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Zeitgenosse

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Wäre ein Herr Passendorfer, der aus Lienz stammte, nicht unmittelbar nach dem Wiener Kongreß nach Galizien ausgewandert, um dort österreichischer Beamter zu werden, könnte heute sein x-Urenkel Jerzy, aber noch immer Passendorfer, nicht in Wien polnische Kultur verbreiten.

Polnische Kultur verkauft sich in Österreich notorisch gut. Polnische Filme sind hier keineswegs nur Cineasten ein Begriff. Die Österreich-Polnische Gesellschaft war zeitweise einer der stärksten kulturellen und intellektuellen Anziehungspunkte der Bundeshauptstadt. Und gerade in letzter Zeit macht Polen wieder einmal von sich reden. Nach Ausstellungen in der Volkshalle des Wiener Rathauses (über 30 Jahre neues Warschau) und in der Wiener Sezession (über Sezession und deren Nachwirkung in der polnischen Kunst) nun sogar, mit Spielfilmen und einem Konzert, im Innsbrucker Olympischen Dorf.

Passendorfer, Jahrgang 23, der sich als Motor des Kulturaustausches betätigt, ist weder Diplomat noch Kul-

turbeamter, sondern Filmregisseur. Und es ist charakteristisch für die Lebendigkeit des polnischen Kulturbetriebes und für die unkonventionellen Mittel, mit denen in Polen Künstler und Rest der Bevölkerung miteinander konfrontiert werden, daß ein Mann wie dieser die Leitung des polnischen Kulturinstitutes übernahm, das, am Fuß der Fischerstiege bestens zentral gelegen, die Nachfolge des Polnischen Leseraumes in der Schwindgasse übernahm, sich aber partout nicht Kultur-, sondern einfach „Polnisches Institut“ nennt.

Jerzy Passendorfer ist ein in mehrfacher Beziehung interessanter Mann. Er ist zunächst ein vielfach ausgezeichneter Filmregisseur, der bisher 16 Filme gedreht hat und der, von dieser Tätigkeit „schon ein bißchen müde“, einige Jahre etwas anderes machen wollte. Bedenken, einem Künstler eine organisatorisch anspruchsvolle Aufgabe wie die Leitung eines der (bislang) drei polnischen Kulturinstitute im westlichen Ausland anzuvertrauen, zerstreute er mit dem Argument, schließlich könne auch ein Filmregisseur nicht ohne administrative Qualitäten auskommen.

In Jerzy Passendorfers Vita treffen sich aber auch die beiden Komponenten Österreich-polnischer Be-

ziehungen, die positive historische, und die tragische zeitgeschichtliche. Sein Vater, Berufsartillerieoffizier mit starken musischen Neigungen, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Leitung einer Keramik-Manufaktur übernahm, hat vor dem Ersten Weltkrieg noch die österreichische Uniform getragen. Im Zweiten Weltkrieg entsprang er aus einem deutschen Gefangenentransport und schlug sich über Ungarn, Italien, Frankreich und Nordafrika nach England durch, wo er in die polnische Exilarmee eintrat.

Der Sohn aber sammelte, nach drei Verhaftungen durch die Gestapo, Zwangsarbeit und so weiter, erste schauspielerische Erfahrungen in einer Garage, wo nachts vor bis zu 60 Menschen die polnischen Klassiker gespielt und dann bis zum morgendlichen Ende des Ausgehverbotes Diskussionen abgehalten wurden. Daß ein Auffliegen eines solchen Geheimtheaters den Tod aller Darsteller und Zuschauer zur Folge gehabt hätte, muß man heute wohl schon dazusagen. Auch, daß auf jeden Versuch, sich höhere Bildung anzueignen, die Todesstrafe stand. Der Darsteller eines Geheimtheaters Passendorfer absolvierte im Krieg eine sogenannte Konspirations-Matura.

Es gab solche Geheimtheater, Ge-

heimschulen, diesen ganzen geheimen Kulturbetrieb, in vielen polnischen Städten. Viele Polen mußten dafür sterben, den Überlebenden

und den Toten dieser Theater ist es zu verdanken, daß die Tradition nicht unterbrochen wurde.

Passendorfer sprach schon als Kind Deutsch. Und nach dem Krieg? „Man hat Deutsch längere Zeit nicht so gerne gehört.“ Es wäre durchaus verständlich, wenn er noch Ressentiments hätte. Daß er sie tatsächlich nicht hat, mag als ein Indiz mehr dafür gelten, daß die Opfer sehr oft bereitwilliger die Hand ausstrecken als die Täter.

Seine Kinder, 5 und 11 Jahre alt, gehen in Wien in die Schule und haben nach schweren Monaten die Anpassung an die fremde Sprache tadellos geschafft. Der Vater reist demnächst in jenes Dorf bei Lienz, aus dem sein Vorfahr stammt, um zu sehen, ob es dort noch Passendorfers gibt. Aber es wäre im höchsten Maße falsch, ihn deshalb als „UrÖsterreicher“ zu reklamieren. Er ist es so viel und so wenig, wie jeder Wiener, der einen tschechischen Vorfahren hat, deswegen Tscheche ist.

Jerzy Passendorfer, Schauspieler, Sänger, Puppenspieler, Filmregisseur und nun Diplomat, ist ja auch eigentlich sehr viel mehr. Er ist ein Freund unseres Landes.

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