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Hunger, Schmutz und Ungewißheit

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Vor 50 Jahren begann der Heimtransport der österreichischen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion in größerem Umfang.

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Vor 50 Jahren begann der Heimtransport der österreichischen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion in größerem Umfang.

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In jenen Wochen des September und Oktober 1947 begannen die 1 ransporte zu rollen. Der erste traf am 12. September in Wiener Neustadt ein. Unser Transport war der 14., 20 weitere folgten noch vor Weihnachten, dann lief es noch, immer langsamer werdend, bis 1950. Die letzten kamen erst nach dem Staatsvertrag, 1956. Nach meist mehr als zehn Jahren hinter Stacheldraht in Josef Stalins Lagern.

Etwa 130.000 Österreicher dürften sich nach Kriegsende in der Hand der Sowjets befunden haben. Die Hälfte, vorwiegend Kranke, Invalide und Arbeitsunfähige, die für den sowjetischen Wiederaufbau uninteressant waren, konnten noch aus den Frontlagern nach Hause gehen oder wurden 1946 heimgeschickt. Für die übrigen, die „Wiedergutmachung leisten” sollten, hatte Stalin einer österreichischen Frauendelegation versprochen, sie bis Weihnachten 1947 heimzuschicken. Acht bis zehn Prozent der Arbeitsleistungen des ersten Nachkriegs-Fünfjah-resplanes wurden von den Kriegsgefangenen erbracht.

Länger warten mußten jene, die im Netz der sowjetischen Justiz hängen blieben - Angehörige der SS, der Gestapo, der Polizei, gewisser „belasteter Einheiten”, die auf der schwarzen Liste der Sowjets standen -, aber auch manche, die von Kameraden denunziert worden waren oder die auch nur Opfer von Verwechslungen oder der Sippenhaftung wurden.

Für uns, die wir am 24. Oktober in Wiener Neustadt eintrafen, hatte die Gefangenschaft „nur” zweieinhalb Jahre gedauert, seit der Kapitulation im Mai 1945. In Böhmen war der Krieg zu Ende, der Versuch, sich nach Österreich durchzuschlagen, scheiterte an der ersten sowjetischen Straßensperre.

Erstes Sammeln auf dem Flugplatz von Deutsch-Brod, Fußmarsch endloser Kolonnen nach Brünn, nach etlichen Lagen die Verladung in Viehwaggons. 14 läge Fahrt, endlich Ankunft in Usman, ostwärts von Woro-nesh am I3on. Das Lager war die Bui-ne eines ehemaligen Klosters. Auf das Offizierslager Usman folgte im Frühjahr 1946 das Arbeitslager in Woro-nesh, im Spätsommer 1947 das Sammellager, von dem aus die Transporte abgefertigt wurden. Zweieinhalb Jahre, die uns geprägt haben.

Was war das Schlimmste in diesen Jahren? Am Anfang wohl der Zusammenbruch einer Welt, an die wir geglaubt hatten, auch wenn die Zweifel immer größer geworden waren. Aber nun mußten wir zur Kenntnis nehmen, was wirklich geschehen war, wovon wir an der Front nur in Ausnahmefällen gewußt, wovor wir mit-* unter wohl auch zu leicht die Augen geschlossen hatten.

Und dann? Die erste Hungerphase endete im Lager in Brünn, die zweite während des Transports nach dem Eintreffen in Usman. Aber dann im Winter, als die Suppe aus warmem Wasser mit gefrorenen Krautfetzen und ebenfalls gefrorenen Kartoffelstückchen bestand, da wuchsen die Hungerphantasien. Wir tauschten

Kochrezepte aus und stellten Menüpläne auf, die wir „später” verwirklichen wollten.

Noch vorher war es der Schmutz. Die Wasserleitung im Lager bestand aus einem angestochenen Rohr, durch dessen Löcher eine Stunde am Tag das Dieselaggregat der Kommandantur ein dünnes Rinnsal pumpte - für 2.000 Mann Belegschaft zu wenig, um sich gelegentlich Gesicht und Hände naßmachen zu lassen. Erst im November wurde die Banja (Dampfbad) gebaut, die einmal im Monat eine heiße Dusche, Dampfbad, Entlausung möglich machte - und erstmals seit Mai frische Wäsche.

