Gott eroberte die Stadt ohne Gott

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Johannes Paul II. besucht zur Zeit Polen. Ein Lokalaugenschein in Nowa Huta, für das sich Kardinal WojtyÚla von Krakau so einsetzte.

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Johannes Paul II. besucht zur Zeit Polen. Ein Lokalaugenschein in Nowa Huta, für das sich Kardinal WojtyÚla von Krakau so einsetzte.

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Genau 20 Jahre nach seiner ersten Polenreise besucht Johannes Paul II. zum achten Mal seine Heimat. Damals, 1979, war die erste Reise des katholischen Kirchenoberhauptes in ein sozialistisches Land eine Sensation. In seiner Ansprache auf dem Warschauer Siegesplatz rief der Papst: "Dein Geist erneuere die Erde - diese Erde". Für viele Beobachter des politischen Wandels in Polen war dieser Auftritt eine Schlüsselszene. Hier wurde die Saat für "Solidarität", die erste unabhängige Gewerkschaft im früheren Ostblock, und für den Zusammenbruch des Kommunismus gelegt. Das Gefühl einer Sensation wird auch dem jetzigen Besuch beigemessen. In Polen ist die Meinung verbreitet, nach dieser Visite wird sich etwas zum Positiven ändern. Diesmal aber nicht unter politisch-gesellschaftlichen, sondern unter geistig-religiösen Aspekten.

Besonderen Grund zur Freude haben die Bewohner von Krakau, dem früheren Bischofssitz von Karol WojtyÚla. Seine Visite in dieser Stadt, übrigens schon die sechste, steht zu Beginn der Tausend-Jahr-Feier der Diözese Krakau. Heuer jährt sich auch zum 50. Mal die Gründung der ersten sozialistischen Stadt in Polen, Nowa Huta, heute ein Stadtteil von Krakau. Nach kommunistischen Plänen entstand damals die größte Eisenhütte des Landes mit der dazu notwendigen Infrastruktur. Die Architekten vergaßen in ihren Plänen nichts. So wurden hier ausreichend Kindergärten, Schulen, Kinos, Restaurants, Geschäfte, Ausstellungshallen, Theater und Sportstadien gebaut. Nur eine Kirche fehlte. Doch mit diesem Vorhaben waren die Einwohner von Nowa Huta nicht einverstanden. Ihre Sorge hatte sich bis zum Vatikan herumgesprochen.

Jozef Gorzelany, der damalige Pfarrer der ersten Kirche in Nowa Huta, erinnert sich: "Bei einer Audienz gleich nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils hat Papst Paul VI. den Erzbischof von Krakau, Karol WojtyÚla, und mich empfangen. Dabei legte er in meine Hände einen Stein aus dem Grab des Heiligen Petrus. Dieser Stein sollte ein Grundstein für die Kirche in Nowa Huta werden."

Erst zehn Jahre später gestatteten die Behörden nach zähen Interventionen seitens der Einwohner von Nowa Huta den Bau einer Kirche. Das dazu vorgesehene Grundstück war schon 1962 vom Krakauer Erzbischof Karol WojtyÚla geweiht worden. Die politischen Unruhen Anfang der 60er Jahre machten aber die Pläne der Kirche zunichte. Die Baubewilligung wurde zurückgezogen, und die Behörden ließen das auf der Baustelle aufgestellte Kreuz entfernen. Trotz drohender Schikanen wehrten sich die Einwohner von Nowa Huta.

Edward Waniak, der jetzige Pfarrer der sogenannten "Arche des Herrn", so nennt sich die erste Kirche in Nowa Huta, erzählt: "Drei Tage lang haben diese Zusammenstöße mit der Polizei gedauert. Danach wurden etwa 1.000 Menschen verhaftet, 60 bekamen Freiheitsstrafen zwischen einem und fünf Jahren, viele verloren ihren Arbeitsplatz, oder bekamen hohe Geldstrafen. Andere Demonstranten jagte man aus ihren Wohnungen. Gottesdienste konnten weiterhin nur in einer kleinen Holzkapelle gefeiert werden. Sie befand sich an dem Platz, auf dem heute die "Arche des Herrn" steht.

Kirche im Freien Nach Nowa Huta kamen damals viele gläubige Menschen aus ganz Polen. Sie waren bereit, bei jeder Witterung im Freien zu beten. Auch der Religionsunterricht fand draußen vor der Kapelle statt. Etwa 16.000 Kinder nahmen daran wöchentlich teil. Diese Art des Widerstandes konnten die Behörden auf Dauer nicht ignorieren. Denn Nowa Huta, die Trabantenstadt von Krakau, zog weiter Arbeitskräfte an. Sie machten aus der Pfarre ohne Kirche, wie man damals sagte, aus der Stadt ohne Gott, schließlich Europas größte Kirchengemeinde mit über 100.000 Gläubigen.

