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DAS POLNISCHE THEATER UND ICH

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Dem polnischen Theater verdanke Ich ehr viel. Vielleicht sogar mein Leben. Und das kam so:

Man schrieb den Herbst 1918. Als österreichischer Soldat hatte ich in Krakau am 8. Oktober die Proklamation des Generals Beseler erlebt, die Polen eine künftige Unabhängigkeit versprach, also eigentlich' den Beginn der polnischen Auferstehung einleitete. Freilich ahnte ich nicht, daß ich eiuch noch Augenzeuge der polnischen Katastrophe von 1939 werden sollte. Eine klassische polnische Tragödie beschäftigte mich damals, die mir zwar in der Urform unspielbar schien, mich jedoch trotzdem faszinierte: „Die ungöttliche Komödie“ Zygmunt Krasinskis in einer alten Übertragung aus der Zeit der deutschen Polenromantik nach 1830. Ich beschaffte mir das polnische Original, um damit jene Übersetzung zu kontrollieren, und ich stellte fest, daß an ihr mehr als eine Stilverbesserung durchgeführt werden mußte, nämlich eine wirk-aame Bühneneinrichtung, eine „Adaption“! Monologisierende Prosa stellen, wie gleich zu Beginn, galt es in die Dialoge der Handlung einzugliedern, die durch sie aufgespaltene Handlung war, in zahllose Schauplätze visuell und textlich zusammenzuziehen, um dadurch jene dramatische Klimax mit der Auseinandersetzung wischen dem Aristokraten und dem Mann der Masse in der Ahnengalerie des Grafen zu erreichen, darnach jeder der beiden, Henryk und Pankracy, auf der ihm entsprechenden Weise seinem Tod begegnet. „Hier ist die Entdeckung einer Welttragödie geglückt“, begann nach der Wiener Burgtheateraufführung meiner Bearbeitung von 1937 Wiens angesehenster Kritiker Oskar Maurus Fontana seine Besprechung. Leopold Staff, der Nestor der polnischen Dichtung, hatte der Aufführung beigewohnt. Die polnische Regierung verlieh mir durch ihren Wiener Botschafter Jan Gawronski das Goldene Verdienstkreuz (Zloty Krzyz Zaslugi).

Als nun Hitlers Einmarsch 1938 in Wien, dem der Tod meiner besten Freunde folgte, mir das Leben In einem „angeschlossenen“ Österreich unerträglich scheinen ließ, wandte ich mich noch im März 1938 nach Polen, wo mir meine deutsche Erneuerung der. „Ungöttlichen Komödie“ viele Freunde geworben hatte. Den aufgenommenen Kontakt mit der polnischen Literatur setzte ich fort. Vor allem lernte ich auf der Bühne das Werk des Krakauer Dramatikers und Malers Wyspianski kennen, eines noch als „Österreicher“ verstorbenen Polen, in seinen drei vielleicht bedeutendsten Dramen „Die Hochzeit“ (Wesele), „Novembemacht“ (Noc listopadowa) und „Auferstehung“ (Wyzwolenie), die mich durch die historosophische Konzeption ihrer Komposition tief beeindruckten. Wie da beispielsweise in „Wyzwolenie“ die Bühne auf der Bühne umgebaut wird und wie zugleich damit eine neue Welt auf dem Theater entsteht, das sahen unsere Dramatiker erst Jahrzehnte später bei Pirandello in

seinem „Sechs Personen suchen einen Autor“ wieder. Und in Wyspianskis „Boleslaus der Kühne“ (Boleslav Smialy) erkannte ich das heute mehrfach abgewandelte Thema des Konfliktes König und Kirche aus „Thomas Beckett“ mit der ähnlichen Tragödie des Erzbischofs Stanislaus in Krakau schon Jahrzehnte vorweggenommen.

Bald lernte ich aber auch polnische Dramatiker unserer Tage aus ihren Stücken kennen. Von Jaroslav Iwaszkiewicz brachte das Teater - Polski ein Puschkin-Drama und eine Tragikomödie um Chopin; das letztgenannte dünkte mich von einer fast tschechowschen Atmosphäre erfüllt. „Die Deutschen“ (Niemcy) und „Der erste Tag der Freiheit“ (Pierwszy dzien wolnosci) von Leon Kruczkowski behandeln erregende, aus dem letzten Krieg entstandene Konflikte. Die stärkste Wirkung vor Kriegsausbruch übte H. L. Morstins köstliche Komödie „Die Verteidigung der Xanthippe“ durch ihre von einem platonischen Dialogsystem mit satirischer Ironie verflochtene Handlung, die das Publikum hinriß. Die Satire hatte sich ja gerade in Polen schon seit Jahrhunderten als eine Art Geheimsprache unter dem historischen geopolitischen Druck zwischen Ost und West meisterhaft entwickelt bis zu Mrozeks Komödien herauf, die nun auch außerhalb Polens eine begeisterte Zuhörerschaft finden.

Um zum Abschluß einen starken zeitgenössischen Dichter zu nennen, der in Posen arbeitet: Roman Brandstätter. Sein Zeitstück, „Das Schweigen“, sein Rembrandt-Drama, „Die Heimkehr des verlorenen Sohnes“, sowie das Schauspiel aus den Tagen der Hitler-Herrschaft in Polen, „Dies Irae“, (Der Tag des Zornes), zeigen einen eigenwilligen, fanatischen Bühnendichter, auf dessen weitere Entwicklung man noch große Hoffnungen setzen kann.

Wenn ich eingangs bemerkte, daß ich dem polnischen Theater vielleicht mein Leben verdanke, so durch den Schutz und die tätige Hilfe, die mir von dieser Seite noch unmittelbar vor und selbst während des Krieges zuteil wurde. Ein Stück, daß ich damals über die Königin Jadwiga, die polnische „Regina Pacis“, beendete, war in Polen bereits für Bühne und Film erworben worden, als der Kriegsausbruch mich zur Flucht quer durch das kämpfende Land bis an die neutrale rumänische Grenze trieb, und polnische Freunde, die mir meine Tätigkeit für die polnische Bühne erworben hatte, ermöglichten es mir. mich über jene Grenze zu retten.

Dreimal weilte ich seither im Nachkriegspolen, und Ich bestaunte mit eigenen Augen das Wunder der Auferstehung einer Nation und ihrer Hauptstadt aus der totalen Zerstörung in Schutt und Asche. Und das wurde für mich das vielleicht spannendste welthistorische Drama, das ich dort erlebte — jedoch ein Drama, das sich zu einem guten Ausgang wendet, im Zeichen des Theaters ebenso wie in dem Aufbau einer neuen Wirklichkeit.

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