6710914-1964_20_07.jpg
Digital In Arbeit

Eine imponierende Liste

Werbung
Werbung
Werbung

Die Überheblichkeit, mit der sich an Parteischulen gedrillte, aus Parteipropagandaliteratur ihre Wissenschaft holende Menschen, die durch äußere Machtverhältnisse an die Spitze eines alten Hochkulturvolks gekommen sind, über ihre, ob deren Unverstands und engen Horizonts getadelten 34 aussprechen, ist erschütternd. Denn zu denen gehören die Polen, die in der gesamten Kulturwelt das größte Ansehen genießen und deren Namen noch erglänzen werden, wenn niemand sich der Allumsichtigen, geschweige der Apparatschiki entsinnen wird, von denen diese so manches auszustehen hatten. Hier eine kleine Auswahl der genasführten „politischen Idioten“: Der gewesene Präsident der polnischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Tadeusz Kotarbinski, international gefeierter Philosoph, Begründer der Schule des „Reis-mus“; Einsteins Lieblingsschüler, der Kernphysiker Prof. Leopold Infeld, von einem kanadischen Lehrstuhl wegen kommunistischer Ansichten fortgeekelt, seither an der Warschauer Universität; der weltberühmte Mathematiker Waclaw Sierpinski, vielfacher Ehrendoktor, Mitglied eines halben Dutzend Akademien der Wissenschaften; zwei der bedeutendsten Literaturhistoriker Polens, die Professoren Krzyzanowski und Kazimierz Wyka; der führende Vor- und Frühgeschichtsforscher Prof. Aleksander Gieysztor, dem vornehmlich die einzigartigen Fortschritte der neuen Methoden Polens auf diesem Gebiet zu danken sind; der glänzende Altertumsforscher und Kenner römischer Geschichte, Prof. Kazimierz Kumaniecki, dann von Dichtern und Schriftstellern, die größte lebende Autorin ihrer Nation, Maria Dabrowska, Adam Wazyk, der Verfasser des „Poems für Erwachsene“, von welcher poetischen Anklage der Umbruch ausgegangen ist, der Gomulka an die Macht brachte, Antoni Slonimski, früherer Vorsitzender des (Zwangs-) Verbandes polnischer Literaten, gleich geschätzt als geistreicher Feuilletonist und Kritiker, als Satiriker, als Dramatiker und als Lyriker; Mieczyslaw Jastrun, Verfasser wertvoller Vies Roraancees und vortrefflicher romantischer Lyrik, endlich der ungemein populäre Autor ihren Zweck ideal erfüllender historischer Werke für Nichtfachgebildete, Pawel Jasienica, die beiden kenntnisreichen, von Witz und Originalität sprühenden Kritiker Jan Kott — dem kürzlich der deutsche Herder-Preis verliehen wurde und der in England als Shakespeare-Forscher viel Ansehen genießt, und der klassisch feingebildete Artur Sandauer. Mit einigem Zögern reihen wir hier noch den aus katholischem Umkreis kommenden, doch zeitweilig der PZPR angehörenden überragenden Erzähler JerzyAndrzejewski an, dessen erzählerisches Meisterwerk „Asche und Diamant“ in viele Sprachen übertragen, auch im deutschen Sprachraum Beifall geweckt, und das auch als Film geradezu Triumphe gefeiert hat. Alle bisher Erwähnten sind von jeher oder seit langem als äußerst linksgerichtet, nicht wenige als überzeugte Kommunisten bekannt und sie haben das Regime stets unterstützt, wenn auch nicht mit blinder Kritiklosigkeit; weshalb sie auch in der Ära Stalin-Bierut ausgeschaltet oder schwer gehemmt wurden. Einige Gelehrte, wie der vorzügliche Geschichtsschreiber der Philosophie und Theoretiker der Ästhetik, Prof. Tatarkiewicz oder der bäuerlichen Kreisen entstammende Literaturhistoriker, Professor Pigfon, haben sich möglichst weit von der Politik gehalten.

Den Hauptstachel zum Zorn der kommunistischen Draufgänger dürfte aber gebildet haben, daß unter den Anregern der Denkschrift der Kreis des „Znak“ und des „Tygodnik Powszechny“ eine wichtige Rolle gespielt hat, und daß sich unter den Signataren über ein Halbdutzend praktizierender Katholiken von Rang und Geltung befinden: der Chefredakteur des dem Primas nahestehenden „Tygodnik Powszechny“, Jerzy Turowicz, dessen beliebtester Mitarbeiter, der sich offen als Gegner des Marxismus bekennende Sejm-Abgeordnete und Musikkritiker, vor allem aber als Feuilletonist vielgelesene Kisielewski, dann die bedeutende Autorin historischer Romane, Zofia Kossak, der brillante Reiseschriftsteller und Redner M. Wankowicz, der frühere Präsident der Londoner Emigrationsregierung und sehr originelle Polemiker Cat-Mackiewicz, der Dichter Zogorski, und endlich der erlesenste Wortkünstler der heutigen polnischen Literatur, Präsident des PEN-Klubs, Prof. Jan Parandowski, Romanschriftsteller, Hellenist, international berühmt und gewissermaßen der wandelnde Inbegriff der gediegenen polnischen Kultur.

Nur mit tiefer Wehmut kann ein jeder, der das polnische Volk und seine geistigen Leistungen kennt und liebt, der auch dem jetzigen Regime auf den Gebieten, für die es kompetent ist, nicht von vornherein nur voreingenommen gegenübersteht, von einer Episode berichten, die jetzt wirklich den Feinden Polens als Grundlage verzerrender, böswilliger Propaganda dient. Einst, in den Zeiten seiner Unfreiheit, war in diesem Lande der Dichter, der poeta-wieszcz, zugleich politischer Führer und verehrte Leitgestalt. Das hatte zweifellos auch seine Nachteile. Doch von da bis zum Ziel, die Leuchten der Wissenschaft, die Dichter und die Künstler zu Dienern des sozialistischen Aufbaus — und jeden Auf- oder Abbaus — zu erniedrigen, ist ein weiter Weg. Möge er nicht mit jenem eigenen „polnischen Weg zum Sozialismus“ eins sein, von dem Gomulka sooft gesprochen und den er recht häufig, allen zum Heil, betreten hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung