nicht von SSlern erschossen zu werden, verließ das Lager und fand zusammen mit seiner Familie Unterschlupf in einem Haus im dritten Wiener Gemeindebezirk.

An das kaum bekannte Schicksal der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter, die im Frühjahr 1945 in Todesmärschen quer durch Österreich getrieben worden waren, erinnert genau 60 Jahre später das vom oberösterreichischen Künstler Christian Gmeiner initiierte Projekt "Mobiles Erinnern". Eine von Gmeiner gestaltete Stahlskulptur (siehe Bild unten) wird an verschiedenen Orten, durch welche die Route der Todesmärsche führte, für einige Zeit aufgestellt. Ausgangspunkt war bereits im April 2004 das Holocaustmuseum in Budapest. Begleitende Informationsmaterialien sollen der Bevölkerung Ziel und Inhalt des Projekts verdeutlichen. In einem Briefkasten, der in der Nähe des Mahnmals aufgestellt wird, werden außerdem sowohl Reaktionen der Bevölkerung als auch erhaltene Fotos und Dokumente gesammelt, die anschließend an das Projekt publiziert werden sollen.

Ein Projekt, das umso wichtiger erscheint, als die Todesmärsche in der Topografie des Erinnerns und Vergessens, die die österreichische Gedächtnislandschaft seit 1945 strukturiert, eine spezifische Leerstelle bilden, so Heidemarie Uhl, Historikerin und Mitarbeiterin des Forschungsprogramms "Orte des Gedächtnisses" an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. "Auf offizieller Ebene wurde unter dem Vorzeichen der Opferthese die österreichische Mitverantwortung für die Verbrechen des ns-Regimes ausgeblendet und der österreichische Freiheitskampf in den Vordergrund gerückt", schreibt die Historikerin in der Broschüre, die begleitend zu dem Projekt als Informationsmaterial zur Verfügung steht. "Die Erinnerung an den Holocaust blieb ... weitgehend eine Leerstelle im öffentlichen Raum. An die ermordeten ungarischen Juden entlang der Routen der Todesmärsche, deren Leichen nach Kriegsende exhumiert und in Massengräber verbracht worden waren, erinnert zumeist nichts."

Mobil erinnern

Eben als Antwort auf diese Leerstelle und als Konfrontation mit der eigenen Tätergeschichte versteht sich das Projekt "Mobiles Erinnern". Christian Gmeiners Engagement, die Erinnerung an die durch Österreich getriebenen jüdischen Zwangsarbeiter aufrecht zu erhalten, begann mit der Konfrontation des eigenen Unwissens über dieses Kapitel der österreichischen nationalsozialistischen Vergangenheit: Zum ersten Mal habe er von den Todesmärschen bei einem Besuch in Israel durch einen Überlebenden erfahren. "Es war für mich erschreckend, dass die meisten meiner Landsleute keine Ahnung von dieser Tragödie haben."

Dass das Denkmal auf Anerkennung stößt, zeigen, so Gmeiner, die Blumen, Kerzen und Steine, die bei den Stationen auf das Denkmal gelegt werden. Eine Anerkennung und ein Interesse für dieses Kapitel der Geschichte, die in Österreich nicht selbstverständlich ist, wie auch das Beispiel der Rosa-Fischer-Gasse in Simmering, dem 11. Wiener Gemeindebezirk beweist: Die Jüdin Rosa Fischer war im Sommer 1944 aus Ungarn nach Wien verschleppt worden, um im Gaswerk zu arbeiten. Am 24. August verstarb sie in einem Sammellager für kranke Juden. Bei der Benennung der Gasse 2003 hatte es allerdings keinen Konsens gegeben.

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