"Ein bißchen Skepsis in die EU einbringen"

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Andrzej Szczypiorski, der längst auch im Westen bekannte polnische Schriftsteller, nahm kürzlich in Passau an einem Podiumsgespräch zum Thema "Politik und Kunst" teil. Auch im folgenden Gespräch geht es um diese Themen: Polens Beziehung zur EU, Österreichs Nationalratswahl und Polens Kunstszene ...

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Andrzej Szczypiorski, der längst auch im Westen bekannte polnische Schriftsteller, nahm kürzlich in Passau an einem Podiumsgespräch zum Thema "Politik und Kunst" teil. Auch im folgenden Gespräch geht es um diese Themen: Polens Beziehung zur EU, Österreichs Nationalratswahl und Polens Kunstszene ...

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dieFurche: Polen ist nunmehr Mitglied der NATO. Wann, meinen Sie, wird Polen auch Mitglied der Europäischen Union sein?

Andrzej Szczypiorski: Wie ich höre, im Jahr 2003 oder 2004, also in ein paar Jahren. Und ich glaube, das ist eine ganz realistische Perspektive.

dieFurche: Wie sollte dann, Ihrer Meinung nach, die politische Rolle Polens in der EU aussehen? Was kann, Ihrer Meinung nach, Polen zur EU beitragen?

Szczypiorski: Das ist eine sehr komplizierte, weil rein politische Frage. Ich kann sie nicht genau beantworten, aber vielleicht ein bißchen weniger politisch und ein bißchen mehr psychologisch. Wissen Sie, ich kenne den europäischen Westen ganz gut, und ich finde da erstens eine Suche nach Vollkommenheit des Menschen; zweitens einen Glauben, daß alles, was uns gegeben worden ist, uns für die Ewigkeit gegeben ist. Das ist meiner Meinung nach eine ganz falsche Ansicht. Denn erstens: Der Mensch ist ein unvollkommenes Wesen, und er wird unvollkommen bleiben. Das ist das Schicksal des menschlichen Lebens.

Zweitens: Das, was uns gegeben worden ist, ist nicht für die Ewigkeit. Und deswegen sollten wir immer sehr wachsam sein, und - es klingt ein bißchen pathetisch, aber ich muß das sagen - wir sollten opferbereit werden. Denn, und das sind die Erfahrungen Polens, meines Volkes, um die Freiheit muß man kämpfen. Jeden Tag. Die Freiheit ist uns nicht für die Ewigkeit gegeben worden. Wir müssen jeden Tag bereit sein, die Freiheit zu schützen und um die Freiheit zu kämpfen. Das trifft auch für die Demokratie zu. Ich glaube deshalb, daß wir aufgrund unserer historischen Erfahrung ein bißchen Skepsis in die Europäische Union einbringen werden.

dieFurche: Wie beurteilen Sie die politische Rolle Österreichs in der EU?

Szczypiorski: Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Rolle, obwohl ich sagen muß, daß ich mich in der letzten Zeit etwas unsicher fühle.

dieFurche: Aufgrund des Ausgangs unserer Nationalratswahlen?

Szczypiorski: Nicht nur. Wissen Sie, ich fühle mich in Wien, in dieser Stadt und auch in Ihrem Land wie zu Hause. Aber wenn ich an die österreichische Gesellschaft denke, dann stört mich etwas. Denn sie spielt die Rolle des ersten Opfers des Dritten Reiches. Und erst seit dem "Fall Waldheim" besinnt sie sich darauf, daß Österreich auch eine Verantwortung für die Geschichte trägt, nicht wahr. Und dann, wenn ich nach Österreich komme, finde ich fast jeden Tag alten Antisemitismus. Aber ich finde kein Wort in der österreichischen Presse darüber. In der alten BRD gab es in den letzten 40-50 Jahren eine heftige Diskussion über alles, was während des Krieges geschehen ist, über die Schuld des Volkes.