1967, aus Anlaß der 1000-Jahr Feier Polens, gaben die Behörden dann doch noch grünes Licht für den umkämpften Kirchenbau. Pfarrer Gorzelany: "Es wurde uns lediglich erlaubt, die bestehende kleine Kapelle auszubauen. Kardinal WojtyÚla bestärkte uns in unserem Vorhaben und sagte: "Wir werden diese Kapelle solange ausbauen, bis sie zu einer Kirche wird." Danach machte er mit energischen Bewegungen den ersten Spatenstich für das Fundament der neuen Kirche.

Als Form der Kirche hat man eine Arche gewählt, die sich inmitten eines "roten Meeres" befindet. Die Behörden blieben weiterhin skeptisch und versuchten, das Bauvorhaben zu verhindern. Pfarrer Gorzelany war es etwa verboten, das Baumaterial in Krakau und Umgebung zu kaufen. So mußten Ziegelsteine und Zement aus dem 700 km entfernten BiaÚlystok nach Krakau transportiert werden. Die Behörden verboten für den Bau der Kirche auch den Einsatz jeglicher Maschinen, die damals ja Staatseigentum waren. So arbeiteten die Bauarbeiter und Helfer ausschließlich mit Spaten und Schubkarren. "Mitten in Europa im 20. Jahrhundert entstand unsere Kirche genauso wie vor 700 Jahren die bekannte Marienkirche in Krakau," erinnert sich Pfarrer Gorzelany.

Um den Menschen Mut zu machen, besuchte Kardinal Karol WojtyÚla öfters die Baustelle. In den Jahren des Bauens feierte er auch die Christmette auf dem Bauplatz. Über zehn Jahre dauerten die Arbeiten, Ende Mai 1977 konnte Kardinal WojtyÚla die Kirchweihe vornehmen. "Das war ein wahrer Kreuzzug der Gläubigen zu ihrer eigenen Kirche", erzählt Pfarrer Gorzelany. Die Kirche bekam den Namen "Die Arche des Herrn". Sie sollte kämpferisch wie ein Schiff im tosenden Meer des Kommunismus sein und den atheistischen Stürmen trotzen. Der zaghafte politische Frühling in den 80er Jahren gab auch der Kirche in Nowa Huta mehr Spielraum. Die Riesengemeinde wurde in vier selbständige Pfarren aufgeteilt.

Heute gibt es in Nowa Huta elf Kirchen, die Hüttenmetropole ist nach wie vor Krakaus "christlicher" Stadtbezirk, wobei die Pfarre der "Arche des Herrn" mit ihren 40.000 Gläubigen nach wie vor die größte ist. Pfarrer Waniak erzählt: "In unserer Pfarre sind heut 17 Priester tätig. Jeden Sonntag werden elf Gottesdienste gefeiert, von sechs Uhr früh bis neun Uhr abends und bei jeder Messe ist die Kirche voll. Alle Sitzplätze sind etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Messe schon besetzt. Alle diejenigen, die danach kommen, sind gezwungen, zu stehen. An wichtigen Feiertagen kommen etwa 14.000 Gläubige zu jedem Gottesdienst".

Kirche aus Papstaltar Bei der diesjährigen Papstvisite in Polen steht Nowa Huta nicht auf dem Besuchsplan von Karol WojtyÚla. So haben sich die Gläubigen der Stadt etwas einfallen lassen: Sie bauen die Altarinsel für die große Kundgebung, die der Papst zum Abschluß seines Polenbesuchs in Krakau halten wird. "Verschiedene Bauelemente dieser Altarinsel werden nach dem Besuch für eine neue Kirche verwendet", erzählt der Pressesprecher der Erzdiözese Krakau, Pater Kazimierz Sowa. "Es handelt sich dabei um einen Neubau an der Stelle, dessen Baugrund bereits 1962 von Kardinal WojtyÚla gesegnet worden ist. "Unsere Stadt war immer sehr katholisch", erzählt Pfarrer Waniak. "Ein Beweis dafür ist die Tatsache, daß aus dem heute 250.000 Einwohner zählenden Stadtteil von Krakau etwa 50 Priester, darunter von unserer Pfarre allein 22, 30 Nonnen, drei Missionare und zwei Ordensbrüder stammen.

Eine Stadt, die nach dem Kommunistenplan ohne Gott aufwachsen sollte, wird auf diese Weise symbolisch ihren Papst Johannes Paul II. empfangen.

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