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Ukrainischer Botschafter: "Es gibt keinen Plan B"

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Die russische Gesellschaft sei besessen vom neoimperialistischen Gedankengut, sagt Vasyl Khymynets, ukrainischer Botschafter in Österreich. Über Friedensdebatten, Trugschlüsse und Putins mögliches Ende.

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Die russische Gesellschaft sei besessen vom neoimperialistischen Gedankengut, sagt Vasyl Khymynets, ukrainischer Botschafter in Österreich. Über Friedensdebatten, Trugschlüsse und Putins mögliches Ende.

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Diplomat Vasyl Khymynets geht mit jenen, die sich für das u.a. von Alice Schwarzer initiierte „Manifest für den Frieden“ stark machen, hart ins Gericht: „Sie sollten sich schämen“, sagt er im Interview. Auch den Vermittlungsangeboten von Papst Franziskus steht er eher skeptisch gegenüber. DIE FURCHE hat ihn in der Botschaft im 18. Wiener Bezirk besucht.

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DIE FURCHE: Während Ihre Kollegen in nichtneutralen Staaten vor allem immer wieder den Aspekt der Waffenlieferungen ansprechen, sind Ihnen diesbezüglich in Österreich die Hände gebunden. Wie muss man sich Ihre Arbeit stattdessen vorstellen?
Vasyl Khymynets: Als Gespräche - auf Bundesebene, aber insbesondere auch auf Landesebene bzw. Gemeinden- und Bezirksebene. Letztere darf man nicht unterschätzen. Für mich gilt es, den Menschen zu vermitteln, dass die Ukraine bei der Verteidigung des Landes weiterhin abhängig ist von internationaler Hilfe. Und diese Hilfe soll auf zwei Ebenen funktionieren: Erstens braucht es Soforthilfe - also Rettungswagen, Löschfahrzeuge, Bagger, um Trümmer zu beseitigen. Equipment, das Gemeinden besitzen. Wir bekommen fast jeden Tag Ansuchen von Bürgermeistern aus der Ukraine, weil in ihren Dörfern in Folge von Raketenbeschuss Häuser, Schulen, Kindergärten, Arztpraxen zerstört wurden. Ein konkretes Beispiel: Die russischen Luftangriffe im Winter hatten vor allem zum Ziel, den Willen der Ukrainer zu brechen. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen, auch weil österreichische Kommunen rund 500 Generatoren zur Verfügung gestellt haben.

Was nicht weniger wichtig ist: Wir setzen auf Partnerschaften auf Gemeindeebene für die Zukunft. Etwa angesichts des Wiederaufbaus. Die Ukraine wird Unterstützung bei der Transformation benötigen, die für die Erlangung einer EU-Mitgliedschaft wichtig ist. Etwa in Sinne einer Dezentralisierung des Landes, welche infolge einer gelungenen Reform in der Ukraine wichtig ist. Wir benötigen Brückenbauer im symbolischen Sinne. Gerade wird etwa eine Partnerschaft zwischen Innsbruck und Charkiw angedacht. Im Fokus liegt die wissenschaftliche Kooperation. Vor dem Krieg war Charkiw eines der wissenschaftlichen Zentren der Ukraine mit vielen renommierten Universitäten. Kooperationen braucht es auch bei den Themen Umwelt oder Jugend. Hier finde ich ganz oft Ansprechpartner auf Bezirksebene.

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Vasyl Khymynets

Vasyl Khymynets ist seit Herbst 2021 ukrainischer Botschafter in Österreich. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt überfiel Russland sein Heimatland.

Vasyl Khymynets ist seit Herbst 2021 ukrainischer Botschafter in Österreich. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt überfiel Russland sein Heimatland.

