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Bartoszewski und andere

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György Sebestyen über die Verhaftung von Schriftstellern und Publizisten.

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György Sebestyen über die Verhaftung von Schriftstellern und Publizisten.

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Man hat ihn also wieder einmal verhaftet, den polnischen Schriftsteller Wladislaw Bartoszewski! Und wieder einmal war der einzige Grund der Verhaftung die nackte Angst: die Angst der Machthaber vor einem Menschen, der nicht bereit ist, auf das Recht der freien Meinungsäußerung zu verzichten.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde Bartoszewski von der Gestapo nach Auschwitz verschleppt. Nach dem Krieg wurde er von den Stalinisten eingekerkert. Nun muß er, Generalsekretär des polnischen PEN-Clubs und Professor der Katholischen Universität Lublin, ein Schuldloser unter Schuldigen, wieder auf die Befreiung warten.

Wenn die spärlich eintreffenden, oft nicht nachprüfbaren Meldungen zutreffen, befinden oder befanden sich in Polen mehr als hundert Schriftsteller und Publizisten in Haft, unter ihnen der weltbekannte Filmregisseur Andrzej Wajda, die katholischen Publizisten Tadeusz Mazowiecki und Jozef Ryszar, die für eine menschlichere Politik kämpfenden Autoren Andrzej Boguslawski und Andrzej Szczypiorski, und natürlich die literarischen Mitstreiter der „Solidarität" wie etwa Dariusz Fikus.

Unter den Verhafteten sind Katholiken ebenso wie Mitglieder der Kommunistischen Partei, liberale Demokraten und Autoren, die nichts anderes wollen als normale Arbeitsbedingungen, also Freiheit für die Kunst.

Diese Menschen sind keine Verschwörer, sie haben sich zum Selbstschutz nicht organisiert, sie haben nichts getan. Ihr einziges Verbrechen liegt darin, daß sie eine Meinung haben, die von der Meinung der Machthaber abweicht, und daß sie diese Meinung auch zum Ausdruck bringen wollen.

Aber nicht nur in Polen werden Schriftsteller und Publizisten verhaftet. Nach den Angaben, die The Writers in Prison Committee des internationalen PEN-Clubs in London gesammelt hat, befinden sich gegenwärtig mindestens 350 Schriftsteller und Publizisten in der ganzen Welt hinter Gittern. Das Motiv, Menschen nicht der Tat, sondern des Wortes zu verhaften, liegt in jedem Fall in der Angst der Mächtigen vor frei geäußerten Gedanken.

Es ist in dieser Hinsicht gleichgültig, welche Fahnen, welche Parolen, welche Weltanschauungen die gegenwärtig Regierenden dazu veranlaßt haben, Schriftsteller mundtot zu machen.

Wenn es um die Verhaftung von Literaten und Journalisten geht, wird nicht nur auf ganz bestimmte Personen gezielt, sondern auf alle Menschen, die eine eigene Meinung haben und für sich das Recht verlangen, ihre Ansichten auszusprechen. Nicht eine Elite wird verfolgt, sondern die Menschlichkeit schlechthin.

Denn die Menschen des Wortes sprechen in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht nur für sich selbst. Sie formulieren, was Hunderttausende denken. Sie, die tagtäglich gewöhnt sind, den Zeitgeist zu artikulieren, sind nur selten Wortführer. Sie sind Gedankenträger: Menschen, die den Beruf haben, die Ängste und Hoffnungen ihrer Mitmenschen zu Papier zu bringen.

Es ist lehrreich, die in London vorliegende Liste des PEN-Clubs und die Zahlen verhafteter Schriftsteller und Publizisten durchzublättern:

Algerien 1, Argentinien 40, Kamerun 1. Chile 1. VR China 2, Kuba 4, CSSR 9, Ägypten 1, El Salvador 2, Guatemala 4, Haiti 22, Iran 2, Marokko 1, Polen etwa 100, Pakistan 4, Somalia 8, Südafrika 8, Südkorea 13, Syrien 1, China/Taiwan 5, Türkei 2, Uruguay 7, Sowjetunion 41, Vietnam 68, Jugoslawien 4.

Freilich ist Freiheitsentzug keine Frage der Quantität. Freiheit ist unteilbar, und Leiden bleibt eine statistisch unmeßbare Größe.

Jeder einzelne ist eine Welt, jedes einzelne Schicksal ein ganzes Universum. Und wenn wir gegen die Verhaftung jedes einzelnen schuldlos eingekerkerten Menschen protestieren, so protestieren wir gegen das usurpierte Recht jedes Machthabers, die Freiheit zu unterdrücken.

Hat Protestieren einen Sinn? Geben wir nicht bloß leere Worte von uns, die keinen anderen Zweck haben, als unser eigenes Gewissen zu beruhigen?

Nein, unsere Proteste werden gehört, sie durchdringen die Kerkermauern und bringen Trost, aber sie treffen auch die Machthaber.

Erst kürzlich protestierte der österreichische PEN gegen die Verhaftung des argentinischen Schriftstellers Horacio Ciafardini. Man hat Ciafardini in Österreich in den PEN aufgenommen; unsere Diplomaten teilten dies den argentinischen Behörden mit. Und siehe da: der völlig schuldlos eingekerkerte Autor darf nun plötzlich Besuch und Pakete empfangen! Seine Haftbedingungen wurden entscheidend erleichtert. Wir dürfen hoffen, daß er demnächst auf freien Fuß gesetzt wird.

Und Wladislaw Bartoszewski? Und all die anderen verhafteten Polen, alle die namentlich nicht Bekannten? Wir dürfen nicht, wir können nicht ruhen, solange man sie schuldlos in Haft hält. Wer sich mit der Beseitigung der Freiheit abfindet, baut an seinen eigenen Kerkermauern.

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