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POLNISCHE FILMKLEINKUNST

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In Krakau, der früheren Hauptstadt Polens, der Stadt der Künstler und historischen Denkmäler, bekannt durch ihre Traditionen auf so vielen Gebieten der Kunst, fanden jüngst die Allpolnischen Festspiele des Dokumentär-, Bildungs- und Zeichentrickfilms statt.

An dieser Leistungsschau des polnischen Kurzfilms beteiligten sich sämtliche Studios und zeigten die im Laufe von zwei Jahren

geschaffenen Filmwerke zahlreicher Regisseure. Einige Filme wurden erstmalig dem Festspielpublikum vorgeführt, andere wieder waren durch Vorführungen in polnischen Kinos bereits bekannt, und noch andere sind über Polen hinaus in der ganzen Welt bekannt geworden. Der polnische Kurzfilm beteiligte sich zum Beispiel im vergangenen Jahr an nicht weniger als 14 bedeutenden Festspielen dieses Kunstgebietes, und es gelang ihm, sich zwölf der ersten Preise zu sichern.

Die Filmfestspiele eroberten sich ein dankbares Publikum — sowohl die Zuschauer als auch die Kritikerexperten schätzten die interessanten Themen, das hohe künstlerische Niveau und die Kühnheit der schöpferischen Leistungen gebührend hoch ein.

Eine größere Gruppe von Filmen, die auf den Krakauer Festspielen Preise und Erinnerungsmedaillen erhielten, stellt einen interessanten Querschnitt der Möglichkeiten und Errungenschaften des polnischen Kurzfilms dar. Die Preise bestanden übrigens in einer Nachbildung des „Wawel-Drachens“, jenem schrecklichen Ungeheuer der populären Voikslegende aus den Anfängen des polnischen Staates, der unweit von Krakau in einer Höhle hauste, die bis heute wißbegierigen Touristen gezeigt wird.

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In der Kategorie der Dokumentarfilme erhielt der Film „Musikanten“ von Kazimierz Karabasz den ersten Preis. Der Film ist ein von tiefer Lyrik und von Menschlichkeit erfüllter Dokumentarbericht über die Probe eines Amateurorchesters. Nach mühevoller Berufsarbeit finden sich Straßenbahner zusammen, um gemeinsam Musik zu pflegen. Sie finden in dieser künstlerischen Tätigkeit nicht nur die beste Entspannung und Erholung, sondern auch das Gefühl einer wahren menschlichen Solidarität. Der Film von Karabasz erhielt bereits zahlreiche internationale Preise, und auch in Krakau konnte er eine hohe polnische Auszeichnung für sich beanspruchen.

Mehrere Dokumentarfilme zeichneten sich durch ihre besondere Qualität aus, so daß zwei zweite Preise verliehen werden mußten. Einen dieser Preise erhielt der unter der Regie von Jan Lomnicki gedrehte Film „Die Geburt eines Schiffes“. Dieser Film ist eine dichterische Reportage über die Arbeit in einer der polnischen Werften. Die Schöpfer dieses Films verstanden es, nicht nur den Schwung und die Schönheit der Werftarbeiter in interessanten, nicht schablonenmäßigen Bildern zu zeigen, sondern auch diese selbst, Menschen, die das, was sie machen, lieben; ernste, schöne und bescheidene Menschen.

Die mit dem dritten Preis in der Dokumentarfilmkategorie ausgezeichnete Reportage des Regisseurs Jerzy Ziarnik, „Im

Bereich der Stille“, zeigt die Arbeit eines Theaterensembles von Taubstummen, das überragend unter Beweis stellt, wie eine Gruppe von unglücklichen, behinderten Menschen imstande ist, durch ihre gemeinsame künstlerische Arbeit alle Schwierigkeiten zu überwinden, eine eigene Kleingesellschaft zu gründen und sich in dieser nahezu glücklich zu fühlen.

Einen besonderen Preis der Jury erhielt der abendfüllende Dokumentarfilm der Regisseure Jerzy Bossak und Waclaw Kazmierczak, der beiden Nestoren des polnischen Dokumentarfilms. Jerzy Bossak ist Schöpfer zahlreicher ebenso bekannter wie hervorragender Filme, Leiter der polnischen Dokumentarfilmproduktion. Waclaw Kazmierczak, ein erfahrener Regisseur und Montageexperte, arbeitet seit vielen Jahren mit nahezu sämtlichen Regisseuren und der „Polnischen Filmchronik“. Der „So war es“ betitelte Film von Bossak und Kazmierczak ist eine dokumentarische Chronik des Verlaufes der Kriegshandlungen im September 1939. Unter Verwendung von polnischen, deutschen und anderen Dokumentaraufnahmen waren die Schöpfer dieses Films imstande, den Verlauf des Krieges gegen Hitler auf polnischem Territorium sorgfältig zu rekonstruieren und ein Werk von großem dokumentär-historischem Wert zu schaffen.

