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„Pharao und Polizist“

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„Mit schnöder Nüchternheit, verehrte Kollegen, wurde ich veranlaßt, nun meinen ständigen Wohnsitz in Westeuropa zu wählen. Ich möchte unterscheiden: Ich sage nicht, daß ich es freiwillig tue, ich sage auch nicht, daß ich gezwungen wurde. Und das bedeutet, daß dieser Zwang nicht mein innerer, sondern ein mir von außen her auferlegter ist.

Am 25. Juni dieses Jahres wurde gegen mich in der polnischen Presse eine zynische Hetzkampagne gestartet, wo ich, damals noch im Besitz eines gültigen polnischen Reisepasses, als „ehemaliger »Pole«“ und „ehemaliger polnischer Literat“ beschimpft wurde; wo ich durch manipulierte Zitate denunziert wurde, ich hätte in meinem Polenhaß sogar die Gestapo übertroffen: Es wurde also unterstellt, daß ich niemals ein Pole gewesen bin, jedoch aus möglicherweise finsteren Gründen von meiner Geburt an bis zur letzten Zeit die Maske eines Polen getragen habe; es wurde auch bei Gelegenheit die polnische Öffentlichkeit belogen, ich hätte formal-juristisch der polnischen Staatsangehörigkeit abgesagt: Die Angreifer wußten im Moment des Angriffs sehr gut, daß das nicht der Fall war.

Den äußeren Anlaß zu diesen Angriffen bot mein in der Schweiz herausgebrachtes Buch „Pole, wer bist du?“, worin ich auf eine sehr persönliche Weise versucht habe, nachzudenken, was es bedeutet, Pole in der politischen und geistigen Geschichte und unter den Bedingungen der Gegenwart zu sein. Ich habe dabei von meinem guten Recht als Schriftsteller Gebrauch gemacht, meiner Nation nicht zu schmeicheln: Es gibt nämlich in der Welt keine Nation, der man schmeicheln, aber auch keine, die man verdammen sollte. Aber, wie gesagt, bot mein Buch nur einen äußeren Anlaß zum Angriff, und zwar in einer derartigen Form.

Im Herbst 1968, als die antisemitisch gefärbten Strafver-handlungen gegen die Studenten in Polen zu Ende gingen und die Urteile verkündet wurden, erschien auch mein Name unter Namen, die Polens Ehre sind, in einem Aufsatz, der, von einem Offizier des Staatssicherheitsdienstes verfaßt, im Juristenorgan „Prawo i Zycie“ erschien. Der Vorwurf war: Nicht die Studenten sollte man strafen, sondern die Verderber der Jugend; es ist ein altbekannter Vorwurf. Ich greife auf die letzten vier Jahre zurück, um zu beweisen, daß der neueste Angriff auf mich nicht der erste war und daß ich nicht dessen einziges Ziel bin.

Man hat mich verleumdet, das heißt aber unter den gegebenen Umständen: In einer nach dem polnischen Strafkodex strafbaren Weise hat man mich angeblicher strafbarer Taten bezichtigt — so der Schmähung der polnischen Nation, des Betreibens nazistischer Propaganda, so der Besudelung der polnischen Sprache. Und die Umstände sind eben so, daß ich mich gegen diese mir gegenüber begangenen Straftaten in Polen nicht wehren kann; keine Zeitung und kein Zensor würde es wagen, eine Replik von mir drucken zu lassen, kein Staatsanwalt und kein Richter würde meine Klage zulassen. Die

Privilegien des polizeilichen Juristenorganes und dessen Epigonen stehen über dem Recht.

Die polnischen Konsularstellen haben meinen Antrag auf die Verlängerung des Reisepasses mit einer Berufung auf „die zuständigen Behörden“ entschieden abgelehnt. So wurde das Ziel, das man bestrebte, erreicht: Ich soll aus dem Kreislauf der polnischen Kultur ausgeschaltet werden. Jedoch ist diese Entscheidung falsch und lächerlich. Falsch ist sie, weil weder ein Polizist noch ein Pharao zu bestimmen vermag, welche Werte sich im Kulturkreislauf eines Volkes bewähren; es ist dabei ohne Belang, ob sie im Inland oder im Ausland entstehen. Lächerlich, weil der Entscheid über meine literarische Abwesenheit in Polen schon vor Jahren getroffen wurde: Seit 1966 war es mir nicht gestattet, einen Vertrag für die Publikation meiner Originalwerke zu schließen; so haben es törichte Politiker gewollt, feige oder ohnmächtige Verleger leisteten ihnen Gehorsam, obwohl die einen wie die anderen genau den Rang meines. Schaffens kannten, so wie ich mir dessen auch bewußt bin. Mit meinen seit sechs Jahren im Manuskript verbliebenen Texten bin ich sowieso in Polen abwesend; die zynisch manipulierte Landesverweisung hat diesen Sachverhalt nur bestätigt.

Ich weiß, daß der Schriftstellerverband in meiner Sache nichts tun kann, so wie er auch früher für die verleumdeten polnischen Dichter nichts tun konnte. Es wäre unrealistisch, dieses von Ihnen, verehrte Kollegen, zu verlangen. Das Schicksal oder der Zufall hat es aber so gefügt, daß ich mich in der Fremde verteidigen kann, und mehr noch: Ich kann meine Freunde verteidigen, deren Bücher nicht herausgegeben werden, deren Privatge-spräche belauscht und Wohnungen durchsucht sind, deren Briefe geöffnet und gelesen werden, auf die stets das strenge Auge des Pharaos und des Polizisten gerichtet ist.

Trotz allem bin ich jedoch optimistisch; die Worte „immer“ und „nie“ gebrauche ich ungern. Ich nehme nicht Abschied von meinem Lande; ich ziehe mich angesichts des Pharaos und des Polizisten zurück.“

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