DIE FURCHE: Humanitäre Hilfe ist die eine Seite, militärische die andere. Genau diese findet nicht mehr nur Zustimmung. Appelle wie „Die Waffen nieder“ oder Alice Schwarzers und Sahra Wagenknechts „Manifest für den Frieden“ finden immer mehr Unterstützer(innen). Wie ist Ihre Haltung zu dieser Debatte?
Khymynets Als Botschafter der Ukraine sage ich dazu: Wir Ukrainer sind am allermeisten daran interessiert, dass Frieden herrscht, Frieden komme. Wir haben diesen Krieg nicht ausgelöst. Aber die Tatsache, dass man den Druck auf uns Opfer erhöhen will, dass man offen darüber reden will, dass wir Gebiete abtreten sollen, ist unmoralisch und unvereinbar mit dem Völkerrecht. Übrigens: Selbst wenn wir nun aufhörten zu kämpfen, der Friede würde nicht kommen.

DIE FURCHE: Europa, die USA, auch die Ukraine – man hat ein Stückweit darauf gesetzt, dass nach einer gewissen Zeit Teile der russischen Gesellschaft aufbegehren, protestieren würden. Spätestens wenn die Söhne, Ehemänner, Väter an der Front fallen. Doch das ist nicht eingetreten. Viele Korrespondenten westlicher Medien sprechen von einer Art Gleichmut, der in Moskau und andernorts spürbar ist. Gleichzeitig dürften durchaus viele Russen diesen Krieg befürworten. Wie erklären Sie sich das?
Khymynets: Die russische Gesellschaft ist besessen vom neo-imperialistisch-kolonialistischen Gedankengut. Dass diese Haltung allein von Putin ausgeht, also von oben nach unten quasi befohlen wird, ist ein Trugschluss. Das Narrativ, alle Russen seien Opfer der Propaganda des Kreml, ist zu kurz gegriffen, ja falsch. Ein Großteil steht hinter der Idee, das Territorium Russlands auszudehnen. Dass dabei Ukrainer getötet werden, die Zivilbevölkerung tyrannisiert wird, ihre eigenen Landsleute ums Leben kommen, nehmen sie hin. Die Großmachtfantasie ist allgegenwärtig. Auch werden die Ukrainer als Verräter betrachtet, weil wir uns dieser Großmachtfantasie nicht beugen, uns mit Werten wie Demokratie oder Freiheit identifizieren, die Historie anders lesen als sie. Der Unterschied zwischen den Ukrainern und Russen ist sehr deutlich, und dieser Unterschied besteht vor allem in der Werteorientierung. Unsere und russische Gesellschaften leben in verschiedenen Werte-Paradigmen.

Putin ist seit mehr als 20 Jahren Präsident und er hat Russland in eine Sackgasse geführt. So etwas wie russische Prosperität existiert nicht. Deswegen bleibt nur ein Thema, um das sich alles dreht: das Imperium. Die Erzählung lautet: „Wir waren groß und wir müssen dieses territoriale Imperium wiederherstellen. Koste es, was es wolle.“ Selbst die Familien der gefallenden russischen Soldaten prangern den Krieg an sich nicht an. Sie prangern an, dass ihre Söhne, Väter, Ehemänner schlecht ausgebildet wurden, schlecht versorgt worden waren usw. Aber die Sache an sich stellen sie nicht in Frage.

Eine Art von Protest hat man nur im vergangenen Herbst gesehen, als Putin die Teilmobilisierung ausgerufen hat. Damals haben mehrere hunderttausend junge Männer das Land verlassen. Nicht, weil sie gegen den Krieg sind. Sie wollten nur nicht selbst kämpfen oder gar ihr Leben verlieren.

DIE FURCHE: Vielleicht deshalb, weil diese Kritik gerade noch erlaubt ist, während ein offener Protest gegen die so genannte „Spezialoperation“ direkt ins Gefängnis führt?
Khymynets
: Nein. Natürlich gibt es einige wenige, die diesen Krieg verurteilen. Aber grundsätzlich steht die russische Bevölkerung hinter diesem Krieg. Die haben kein Problem, dass ihre Soldaten in einem anderen Land Frauen schänden, Kinder entführen, Menschen abschlachten. Was ich an dieser Stelle noch einmal betonen will: Diese Verbrechen in der Ukraine hat nicht Putin selbst begangen, sondern seine Soldaten. Russen. Man kann nicht alles auf Putin schieben. Eine Art von Protest hat man nur im vergangenen Herbst gesehen, als Putin die Teilmobilisierung ausgerufen hat. Damals haben mehrere hunderttausend junge Männer das Land verlassen. Nicht, weil sie gegen den Krieg sind. Sie wollten nur nicht selbst kämpfen oder gar ihr Leben verlieren.