Auf dem Gebiet der Bildungsfilme erhielt der Film „Moderne Alchimie“ des Regisseurs Witold Zukowski den ersten Preis. Der Film stellt sich die Aufgabe, Bedeutung und Arbeitsweise eines modernen Atomreaktors zu erklären. Den zweiten Preis erhielt der Film des Regisseurs Jaroslaw Brzozowski, „Im Golf der Eisbären“, ein Dokumentarbericht über die im Rahmen des Geophysikalischen Jahres durchgeführte polnische wissenschaftliche Expedition nach Spitzbergen. Der dritte Preis wurde dem Streifen „Die Puawy Sybilla“ von Aleksandra Jalskölska zuerkannt, der die Entstehungsgeschichte des ersten polnischen historischen Museums schildert und dessen Kunstwerke und historische Andenken zeigt.

In der Kategorie der Zeichentrickfilme geriet die Jury der Krakauer Festspiele neuerdings in Schwierigkeiten, weil so viele Filme als Preisanwärter in Frage kamen — am Ende wurden zwei erste Preise gewährt.

Einen dieser erhielt der Film „Der neue Musikant Janko“ des bekannten Graphikers und Schöpfers von experimental-graphi-schen Filmen, Jan Lenica. Seine Erzählung der Erlebnisse des zeitgenössischen Musikanten Janko ist eine bittere, sarkastische Paraphrase der bekannten Erzählung des berühmten polnischen Schriftstellers Henryk Sienkiewicz und gleichzeitig das Musterbeispiel eines guten Films und der interessanten Verwertung vortrefflicher Zeichentrickeinfälle.

Den gleichrangigen Preis erhielt der Film „Kleiner Westen“ des Regisseurs Witold Giersz, ein kleines Kunstwerk von gutem

Geschmack, spezifischem Humor und großartiger Beherrschung der Technik. In einer einfachen, leicht parodistischen Erzählung über den guten Cowboy und die bösen Banditen sind so viele Gags und humorvolle Situationen enthalten, daß der Film verdienterweise Lachsalven auslöste.

Den zweiten Preis in der Zeichentrickfilmkategorie erhielt der graphisch sehr interessant gestaltete Film der Regisseurin Alina Maliszewskas-Kruk, „Das gestreifte Abenteuer“. Der Film beinhaltet eine Erzählung über das unglückliche Schicksal eines Elefanten, der in der bedrückenden Lage ist, anders zu sein als seine Kameraden; er ist gestreift und hat große Schwierigkeiten im Zusammenleben mit den übrigen Elefanten, die ihn ablehnen. Eigentlich ist der ganze Film eine scharfsinnige Metapher — in den Erlebnissen des traurigen Elefanten kann man leicht die Verurteilung jedes Rassenvorurteiles erblicken, eine Verurteilung, die in kultivierter Form und mit viel Witz und Humor vorgebracht wird.

Der dritte Preis in der Kategorie der Trickfilme wurde dem Regisseur Tadeusz Wilkosz für seinen Marionettenfilm „Bitte den Löwen nicht zu reizen“ zuerkannt. Bei diesem Film handelt es sich um die Geschichte eines Löwen aus einem Tiergarten, der, nachdem er alle seine Gegner der Reihe nach verschlungen hatte und gefürchtet war, zu einem Herrscher wurde und mit eigenem Flugzeug nach Afrika flog, um wieder ein gewöhnlicher Löwe zu werden, dort jedoch von den Menschen wieder eingefangen und abermals in einen Käfig gesperrt wird. Auch in dieser Verfilmung ist in den zahlreichen Gags und komischen Situationen ein tieferer Sinn verborgen.

Die Jury der Krakauer Festspiele verlieh je eine Auszeichnung dem Film „Marienkirche in Krakau“ des Regisseurs Zbigniew Bochenek, der die Geschichte und das gegenwärtige Aussehen des prächtigen Architekturdenkmals auf die Leinwand bringt, sowie dem von Jadwiga K^dzierzawska gedrehten Streifen „Mutwillige Kätzchen“, der in launiger Weise eine Geschichte aus dem Leben der Haustiere erzählt. Die Filmkamera beobachtet Hunde, Katzen und Hühner, die den jüngsten und dankbarsten Zuschauern eine vortreffliche schauspielerische Leistung bieten.

Mit ihrem Erfolg stellen die Krakauer Festspiele unter Beweis, daß es die polnischen Kurzfilme verdienen, einen der prominenten Plätze unter den Filmen gleicher Art in der Filmwelt einzunehmen.

Die Krakauer Festspiele werden, von der ersten hier besprochenen Veranstaltung beginnend, eine alljährliche Einrichtung bleiben, bei der die besten und interessantesten polnischen Kurzfilme zur Vorführung gelangen werden. Man hofft, daß zu den Festspielen des Jahres 1962 bereits ausländische Interessenten nach Krakau kommen werden, um die polnischen Kurzfilme zu sehen und dem polnischen Publikum und den polnischen Regisseuren auch ihre interessantesten und besten Filme zu zeigen. %

Die Organisatoren der Festspiele möchten gerne die jährliche Schau des polnischen Kurzfilms in eine internationale Veranstaltung verwandeln. Sollte dies gelingen, dann werden vielleicht die interessantesten Leistungen unserer Kurzfilmproduzenten ebenbürtige Konkurrenten und eine volle Anerkennung seitens der Weltkinematographie finden.

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