Josef Wall - © privat

Mariupol

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Entsetzliche Bilder von der Zerstörung Mariupols: Der Schriftsteller Richard Wall liest die Notizen über die Erzählungen seines Vaters wieder, der 1945 als Kriegsgefangener dorthin gebracht wurde.

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Entsetzliche Bilder von der Zerstörung Mariupols: Der Schriftsteller Richard Wall liest die Notizen über die Erzählungen seines Vaters wieder, der 1945 als Kriegsgefangener dorthin gebracht wurde.

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Bilder aus den Spätnachrichten haben mich quälend die Nacht hindurch eines gesunden Schlafes beraubt. Zu sehen war eine kurze Sequenz von Bomben- oder Raketeneinschlägen in einem Spital. Schwestern, Ärztinnen und Ärzte suchten Deckung, eine Schwester mit Mund- und Nasenschutz fand mit einem Säugling in ihren Armen – das kleine Köpfchen war gut zu erkennen – Schutz hinter einem Mauervorsprung. Neben ihr ein Chaos aus Betontrümmern, Schutt, kreuz und quer stehenden Betten. Ich kann nicht mehr sagen, ob sie leer waren oder ob darin Menschen lagen, vielleicht ­gerade starben.

Und es sah aus, als würde bereits Tageslicht in den Raum eindringen, weil Dach und Decke weggebombt worden waren. Wahrscheinlich hatte sich diese nur etwa drei Sekunden dauernde Impression aus einem Kriegsinferno – wahrscheinlich mit einem I-Phone oder dergleichen aufgenommen – deswegen so eingebrannt, weil sie einerseits sinnlose Zerstörung zeigte, andererseits das Bemühen eines Menschen, ein junges Leben unter Lebens­gefahr zu schützen und zu retten.

Ich weiß nicht mehr, ob dabei der Name Mariupol fiel, wo auch eine Kunstschule, in der Frauen und Kinder Schutz gesucht hatten, dem Erdboden gleich gemacht worden war. Schnitt. Die ­nächste Naheinstellung kam jedenfalls, so zumindest die Ansage, aus Mariupol: Ein, wie aus dem Off gesagt wurde, 18-jähriges Mädchen. Sie klammerte sich mit ihren beiden Händen an ein Smartphone. Es konnte das Zittern ihrer Hände nicht verbergen. In Tränen ausbrechend erzählte sie, stammelnd, sie habe vor Tagen aus der seit dem 1. März eingekesselten Stadt fliehen können, wisse aber nicht, wie es ihren Verwandten und Freundinnen dort gehe …

Der Kampf geht weiter

Schon vor Tagen hieß es in ­einem Bericht, Mariupol, in Friedenszeiten eine Stadt mit rund 450.000 Einwohnern, sei bereits zu 80 Prozent zerstört und stehe vor der Einnahme durch die russischen Truppen. Tausende Frauen und Kinder seien über die Grenze nach Russland verschleppt worden, ­eine Kunstschule, in der Bewohnerinnen, alte Leute und Kinder Schutz gesucht hatten, sei aus­radiert ­worden. Am Morgen des 21. März die lapidare Nachricht, die ukrainische Regierung habe ein vom russischen Militär gestelltes Ultimatum an die Verteidiger von Mariupol zur Kapitulation abgelehnt. Die Bombardements und der Kampf gehen weiter.

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