In der ehemaligen DDR gab es fast keine Diskussion, und heute gibt es dort die psychologischen Folgen, denn da sind die Rechtsextremisten und auch die PDS, die große Erfolge haben. Wissen Sie, Sie haben haben große Verdienste, weil Sie repräsentieren die Furche. Und die Furche war ein bißchen anders als fast die ganze österreichische Presse. Aber jetzt gibt es eine Diskussion über die Mitschuld der Menschen in Österreich. Und dann kommt plötzlich die Wahl im Jahr 1999, und Herr Haider bekommt rund 27 Prozent ...

dieFurche: Finden Sie, daß das Österreich international schadet?

Szczypiorski: Ja, natürlich. Ich bin ganz sicher. Sehen Sie, er ist erstens ein Gegner der Europäischen Union und zweitens ein Gegner der Ausländer. Natürlich, die Franzosen sind auch nicht ohne Schuld. Aber Ausländer als Thema, das ist in Frankreich nicht salonfähig. So wie in der alten BRD. Wer ist zufrieden? Die Rechten in Polen. Nicht, weil sie große Befürworter Haiders sind, sondern sie sagen heute: Nicht nur wir sind Gegner der EU; nicht nur wir sind gegen die Roma, Sinti usw. Die Österreicher auch. Österreich, ein Land mit einer blühenden Demokratie, mit großer Tradition; und jetzt haben wir dieses Muster, und das kommt aus Wien!

Und in diesem Sinne ist der Sieg Haiders eine politische Rechtfertigung. Es gibt viele Stimmen, die ich gehört und gelesen habe, die sagen: Die Österreicher steuern nach rechts. Und gegen Europa, und das ist das Wichtigste. 27 Prozent Gegner der EU.

dieFurche: Diese 27 Prozent, 1,3 Millionen Wähler, sie sind nicht alle Gegner der EU. Viele fühlen sich dem anonymen Verwaltungsapparat in Brüssel gegenüber unbehaglich. Und wir dürfen nicht vergessen, es war in mancher Hinsicht auch eine Protestwahl. Aber kommen wir zum nächsten Punkt. Gibt es in Polen noch Ressentiments gegen Österreich?

Szczypiorski: Nein. Und es gab sie nie. Im Bewußtsein der Polen gab es nur zwei Unterdrücker, das waren die Russen und die Preußen. Keine Österreicher. In Südpolen gab es zur Zeit der Monarchie relative Freiheit. Die polnische Kultur hat geblüht, und die Polen regierten in der ganzen Monarchie. Die Polen haben das nicht vergessen. Und deswegen gab und gibt es keine Ressentiments Österreich gegenüber.

dieFurche: Wenn wir davon ausgehen, daß der Austausch von Kunst und Kultur zwischen den Völkern vermitteln und versöhnen kann, stellt sich die Frage, ob in dieser Beziehung zwischen Polen und Österreich und vice versa genug getan wird.

Szczypiorski: Nein, noch nicht. Nein. Denn wissen Sie, in Polen existiert die österreichische Kultur, denn das war die Kultur aus Wien. Die Musik und auch die Literatur.

dieFurche: Die Literatur. Wie stellt sich Ihnen der Stellenwert der polnischen Literatur heute dar? Gibt es mehr ausländische Literatur? Wer beherrscht den Markt? Lesen die Polen? Wird viel gelesen?

Szczypiorski: Ja, aber nicht so viel wie vor zehn oder 20 Jahren. Das kommt von der Entwicklung des Fernsehens, des Internets, der Popkultur - alle diese Dinge. Aber es wird viel, viel mehr gelesen als in der Deutschland oder in Frankreich. Und die Bücher sind noch relativ billiger als in der Deutschland. Der Stellenwert der polnischen Literatur ist nicht mehr so hoch wie vor 100 oder 50 Jahren, aber er ist doch bedeutend. Und wir haben eine wunderbare Literatur.

