Faszinierende Antiquiertheit

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"Feuerspiele": Der letzte Roman von Andrzej Szczypiorski.

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"Feuerspiele": Der letzte Roman von Andrzej Szczypiorski.

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Wir sollten, schrieb einst "Die Zeit" über ein Buch von Andrzej Szczypiorski, vorsichtiger sein mit Äußerungen über "die besten Bücher" und "die besten Autoren". Allzu wahrscheinlich sei, daß wir sie gar nicht kennen. Im Falle Szczypiorski hat der Zürcher Verlag Diogenes viel unternommen, um dem abzuhelfen, indem er die Bücher des 1928 geborenen, kürzlich verstorbenen Polen auf Deutsch veröffentlichte.

Andrzej Szczypiorski zu lesen bedeutet Eintauchen in eine andere Welt. In eine Literatur, die sich die große Symbolik noch erlaubt. Die sich um die Lese- und Verstehensgewohnheiten des deutschen Sprachraumes, um unser Verständnis von Modernität keinen Deut schert. Denn diese Lese- und Verstehensgewohnheiten sind von der Entwicklung bestimmt, welche die Erzähltechnik deutschsprachiger Autorennach dem Zweiten Weltkrieg durchgemacht hat. Auch die in deutschen Landen sobeliebten Amerikaner scheren sich darum keinen Deut. Vielleicht sind sie hier deshalb so beliebt. Anders als sie, in dieser Hinsicht den Deutschen näher stehend, hat auch Szczypiorski eine anspruchsvolle, komplizierte Technik entwickelt, seine Geschichten auf eine alles andere als linear zu nennende Weise zu erzählen.

Trotzdem mutet manches antiquiert an. Doch diese scheinbare Antiquiertheit kommt der Faszination zugute, die auch Szczypiorskis letzter Roman, "Feuerspiele", auf den Leser ausübt. Es handelt sich um die scheinbare Antiquiertheit einer religiös fundierten, strikt moralischen Haltung. Bei Szczypiorski gibt es nicht nur die Schuld, sondern auch noch die Strafe.

Ob der Brand, der das luxuriöse Kurhotel im fiktiven deutschen Bad Kranach einschließt und schließlich vernichtet, womit er einer geplanten Brandstiftung zuvorkommt, gelegt wurde oder von selber ausgebrochen ist, erfahren wir nicht. Dieser Brand hat geradezu mythische Dimensionen und eine tiefe innere Verwandtschaft mit dem Erdbeben am Ende von Elias Canettis Theaterstück "Die Hochzeit". Er verschlingt die Guten wie die Schurken und auch alles dazwischen. Doch die Schurken sterben unerlöst, während Jan, fast ein reiner Tor, seit dem Tod seiner Frau den eigenen Tod herbeisehnt. Zuletzt nimmt ihn Rita bei der Hand und führt ihn hinauf, dorthin, wo es am heftigsten brennt, zur Leiter, der zwar einige Sprossen fehlen, über die man aber mit etwas Mut auf die andere Seite kommt: zur Treppe nach unten, zum Torauf die Straße, vorbei an der Werkstatt des Schreiners, der zwar ein Säufer ist, doch ein anständiger Mensch, der niemanden verrät.

Rita, die Jüdin, die nicht wie eine Jüdin aussieht: Diesem Typ sind wir in anderer Gestalt schon in Szczypiorskis Roman "Die schöne Frau Seidenman" begegnet. Rita ist einst in Warschau auf dem Weg zur Sammelstelle zum Abtransport entsprungenen, ein deutscher Wachmeister zeigte ihr den Weg zur realen Leiter, der einige Sprossen fehlten und über die zu gehen ziemlich viel Mut erforderte, die zur realen Treppe nach unten führte, zum realen Tor auf die Straße, vorbei an der Werkstatt des realen Schreiners. Andrzej Szczypiorski, der am Warschauer Aufstand teilnahm und die deutschen Konzentrationslager überlebte, verschränkt in den "Feuerspielen" auf komplizierte, aber stimmige Weise Gegenwart und Zukunft, die Welt der Brandstifter, die einen groß angelegten Versicherungsbetrug planen, bei dem unersetzliche Kunstwerke in Flammen aufgehen sollen, mit einer Welt der Schemen. Er läßt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum verschwimmen.

In Bad Kranach sehen sie sich wieder, die Täter und ihre Opfer. Das faszinierend Antiquierte des Romans beruht auf der Naivität, mit der Szczypiorski seine Kapitalisten und ihre Motive zeichnet, den Multimillionär Graham Wilson III, den Fürsten Kyrill. "Sie waren zu mir gekommen, hinter den Stacheldraht des KZ Sachsenhausen, um mich zu befreien. Später aber nahmen sie mir die Freiheit - fast für das ganze Leben" schrieb er einst über die Russen. Trotzdem, und trot vielen Auslandsreisen, haften seinem Bild vom Kapitalismus die zu einfachen marxistischen Klischees der dreißiger Jahre an. Doch seinem großartig erzählten, spannenden, radikal zu Ende gedachten letzten Roman schadet dies in keiner Weise.

Feuerspiele. Roman von Andrzej Szczypiorski. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 364 Seiten, geb., öS 291,- / e 21,58

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