Wladimir Putin: Der neue Unmensch
An Wladimir Putins Taten und Worten offenbart sich, was der Westen nach 1945 verdrängt hat: Krieg und Entmenschlichung sind auch heute eine Option – mit dem Segen des Moskauer Patriarchen.
An Wladimir Putins Taten und Worten offenbart sich, was der Westen nach 1945 verdrängt hat: Krieg und Entmenschlichung sind auch heute eine Option – mit dem Segen des Moskauer Patriarchen.
Lange wurde zumindest der Anschein gewahrt. Doch damit ist es seit dem 24. Februar endgültig vorbei. In fast täglich neuen Eskalationen treibt Wladimir Putin seinen grausamen Zerstörungs- und Vernichtungskrieg in der Ukraine, insbesondere in Mariupol, voran – und zugleich sein Unterdrückungsregime gegenüber der eigenen Bevölkerung weiter. Die Social-Media-Plattformen Facebook und Twitter wurden wegen „extremistischer Aktivitäten“ in Russland verboten – und Putin-Kritiker Alexej Nawalny diese Woche in einem kafkaesken Strafkolonie-Schauprozess zu weiteren neun Jahren Haft verurteilt. Dass nach der gerichtlichen Farce kurzzeitig sogar Nawalnys Anwälte verhaftet wurden, zeigt, dass der Mann im Kreml selbst rechts-staatliche Camouflage mittlerweile für überflüssig hält.
Endgültige Klarheit darüber, welch entmenschlichendem Freund-Feind-Denken der Moskauer Despot anhängt, brachten vergangene Woche seine Reden im Fernsehen sowie beim propagandistischen Jubelfest im Moskauer Luschniki-Stadion anlässlich des achten Jahrestags der Einverleibung der Krim. Unter dem Banner „Für eine Welt ohne Nazismus“ – gemeint ist die Ukraine unter ihrem jüdischen (!) Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – sprach Putin von „Volksverrätern“, die man „ausspucken“ werde wie Fliegen, von einer „Selbstreinigung“ der Gesellschaft – und von einer „Endlösung“ der „ukrainischen Frage“. Anno 2022 dieses Wort zu verwenden, das auf der Wannseekonferenz am 20. Jänner 1942 zur industriellen Vernichtung der europäischen Juden geprägt worden war, markiert einen absoluten Tabubruch – ja eine „Detonation der politischen Rhetorik“, wie der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück in einem Kommentar für katholisch.at richtig konstatiert.
Gegen die „globalistischen Eliten“
Dass Putin mittlerweile sprachliche Anleihen bei Adolf Hitlers Programmschrift „Mein Kampf“ nimmt, wirft einmal mehr die Frage nach dem geistigen Unterbau seines Kriegstreibens auf. Vielfach erwähnt wurde hier bereits der Einfluss des rechtsextremen Philosophen und Politologen Alexander Dugin, in dessen binärer Weltsicht der gesamten liberalen westlichen Moderne der Kampf anzusagen ist. Insbesondere der „große Umbau“ – Great Reset – und der „Sumpf“ der „globalistischen Eliten“ stehen hier im Fokus. Auch wenn es Putin (nach Denkart Dugins) heute nicht um eine rassische „Reinigung“ der Bevölkerung geht, wie sie die Nationalsozialisten verfolgten: der Antisemitismus bleibt in der manichäischen Weltsicht eine unselige Konstante.
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