DIE FURCHE: Dass allen voran die Ukraine Frieden herbeisehnt, ist unbestritten. Wie es diesen Frieden geben kann – darüber lässt sich streiten. Unterschiedliche Expertinnen und Experten kommen zu unterschiedlichen Schlüssen.
Khymynets:
Ich kenne diese Debatte und sie entrüstet mich. Ich verstehe nicht, warum man in dieser Sache uneinig sein kann. Was sind das für die Experten? Sie sollten sich schämen.

DIE FURCHE: Aber wie lässt sich Ihrer Meinung nach Frieden schaffen?
Khymynets
: Dieser Krieg endet, wenn Russland entweder von sich aus die besetzten Gebiete verlässt oder sie verlassen muss, weil es nicht mehr imstande ist, Krieg zu führen. Wer jetzt nach einem Waffenstillstand ruft, hat nicht verstanden, dass es Russland darum geht, die Ukraine auszulöschen. Es würde nach der Pause dort weiterzumachen, wo es angefangen hat. Diese Debatte um einen Waffenstillstand spielt genau einem in die Hände: Putin! Es gibt einen besseren Weg für Frieden – einen kürzeren und nachhaltigeren: der Ukraine mit militärischen Mitteln zu helfen. Warum werden keine Lehren aus der Geschichte gezogen? Die Stunde der Friedensaktivisten hätte vor dem 24. Februar 2022 geschlagen. Oder während jener Zeit, als der Westen mit Russland wirtschaftlichen Beziehungsaufbau betrieben hat. Wo waren da die kritischen Stimmen?

DIE FURCHE: Der Film „Im Westen nichts Neues“ erhielt jüngst den Auslandsoscar. Veranschaulicht wird in diesem Film der Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg, ein Szenario, das immer wieder mit der Situation in oder rund um Bachmut verglichen wird. Um wenige Meter zu gewinnen, werden auf beiden Seiten unzählige Soldaten geopfert. Das Gerücht hält sich hartnäckig, dass der ukrainische Generalstabschef längst hätte abziehen wollen, aber Präsident Selenskyj am Verbleib festhält.
Khymynets:
Aufgeben? Dann würde eine Masse an russischen Soldaten weiterziehen, weiterwüten. Es gibt keinen Konflikt innerhalb unserer militärischen Führung. Das ist ein Gerücht ohne den geringsten Wahrheitsgehalt. Die regelmäßigen Sitzungen der militärischen Kabinetts der Ukraine belegen, dass zwischen dem Präsidenten der Ukraine und der militärischen Führung des Landes Einigkeit herrscht.

DIE FURCHE: Dennoch werden Sie alle Argumente anhören müssen. Allen voran, wenn diese von den Verbündeten kommen, von deren Unterstützung Sie abhängig sind. Gerade in den USA werden weitere Waffenlieferungen seitens der Republikaner immer kritischer gesehen.
Khymynets:
Es stimmt, die Finalisierung, vor allem die militärische, ist nur mit Hilfe der Verbündeten zu erreichen. Gleichzeitig ist diese Hilfe nicht nur selbstlos. Sie ist eine Investition in die Sicherheitsarchitektur Europas, der Welt.

