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Ex Oriente lux?

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Es ist über drei oder eigentlich vier Romane zu berichten, die hier in unserer Gegend geschrieben wurden, genauer im östlichen Teil jenes Mitteleuropa, das manchmal viel westlicher liegt als der Westen, wenn wir mit diesem Begriff die hohe Kultur der aus Stein oder aus Geist errichteten Kathedralen, die glühenden Auseinandersetzungen, das Leiden an der Verantwortung und an der Unwägbarkeit der Ratio und die Verinnerlichung der Welt durch den Glauben bezeichnen.

Diese drei oder eigentlich vier Romane wirken, verglichen mit der erzählenden Prosa berühmter deutschsprachiger Autoren, unserer verehrten Kollegen, höchst außergewöhnlich, denn sie sind unter anderem auch grüblerisch, analytisch und - was immer das heißen soll - avantgardistisch,

aber sie sind es eben nur unter anderem, da in ihnen das Grüblerische, das Analytische und das Avantgardistische gleichsam hineingeschmolzen ist in das Strömen einer Prosa, die, nehmt alles in allem, Gott und die Welt verbindet. Unter unseren hochlöblichen Romanautoren ist, so scheint es mir, Hermann Lenz der einzige, der sich in seinen stillen Büchern eine ähnliche Dichte, Welthaltig-keit und Transzendenz zu erschei-schreiben vermag.

Warum das so ist, kann vielleicht sehr leicht, vielleicht aber überhaupt nicht beantwortet werden. Eine erste Antwort, der Hinweis auf die Tatsache nämlich, daß diese drei oder eigentlich vier Autoren an den grausamen Ereignissen der letzten fünfzig und mehr Jahre tatsächlich leiden, Mord, Totschlag, Verfolgung und Erniedrigung aber auch überleben, ja sogar lachend überwinden mußten, ist naheliegend. Aber so einfach können wir es uns nicht machen. Leiden ist nämlich etwas Persönliches, und was den Zusammenhang zwischen Ursache und Folge betrifft, etwas ganz und gar Subjektives.

Das Leid des einen, der lediglich durch die Dummheit seiner Mitmenschen gequält wird, ist, für ihn selbst, nicht geringer als das Leid jenes anderen, der die Folgen der gleichen Dummheit als unschuldiges Opfer einer mörderischen Diktatur hat erleben müssen. Außerdem gehört die Vorstellung, gute Literatur könne nur aus erlittenem Unglück subli-miert werden, zum geistigen Repertoire der Romantik. Die Zahl der durchschnittlich glücklichen oder durchschnittlich unglücklichen Autoren ist nicht gerade gering; ihre Namensliste reicht von Francois Rabelais bis Johann Wolfgang Goethe und weiter bis Theodor Fontane, Ernest Hemingway und Doris Lessing.

Forschen wir also nicht länger nach den Gründen, sondern kommen wir zum ältesten der drei oder eigentlich vier Autoren, zu dem vierundsiebzigj ährigen Bo-humü Hrabal, dessen Roman „Ich habe den englischen König bedient“ (aus dem Tschechischen von Karl-Heinz Jahn) gerade erschienen ist. Diese Erinnerungen eines Kellners, dem es gelingt, zum Millionär und - durch Verfolgung und Einsamkeit - weiter zu einer Existenz lächelnder Nachsicht und tiefster geistiger Einsicht aufzusteigen, ist Schelmenroman und Tragikomödie in einem, zugleich aber auch eine poetische und stellenweise köstlich derbe Parabel auf die Uberlebenskunst und die Leidensfähigkeit der Menschen unserer Zeit.

Genau um zehn Jahre jünger als

Hrabal ist Andrzej Szczypiorski, dessen Roman „Die schöne Frau Seidenman“ (aus dem Polnischen von Klaus Staemmler) ein Schicksal und mit diesem verbunden ein Dutzend andere Menschenleben beleuchtet, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes: es zeigt uns die vielen kleinen Lichter, die auch die dunkelsten Zeiten da und dort müde erhellen. Dabei ist die Geschichte der Rettung einer unschuldig Verfolgten nicht versöhnlich, doch hilft die Kunst des Epikers über Grausamkeit und Tod hinweg in die subtüe Wirklichkeit der Sprache und damit in eine höhere Ordnung der verständnisvollen Ironie.

Zerrissener, aber durch die einheitliche Komposition farbig glänzender Fragmente nicht minder kräftig ist das Büd, das der dreiundfünf zigjährige Danüo Kiä vom Schicksal seines Vaters entwirft. Sein Roman „Sanduhr“ (aus dem Serbokroatischen von Ilma Rakusa) beleuchtet Wirklichkeit mit mehreren Mitteln: durch analytische Befragung, durch die Reaktionen eines Wahnsinnigen auf den Wahnsinn der Welt, durch minuziös genaue Beschreibung einer Wirklichkeit, die im scharfen Licht dieses poetischen Spiegels legendenhafte Züge gewinnt. Wie bei Hrabal und bei Szczypiorski ist auch bei Kiä das eigentliche Thema: die Verfolgung. Und wie die anderen beiden Autoren, antwortet auch dieser Epiker - freilich in seiner eigenen Art und Weise - mit dem alles verstehenden und nichts verzeihenden Sarkasmus seiner Sprachkunst.

Das vierte Buch ist auf Deutsch noch nicht erschienen, doch muß es seinen Weg in unsere Literatur finden: der Roman „Teli bäräny“ (Winterliches Lamm) des vier-undfünfzigjährigen ungarischen Autors Märton Kaläsz, dessen Gedichtband „Bemessener Trost“

(im Reclam Verlag der DDR) be- • reits deutsch zu lesen ist. Kaläsz schildert das Schicksal zweier ungardeutschen Familien, die Verführung durch den Nationalsozialismus und deren Folgen, und auch bei ihm ist es die konzise, dem Gegenstand angemessen bäuerlich-lyrische, zuweüen bal-ladenhafte Sprache, die Schicksalhaftes mit tröstlicher Klarheit bewußtmacht.

Hrabal, Szczypiorski, Kis und Kaläsz: die Namen stehen für eine europäische Region, für eine vielfach differenzierte, aber in ethischer — und also letztlich auch in ästhetischer—Hinsicht gemeinsamen Haltung des kompromißlosen Humanismus, zudem für die Möglichkeit, auch in unserer Zeit bedeutende und fesselnde, ja stellenweise sogar vergnügliche Romane zu schreiben. Bei uns wird der Begriff Humanismus vielfach als leicht antiquierte Leerformel empfunden; offenbar wird Menschlichkeit nur in Ländern und in Zeiten geschätzt, in denen sie Tag für Tag bitter erkämpft werden muß. Ex Oriente lux? Der Geist weht bekanntlich, wo er will. Die neue Romanliteratur aus dem östlichen Teil unserer Region zeigt jedenfalls, was aus dem Geiste der Epik auch in der Gegenwart geschaffen werden kann.

ICH HABE DEN ENGLISCHEN KÖNIG BEDIENT. Von Bohumil Hrabal. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1988. 302 Seiten, La, öS 266,-.

DIE SCHONE FRAU SEIDENMAN. Von Andrzej Szczypiorski. Diogenes Verlag, Zürich 1988. 270 Seiten, Ln., öS 272,-. SANDUHR. Von Danilo Kiä. Carl Hanser Verlag, München 1988. 284 Seiten, Ln., öS 265,20.

TELI BARANY (Winterliches Lamm). Von Märton Kaläsz. Verlag Megvetö, Budapest 1986. 378 Seiten. In deutscher Sprache noch nicht erschienen.

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