Kyrill - © APA / AFP / Pool / Alexander Zemlianichenko

Kyrill & Co im Ukrainekrieg: Todeskult und Überlebenskampf

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Eine gefügige Kirche sowie ein identitätsstiftendes Retro-Konglomerat aus der Ideenwelt alter imperialer Größe sollen die Opferbereitschaft der Bevölkerung für Russlands Krieg gegen die Ukraine aufrechterhalten und die Reihen hinter Wladimir Putin schließen.

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Eine gefügige Kirche sowie ein identitätsstiftendes Retro-Konglomerat aus der Ideenwelt alter imperialer Größe sollen die Opferbereitschaft der Bevölkerung für Russlands Krieg gegen die Ukraine aufrechterhalten und die Reihen hinter Wladimir Putin schließen.

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Es ist der 23. Februar 2012, Endspurt im Wahlkampf um das russische Präsidentenamt. Wladimir Putin spricht vor über 100.000 begeisterten Anhängern im Moskauer Luschniki Sportstadion: So lasst uns denn vor Moskau sterben / Wie unsre Brüder schon gestorben sind / Denn, dass wir sterben, haben wir versprochen / Und uns’ren Treueschwur, wir halten ihn / In Borodinos Schlacht. Die Verse, hier frei übersetzt vom Autor dieser Zeilen, stammen aus der Feder von Michail Lermontow, einem der großen russischen Nationaldichter. Der setzte mit seinem monumentalen Poem „Borodino“ der heldenhaften Opferbereitschaft der russischen Soldaten ein literarisches Denkmal.

In einer gewaltigen Abwehrschlacht gegen Napoleons Grande Armée im September 1812 vor dem Weiler Borodino, rund 100 Kilometer westlich von Moskau, sollten sie den Eroberungsfeldzug der Franzosen stoppen. Putin stilisierte seine Kandidatur als Ausdruck seiner grenzenlosen Heimatliebe, für die er bereit sei, den Kampf gegen alle äußeren und inneren Feinde aufzunehmen: „Die Schlacht um Russland geht weiter. Und der Sieg wird unser sein!“

Weit und breit kein Napoleon in Sicht, aber nur wenige zeigten sich irritiert angesichts der Unangemessenheit dieses martialischen Tons, als ginge es um die Existenz Russlands und nicht bloß um ein Unterfangen, das zum fixen Repertoire einer jeden Demokratie gehört: freie und faire Wahlen, bei denen sich der Kandidat mit den besten Zukunftsideen durchsetzen möge. Aber nicht einmal die schärfsten Putin-Kritiker konnten damals ahnen, dass dieser Mann, fast auf den Tag genau zehn Jahre später, den brutalsten Krieg in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs vom Zaun brechen würde.

Heldenrhetorik hat Konjunktur

Heldenrhetorik und die Beschwörung von Opferbereitschaft haben in Russland seither wieder Hochkonjunktur. Gab es in den ersten Monaten noch vermeintlich rationale Rechtfertigungen für den Überfall auf die Ukraine („Demilitarisierung!“ „Entnazifizierung!“), so bekommen die Anfeuerungen der Propagandisten zuletzt eine zunehmend metaphysische Dimension. „Das Leben ist überbewertet“, resümierte Wladimir Solowjow, der verhaltensauffälligste unter Putins TV-Propagandisten, kurz nachdem in der Silvesternacht Dutzende neu eingezogene russische Soldaten durch ukrainischen Artilleriebeschuss ums Leben gekommen waren. „Wozu vor dem Angst haben, was ohnehin unvermeidlich ist? Umso mehr, da wir doch ins Paradies kommen. Der Tod ist das Ende eines irdischen Weges und der Anfang eines anderen.“

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