Und sobald wir in der nächsten Zukunft neue militärische Erfolge haben werden, wird das auch Putin selbst schwächen. In Russland wird man sich fragen, ob man einen wie ihn überhaupt noch gebrauchen kann. Ich schließe nicht aus, dass es auch mal er selbst sein kann, der aus dem Fenster fällt…

DIE FURCHE: Dennoch kann man nicht davon ausgehen, dass die Hilfe des Westens noch Jahre in diesem Ausmaß weitergeht. In den USA kann jemand von der Art Donald Trumps ins Weiße Haus einziehen, auch Großbritannien hat mit vielen innenpolitischen Problemen zu kämpfen, und Deutschlands Kanzler machte vor allem durch sein Zögern von sich reden. Zudem sagen Experten, dass die zugesagte militärische Hilfe immer noch nicht reicht, um den Russen ernsthaft etwas entgegensetzen zu können. Was ist der Plan B der Ukraine?
Khymynets:
Es gibt keinen Plan B. Die Staatsoberhäupter, die Regierungschefs all dieser Länder, die Sie genannt haben - aber auch von anderen Ländern - haben verstanden, welche Gefahr Putin für die freie liberale Welt darstellt. Das hat sich insbesondere auf der Münchner Sicherheitskonferenz gezeigt. Man hat erkannt, dass Russlands Dominanz auf dem wirtschaftspolitischen Energiemarkt ein hausgemachtes Problem ist. Auch die vergangenen Mordanschläge des russischen Geheimdienstes auf fremden Territorium, Cyberattacken – man ist sich dessen bewusst, dass der Westen viel früher hätte einschreiten müssen.

DIE FURCHE: Dennoch sind Selenskyjs Gegenüber in den USA, Großbritannien, Brüssel nicht in Stein gemeißelt. Er wird sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, was geschehen wird, wenn die Unterstützung zu bröckeln beginnt.
Khymynets:
Vor allem verstehen unsere westlichen Partner sehr gut, dass die Sicherheit Europas untrennbar von der Sicherheit der Ukraine ist. Ich sage Ihnen: Noch in diesem Jahr wird es auf dem Schlachtfeld eine Entscheidung zu Gunsten der Ukraine geben. Warum? Weil die Russen merken, dass die Ukraine immer stärker wird und sie immer schwächer werden, der Krieg unfinanzierbar wird. Und sobald wir in der nächsten Zukunft neue militärische Erfolge haben werden, wird das auch Putin selbst schwächen. In Russland wird man sich fragen, ob man einen wie ihn überhaupt noch gebrauchen kann. Ich schließe nicht aus, dass es auch mal er selbst sein kann, der aus dem Fenster fällt…

Ich gehe sogar so weit und sage: Der Westen sollte sich vorbereiten auf den Zerfall Russlands. Das kann plötzlich sehr schnell gehen. In Russland gibt es viele kleinere Nationen, Ethnien, die dann aufbegehren werden und eigenständig sein wollen.

DIE FURCHE: Was also braucht es Ihrer Meinung nach, um die Russen auf Dauer aus Ihren Gebieten zu vertreiben?
Khymynets:
Wir brauchen Artillerie. Und Munition, um die Munitionslager der Russen zu vernichten. Für eine erfolgreiche Offensive sind auch weitere Panzer nötig. Und: Wir brauchen die Möglichkeit zur Flugabwehr, um Raketen abfangen zu können. Mit diesen Flugzeugen werden Menschenleben gerettet.

DIE FURCHE: Sie sprechen von Kampfjets.
Khymynets:
Ich spreche von Abwehr. Mit unserer aktuellen Flugabwehr können wir keine ballistischen Raketen abfangen. Dafür braucht es spezielle Flugzeuge wie auch Flugabwehrsysteme.

DIE FURCHE: Was sagen Sie denn eigentlich zu dem Vorschlag von Papst Franziskus, nach Kiew und Moskau reisen zu wollen?
Khymynets:
Wir werden Papst Franziskus zu jeder Zeit in der Ukraine begrüßen. Solch einer Besuch wäre zweifelsohne sehr wichtig und würde eine Einigkeit des ganzen Christentum bedeuten. Die Menschen in der Ukraine wissen die Gebete des Papstes für die Ukraine sowie seine Appelle für das Ende des Krieges zu schätzen. Ich sehe allerdings keine Anzeichen, dass das Putin-Regime diesen Krieg beenden will.

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