7028250-1989_20_03.jpg
Digital In Arbeit

Entwicklung

Werbung
Werbung
Werbung

Manchmal, bei bestimmten Gelegenheiten fallen einem Sätze aus Büchern ein, die man vor sehr langer Zeit gelesen hat. So schlug ich vor kurzem in einem leicht vergilbten dtv- Band nach, in Bruce Marshalls “Der Monat der fallenden B lät- ter“. Da wird ein Engländer geschildert, der in der Zeit des Kalten Krieges nach Warschau kommt. Dort spricht er auch mit einem jungen Polen und erwähnt, daß er im Krieg gegen die Deutschen gekämpft habe. Der junge Pole sagt darauf, er sei noch zu jung gewesen, um mitzukämpfen. Da erkennt der Engländer, daß “eine neue Generation von Mördern und ihren Opfern herangewachsen war“.

Und es ist unwesentlich, ob die Opfer im Namen einer Ideologie getötet werden oder aus Gleichgültigkeit gegenüber jeder Ideologie und gegenüber dem Leben. In jedem Land und in jedem Volk steht zu jeder Zeit ein Potential von Mördern bereit, das einem Gewaltregime gerne dienstbar ist. Es kommt nur auf die Gelegenheit an, die man den aktionsbereiten potentiellen Tätern bietet.

Eine andere bedenkenswerte Passage habe ich in dem Buch “Die schöne Frau Seidenmann“ des Polen Andrzej Szczypiorski gefunden, der jetzt 65 Jahre alt ist. Szczypiorski hat 1944 am Warschauer Aufstand teilgenommen und kam daraufhin in ein KZ.

In seinem Roman erzählt er auch das Schicksal des Juden j Henryk Fichtelbaum, der-noch keine 18 Jahre alt - bei der Vernichtung des Warschauer Ghettos getötet wird. Und Szczypiorski schreibt: “Die Menschen, die nach Jahren auf den Knochen von Henryk Fichtelbaum wohnten, dachten recht selten an ihn, und wenn, dann mit einer gewissen Hoffart und Eitelkeit, als wären sie die größten Märtyrer unter der Sonne. Sie irrten sich doppelt. Erstens aus dem Grunde, daß Märtyrertum kein Adel ist, den man ererben kann wie Wappen oder Ländereien. Diejenigen, die auf Henryk Fichtelbaums Knochen wohnten, waren überhaupt keine Märtyrer, sie schnitten höchstens Coupons ab von anderer Leute Märtyrertum, was immer töricht und unwürdig ist. Zweitens bemerkten sie nicht, daß die Welt sich weiterentwickelt und die Geschichte des Krieges mit Adolf Hitler weit hinter sich gelassen hat.“

Helmut Qualtingers “Herr Karl“ sagt am Schluß seines Monologs: “Schaun S’, wann i mi von der Arbeit zruckziagn will, hab i mei Renten…wann i nimmer meinHaushalt fühm will, geh i nach Lainz…i kann ruhig in die Zukunft blicken… “

Indes aber hat die Welt sich weiter entwickelt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung