Der Endkampf (um das Warschauer Ghetto; red.) begann vor 50 Jahren, am 19. April 1943, und dauerte fast vier Wochen. Einer der Kämpfer […] formulierte das Ziel dieses Opfers: "Wir wollen nicht unser Leben retten. […] Wir wollen die menschliche Würde retten.“
"Das deutsche Volk hat Europa mit dem Kainsmal gezeichnet“, stellt der polnische Autor Andrzej Szczypiorski in einem Essay zum 50. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto fest. Szczypiorski erzählt, wie er, gar nicht heldenhaft, sondern zitternd vor Angst, damals als junger Mann einen Juden auf dem Dachboden seines Hauses versteckte.
Der Pole Szczypiorski versucht aber tiefer einzudringen in die Frage nach der Schuld, denn das Dritte Reich ist nicht aus dem Nichts aufgetaucht. Szczypiorski erinnert daran, daß das christliche Europa jahrhundertelang seine "schmutzigen antisemitischen Träume“ geträumt hatte, und er nennt auch die Folgen einer "tiefen geistigen Krise“ beim Namen, die dieses Europa begleitet: Passivität, Betäubung, intellektuelle Leere, moralische Armut und politische Kleinkrämerei.
Seit dem Holokaust müsse jeder Christ bis zu seiner letzten Stunde nach einer Antwort auf die Frage suchen, ob es uns nicht an Menschlichkeit, Liebe und Mitgefühl gefehlt habe.
Und das gilt nicht nur für die Vergangenheit …
Nr. 16/22. April 1993