"Die Zweite Republik und ihre Juden": Tennenbaum stört

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Eine Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien zeigt, warum der jungen Republik der Bruch mit der Vergangenheit nicht gelang.

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Eine Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien zeigt, warum der jungen Republik der Bruch mit der Vergangenheit nicht gelang.

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Von links empfängt einen das breite Grinsen Helmut Qualtingers in schwarz-weiß. Von rechts bedroht den Besucher das riesige braune Holzpferd, ein Relikt aus der Zeit der "Waldheim-Kampein". Was nicht gleich stimmig erscheint, fügt sich bald zum "Versuch über die 2. Republik und ihre Juden", so der Untertitel der aktuellen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien. Der Beitrag zum Republik-Jubiläum heißt "Jetzt ist er bös, der Tennenbaum" und bezieht sich auf ein Zitat von Helmut Qualtinger und Carl Merz aus dem satirischen Ein-Personen-Stück "Der Herr Karl", in dem der österreichische Kleinbürger als ewiger Opportunist demaskiert wird.

Im Titel der Ausstellung steckt auch schon die Botschaft: Der Herr Karl fühlt sich von Tennenbaum brüskiert, weil dieser nach seiner Rückkehr 1945 seinen Gruß nicht erwidert. Offensichtlich will Tennenbaum "die Hetz der Reibpartie" nicht so lässig wegstecken wie der Herr Blockwart. In dieser Video-Endlosschleife hört und sieht man auch, wie Qualtinger die unsterblichen Stereotypen wiederholt: "Im Gemeindebau hamma an Judn ghabt, an gewissen Tennenbaum, sonst a netter Mensch...."

Der Herr Karl will Opfer sein

Schon 1961, nach der Premiere der demaskierenden Satire, wurden die Autoren als "Nestbeschmutzer" beschimpft. Die Reaktion von Teilen des Publikums war sowohl eine Bestätigung als auch eine Fortsetzung des Stückes: Der Herr Karl und seine leibhaftigen Ebenbilder reagieren mit dem gleichen Unverständnis und derselben jämmerlichen Wehleidigkeit. Sie sind angerührt, weil die Opfer nicht vergessen können und wollen, wie sie gedemütigt, gequält, gejagt und verjagt wurden. Es ist diese permanente Verweigerung, die nahtlos in die Identifikation mit der Opferrolle nach 1945 übergeht. Erschreckender als dies in der Figur des Herrn Karl gelang, kann man es nicht formulieren: In seiner Erinnerung daran, dass er Tennenbaum zum Gehsteig-Aufwaschen von feindlichen Parolen gezwungen hatte, konstatiert er: "I hab an Juden gführt, i war a Opfer."

Wer eine lückenlose zeitgeschichtliche Darstellung der Jahre 1945-2005 in dieser Ausstellung sucht, wird nicht fündig. "Es geht nicht um die Aufzählung längst bekannter historischer Fakten", erläutert Felicitas Heimann-Jelinek, Kuratorin der dichten Präsentation. Es geht vielmehr darum aufzuzeigen, dass der jungen Republik nach 1945 der Bruch mit der Vergangenheit nicht gelang. In den neun klar definierten Räumen findet man subtile wie auch plakative Beispiele für die brutale bürokratische Unsensibilität, für die individuelle Borniertheit und die antisemitische Grundhaltung in der österreichischen Gesellschaft, die durch jahrzehntelange parteipolitische ideologische Unaufrichtigkeit nur noch verstärkt und befördert wurde. Beispiele zum Schaudern gefällig? Am 16. April 1946 schrieb der Hohenemser Bürgermeister Amann in einem Antwortschreiben an die Bezirkshauptmannschaft in Feldkirch bezüglich der Daten zu einem neu angekommenen kz-Häftling: Bei "früherer Wohnort" und "vorheriger Wohnung" gab er die Konzentrationslager Dachau und Plaszow an.