Ich persönlich bin sehr glücklich, weil ich der am meisten übersetzte polnische Gegenwartsautor bin. Aber es gibt zum Beispiel Tadeusz Konvicki oder Jozef Hen oder den ganz berühmten Stanislaw Lem. Und es gibt auch eine wunderbare junge Autorin, Olga Tokarczuk. Die Schriftsteller spielen eine sehr sehr wichtige Rolle in der polnischen Gesellschaft. Noch. Wie lange das noch dauern wird, weiß ich nicht.

dieFurche: Polen hat auf dem Gebiet der Filmkunst nicht nur großartige Werke, sondern auch hervorragende Regisseure von internationalem Rang hervorgebracht. Wie steht es heute mit dem Angebot an Kino- und Fernsehfilmen in Ihrem Land? Gibt es eine eigenständige Filmproduktion?

Szczypiorski: Diese ganz berühmte polnische Filmschule ist schon vorbei. Das war Wajda, Hoffman, Zanussi, und ein bißchen später Kieslowski, ein großer Filmregisseur. Er lebt nicht mehr. Aber wissen Sie, der Geist weht, wo er will. Und der Geist wehte in Polen in der Filmkunst vor 30 Jahren, heute nicht mehr. Aber wir haben jetzt eine große Blüte des polnischen Dokumentarfilms. Besonders die digitalen Kameras eröffnen dafür ganz neue Möglichkeiten, und die jungen polnischen Filmregisseure, zum Beispiel Fidyk oder Lozinski, die machen fantastische Dokumentarfilme.

Allerdings, Jerzy Hoffman hat in diesem Jahr einen sehr guten Film gemacht, "Mit Feuer und Schwert" (nach Henryk Sienkiewicz), und Andrzej Wajda hat vor kurzem den Film "Pan Tadeusz" (nach Adam Mickiewicz) beendet.

dieFurche: Es gibt also wieder Hoffnung ...

Szczypiorski: Ich würde nicht so sagen. Denn ich glaube, das sind Ausnahmen, denn wir erleben eine Krise des Spielfilms.

dieFurche: Und die amerikanischen Filme?

Szczypiorski: Die haben natürlich den ganzen Markt erobert. Das sind die Folgen des freien Marktes, des Kapitalismus.

dieFurche: Was wünschen Sie sich in den Bereichen Kunst und Kultur für Ihr Land?

Szczypiorski: Für mein Land ... Mehr Wissen von der ausländischen Kultur. Und mehr Wissen im Ausland von der polnischen Kultur, denn das ist eine sehr reiche und bunte Kultur.

Das Gespräch führte Margret Czerni.

Zur Person Publizist und Hörspielautor Der polnische Schriftsteller wurde 1928 in Warschau geboren. Er beteiligte sich 1944 am Warschauer Aufstand und wurde bis April 1945 im KZ Sachsenhausen interniert. Nach dem Krieg arbeitete er als Rundfunkjournalist und Hörspielautor. Von 1956 bis 1958 stand er im diplomatischen Dienst in Kopenhagen. Ab 1959 war er in Warschau unter anderem als Publizist tätig. Bekannt wurde er vor allem durch seine Romane und Erzählungen. "Eine Messe für die Stadt Arras", 1968 geschrieben und offiziell erst 1971 in Polen erschienen, wurde mit dem polnischen PEN-Preis ausgezeichnet. Seit 1976 war er mit der polnischen Dissidentenbewegung verbunden, wurde 1981 interniert und 1982 freigelassen. Von 1989 bis 1991 war er Mitglied des polnischen Senats. Seit Erscheinen der deutschsprachigen Ubersetzungen seines Romans "Die schöne Frau Seidenman" 1988 und der nachfolgenden Bücher wurde Szczypiorski auch bei uns bekannt. Die deutsche Übersetzung seines neuesten Romans "Feuerspiele" wird im Jahr 2000 erscheinen. Als ein Leitmotiv vieler seiner Werke gilt die "Vergangenheitsbewältigung im Zeichen der Versöhnungsbereitschaft".

Andrzej Szczypiorski, ein Pole von europäischem Zuschnitt

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