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Buchzeile als Grabstein

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Das „Totenbuch Theresienstadt" ist ein Werk eigener Art, inhaltlich wie durch seine Geschichte. Kernstück ist eine 163 Seiten lange Liste von Namen, von Adolf Abeles, dessen Geburtsdatum verweht ist und der am 11. August 1942 in Theresien-

stadt starb, bis Kersch Zwirn, geboren 1868, mit den 1.300 Juden des elften Transports am 25. September 1942 von Wien nach There>-sienstadt verschickt und dort ein Jahr und drei Wochen später, am 15. Oktober 1943, verstorben.

Es sind, von Adolf Abeles bis Kersch Zwirn, die Namen der nach Theresienstadt gebrachten und dort oder in den Vernichtungslagern umgekommenen österreichischen Juden. 15.122 wurden hingebracht, 7.763 weiterdeportiert, 1.272 erlebten die Befreiung. Theresienstadt war für 88.000 Menschen Durchgangsstation zum Tod, für 33.000 letzte Station, 25.000 wurden befreit. Das Totenbuch ist den österreichischen Opfern gewidmet.

Diese lange, lange Liste dient nicht, nicht in erster Linie, der Information. Sie ist ein Werk der Pietät. Das Buch soll Menschen, denen nicht nur das Leben, sondern auch die Würde des Todes genommen wurde, deren Asche irgendwo in Wind oder Fluß gestreut wurde, wenigstens als gedruckte Zeile verschaffen, was sonst auf ihren Grabstein geschrieben worden wäre. „Es ist uns unvergleichlich schmerzlicher. Verstorbener zu gedenken, die keine Grabstätte haben", schreibt Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg - darum „soll dieses Totenbuch wie ein Friedhof sein, auf dem wir unsere Augen von Namen zu Namen wandern lassen."

Dies mögen, das ist der Wunsch von Herausgeberin Mary Steinhauser, auch NichtJuden tun. Vielleicht finden sie den Namen von Nachbarn, die „damals" plötzlich verschwanden. Oder derer, die plötzlich die Wohnung „freimachen" mußten, in der sie heute leben. Oder dessen, von dem ein Verwandter 1938 oder 1939 das Geschäft „übernahm".

Mary Steinhauser wurde in Wien geboren, emigrierte mit den Eltern nach Shanghai, kehrte noch als Kind zurück, kam auch später, nach Auslandsaufenthalten, immer gern wieder heim — zählt aber zu jenen, die die Rückkehr heute mit anderen Augen sehen und nicht mehr sicher sind, daß sie richtig war. Zu den schok-kierenden Erfahrungen des letzten Jahres zählt sie die allen Ernstes vorgebrachte Forderung, die österreichischen Juden mögen sich von den ausländischen distanzieren. Und daß sich so viele in diesem Land jetzt um dessen Image in der Welt mehr Sorgen machen als um die Sache und um Österreichs Image vor sich selbst.

Die erweiterte Neuauflage des Totenbuches ist eine Einladung vor allem an junge Menschen, ins

Gespräch zu kommen. Mary Steinhauser ist kein resignativer Typ und wälzt einschlägige Pläne.

Aber der bittere Geschmack im Mund der österreichischen Juden und überhaupt aller Antinazis wird um so schärfer, je unverblümter sich der Ungeist wieder äußern darf. Soll man lachen oder weinen oder beides tun, wenn man von der Herausgeberin hört, daß ihr ein Nationalratsabgeordneter, der sich als Antinazi brüstet, mit dem Vorwurf kam, Österreichs Antifaschisten verhielten sich „zu gefühllos gegenüber den Kriegsteilnehmern"?

Das Werk dient auch der Klärung der Begriffe. Anton Pelinka etwa schreibt auf wenigen Seiten diesem Nachkriegsösterreich dessen „gegenläufige Geschichte" auf eine Weise ins Stammbuch, die sich gewaschen hat: „Frei von wem, befreit von wem? Die Doppelbödigkeit der österreichischen Vergangenheit erlaubt ein elastisches Balancieren, ein augenzwinkerndes Verschweigen der jeweils anderen Seite historischer Wirklichkeit" - ein Satz wie dieser ersetzt ganze Schulstunden.

TOTENBUCH THERESIENSTADT- Damit sie nicht vergessen werden. Erweiterte Auflage. Mit Beiträgen von Kardinal Franz Kö- ‘ nig, Jonny Moser, Peter Dusek, Peter Hue-mer, Bruno Kreisky, Michaela Ronzoni u. a. Herausgeber: Mary Steinhauser und Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, mit Zustimmung des Herausgebers von 1971 Prof. Dr. Georg Weis. Junius Verlag, Wien 1987.256 Seiten,In.. öS 350.-.

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