Später, in Woronesh, wurde es besser. Die Arbeit an der Eisenbahnlinie Moskau-Rostow war hart, nur für die Gesündesten durchzuhalten - aber die Verpflegung gab uns wieder Kraft. An die Primitivität sowjetrussischer Küche mit Suppe, Kascha (Rrei, meist aus Hirse), Tee und Brot waren wir längst gewöhnt. Hier gab es auch gelegentlich den Kontakt zur Zivilbevölkerung, die Möglichkeit, erste Russisch-Kenntnisse an den Mann zu bringen. Hier erkannten wir auch bald, daß die Menschen hier im Sowjetsystem in vielen Relangen noch viel schlechter dran waren als wir Vojen-noplennije (Kriegsgefangene).

Zu Weihnachten 1947 kam der-Be-fehl, die österreichischen Offiziere aus dem Arbeitseinsatz abzuziehen. Die Kriegsrechtsordnung sah vor, Offiziere nur zur Erhaltung des Lagers einzusetzen. Für die Deutschen war dieser Passus im Frühjahr 1946 von den Sowjets außer Kraft gesetzt worden. Nun sollten die Österreicher den Ungarn gleichgestellt werden also Arbeitseinsatz nur auf freiwilliger Basis. Bei uns gab es keine Freiwilligen, was uns wilde Schimpfkanonaden des Arbeitsoffiziers einbrachte - aber wir halten nun unsere Buhe.

Im Sommer 1946 waren die ersten Karten verteilt worden, um heimschreiben zu können. Im Oktober kam die erste Post, sickerten die ersten Nachrichten durch. Im Frühjahr 1947 gelang es fallweise, aus der „Iswesti-ja” zu erfahren, was in der Welt vor sich ging. Später kamen einzelne Nummern der „Österreichischen Zeitung” der Sowjetmacht in Österreich, oder der „Volksstimme”.

Und das brachte die nächste Belastung: die Ungewißheit über das Schicksal der Angehörigen, das bewußt düster gehaltene Bild, das die kommunistischen Zeitungen von der Heimat malten; das Gefühl, das Leben verrinne, ohne daß wir es selbst gestalten könnten; das Bewußtsein, zu Hause werde aufgebaut, ohne daß wir dabei sein konnten.

Zweieinhalb Jahre, die erst ein Ende hatten, als wir am 24. Oktober 1947 in den frühen Morgenstunden in den zerbombten Bahnhof von Wiener

Neustadt stolperten.

Neun Jahre später meldete die Sowjetregierung amtlich den Abschluß der Repatriierung der Kriegsgefangenen - waren es wirklich alle? Stefan Karner, der Grazer Historiker, der sich auf diesen Aspekt der Zeitgeschichte spezialisiert hat, konnte erst nach der Wende in sowjetischen Archiven dem Schicksal der österreichischen Kriegsgefangenen nachgehen. Er bezweifelt, ob es alle waren.

Er belegt mit Dokumenten, was für uris nur praktische Erfahrung war. Er schildert das Leben in den Lagern, die Willkür der Sowjetjustiz, die Durchführung des Heimtransports, nicht nur für die Kriegsgefangenen, sondern auch für die Zivilinternierten und Verschleppten.

Vieles wird durch Karners Forschungen erklärt, ausgeleuchtet, vieles auch haben wir anders erlebt, als die von ihm in erster Linie herangezogenen Fälle aus der Zeit vor Kriegsende. Die von ehemaligen I .agerinsassen beigestellten Fotos müssen aus der Spätzeit der frühen fünfziger Jahre stammen. Zu unserer Zeit gab es keinen Fotoapparat im Lager, keine Möglichkeit, an Filme heranzukommen.

Zu den Spätheimkehrern zählte auch Erwin Peter, der noch im März 1945 als Sechzehnjähriger zur AVaffen-SS eingezogen worden war, von den Amerikanern in Oberösterreich an die Sowjets ausgeliefert und erst 1950 entlassen wurde. Er konnte sich die Mitarbeit eines jungen russischen Historikers sichern und schildert das Schicksal der Kriegsgefangenen in Erinnerungen und Dokumenten aus russischen Archiven. Eine durchaus interessante Ergänzung zu Karner, wenn auch ohne die jenem eigene wissenschaftliche Distanz zum Geschehen.

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