"Sagerland Österreich"

Auch der Mangel an Empathie und der menschenverachtende Zynismus sind von 1945 an ungebrochen bis zum heutigen Tag dokumentiert. Unter dem Titel "Sagerland" Österreich sind Wortspenden aus allen politischen Lagern "gerecht" aufgeteilt: "Wer einmal schon für Adolf war, wählt Adolf auch in diesem Jahr", hieß 1957 der Wahlslogan der spö für den Bundespräsidentschaftskandidaten Adolf Schärf. Im Jahr 1975 bekannte Kärntens Landeshauptmann Leopold Wagner, stolz darauf zu sein, "ein hochgradiger Hitlerjunge gewesen zu sein." Und Bruno Kreisky denunzierte im selben Jahr Simon Wiesenthal als "Gestapo-Kollaborateur". Doch auch der heute viel zitierte övp-Bundeskanzler Leopold Figl vermerkte am 14. Jänner 1947 zum Thema der eventuellen Rückstellung jüdischen Vermögens an die Beraubten: "Die Juden wollen halt rasch reich werden."

"Die persönliche und institutionelle Gesinnungskontinuität unterstützt durch die österreichische Opferthese ist anhand von vielen Fakten belegbar", weiß die Kuratorin, die mit ihrem Team über ein Jahr an diesem Projekt gearbeitet hat. "Die Tabuisierung der Vergangenheit in Gesellschaft und Politik hat sich zwischen 1945 und1986 die Waage gehalten. Erst nach der Waldheim-Affäre wurde dieser alles verharmlosende Schleier teilweise gelüftet", so Heimann-Jelinek.

Zufällig nicht ermordet

Erst mit dem Generationenwechsel zu Bundeskanzler Franz Vranitzky, den jungen Zeithistorikern und dem zeitlichen Abstand wagte man sich an die Thematik heran, auch von offizieller Seite. Eine Breiten- oder gar Tiefenwirkung auf das Bewusstsein der Bevölkerung hat das trotz allem nicht bewirkt. Das Leben der verschreckten, auf ein Häuflein von "displaced persons" (siehe Kasten), kz-Überlebenden, oder so genannten "u-Booten" geschrumpften jüdischen Gemeinde nach 1945 reduziert sich bis zum heutigen Tag auf ein Ringen nach Legitimation und argumentatives Verteidigen. Mit Alfred Polgar gesagt: "Die zufällig nicht umgebracht wurden, müssen ihren Frieden machen mit denen, die zufällig nicht mehr dazu gekommen sind, sie umzubringen."

Wenig optimistisch für die Zukunft ist die Kuratorin. "Seit 2000 wird rechte Politik gemacht - und die Semantik spielt da eine große Rolle." Dem ist schwer zu widersprechen, wenn man selbst drastisch und anschaulich erlebt, wie nicht nur aktive Politiker, sondern auch pensionierte Bildungsbürger unermüdlich und fleißig an der Auffrischung der Opferrolle Österreichs arbeiten. Erst kürzlich sangen bei einer Buchpräsentation über die Geschichte der österreichischen Diktatur 1933-38 drei elegante ältere Herren ein Loblied auf den judenfreundlichen Ständestaat: "Den Juden wurde vor dem Einmarsch der Deutschen kein Haar gekrümmt", triumphierte ein österreichischer Diplomat.

"Lediglich ausgegrenzt"

Die Ansage ist klar und bestätigt das aktuelle Ausstellungskonzept: Solange das Blut nicht vom Messer spritzte, nicht körperlich vernichtet, sondern lediglich ausgegrenzt, diskriminiert, gedemütigt wurde, war eh' alles leiwand. Diese Herren besuchen regelmäßig Veranstaltungen der derzeit Regierenden. Sie sitzen beisammen, lauschen begeistert den revisionistischen Umdeutungen - und nicken ab. Warum man diese Artikulationen einiger Pensionisten nicht mit einer Handbewegung abwinken soll? Weil sie alle ein Umfeld haben, Freunde, Kinder und Enkel.

JETZT IST ER BÖS, DER TENNENBAUM

Die Zweite Republik und ihre Juden

Jüdisches Museum Wien

Dorotheergasse 11, 1010 Wien

www.jmw.at

Bis 4. Juli So-Fr 10-18, Do 10-20 Uhr

Displaced Persons

Als dps (Displaced Persons) bezeichnet man jene rund zwei Millionen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiter und befreiten kz-Häftlinge, die sich gegen die Repatriierung in ihre frühere Heimat sträubten. Diese dps lebten in, in Deutschland, Österreich und Italien eingerichteten dp-Lagern, zumeist Spitälern und Schulen.

Das ns-Regime deportierte während des Zweiten Weltkrieges rund neun Millionen Menschen aus ihrer Heimat ins "Deutsche Reich". Nach der Kapitulation im Mai 1945 repatriierten die Allierten über sechs Millionen in ihre Ursprungsländer.

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