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Kirche und Koexistenz

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Längst ist es ins allgemeine Bewußtsein übergegangen, daß in Polen seit geraumer Zeit ein Experiment versucht wird, das einerseits seinesgleichen nicht hat und auch nicht haben kann, weil es durch die Besonderheiten seines Schauplatzes, durch die „polnischen Specifica“, bedingt ist, anderseits die Probe auf ein Exempel darstellt, das unter wechselnden Voraussetzungen weltweite Aktualität besitzt. In den letzten Monaten ist diese Rolle des polnischen Katholizismus in seinem Verhältnis zum kommunistisch geleiteten Staat aufs stärkste in den Blickpunkt des Weltinteresses gerückt, da die in der Rzeczpospolita Ludowa gemachten Erfahrungen nun bei einem zweiten Versuch von universeller Bedeutung verwertet werden.

Nach der Rückkehr der polnischen Bischöfe vom Konzil hielt die Euphorie in der katholischen Öffentlichkeit Polens noch einige Zeit an. Die Veröffentlichung des Staatsrates

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Z a w i e y s k i über seine Papstaudienz im Wyszyiiski nahestehenden „Tygodnik Powszechny“ trug dazu bei, die Hoffnung auf eine baldige dauernde Verständigung zwischen Kirche und Regime zu bestärken. Die antiklerikalen Kräfte, die während des Konzils auf höhere Weisung hin mit der Äußerung ihrer religionsfeindlichen Gefühle nicht ungehemmt hervortreten durften, ruhten indes nicht, bis sie wieder mit ihren Angriffen beginnen konnten. Wenn es dafür keinen wirklichen Grund gab, so verstanden sie es, ihn dennoch zu finden.

Mailuft

Oben aber in den lichten Höhen wehten bereits andere, mildere Lüfte. Wie konnte man, selbst wenn man das zu wollen gewagt hätte, anders, als sich Chruschtschow anschließen? Adzubej in Rom, Balzanpreis, Depeschenwechsel Vatikan—Kreml und noch ganz anderes, wovon die Warschauer Koryphäen mehr wußten, als nicht nur die gemeinen Sterblichen I So benutzte Ministerpräsident Cyrankie-wiez — persönlich ein hartgekochter Antiklerikaler, doch ein feiner Diplomat, ja ein wahrer Staatsmann — einen Besuch in Rom auf der Heimkehr von Mexiko, um zart, wenn auch nicht mit eigenem Finger, an jene Bronzepforte des Vatikans anzupochen, die der glänzende polnische Schriftsteller Tadeusz (Graf) Breza zum Titel eines in hunderttausend Exemplaren verschlungenen Bestsellers gewählt hat. Er vernahm ein höflich-zögerndes Herein. Inzwischen gingen allerlei Verhandlungen nebenher. Zu derselben Frist, da Cyrankiewicz in Rom und hernach — wir dürfen das wohl jetzt mitteilen — vier Tage „privat“ in Wien weilte, trafen einander Gomulka und der tschechische Staatspräsident No-votny in den Karpaten. Unter den Themen ihrer Begegnung hat die Kirchenpolitik einen breiten Platz beansprucht.

Nebenbei bemerkt: etliche Wochen später hat man aus Prag einen beim Regime gut angeschriebenen hohen Kleriker (“nicht Plojhar) nach Wien geschickt, um dort, dem Zentrum aller auf einen Modus vivendi zwischen

Rom und dem Osten gerichteten Bestrebungen, das Terrain abzutasten.

Parallel mit den Kontakten des Heiligen Stuhls zu Polen liefen andere mit Ungarn. Auch diese paßten in das große Konzept Chruschtschows, das in der ungarischen Amnestie vom 21. März Ausdruck erhielt.

Trotz der Begegnungen auf hoher Ebene nahm indes der kirchenfeindliche Feldzug in Presse und sonstiger Propaganda seinen Lauf. Kardinal Wyszynski antwortete mit bei ihm gewohnter Energie den Anklägern. Er wandte sich in einer scharfen Rede vor Ärzten gegen die „bewußte Mutterschaft“, das heißt: die staatlich geförderte Abtreibung; er protestierte gegen die Behinderung des durch frühere Abkommen verbürgten Religionsunterrichts in den Schulen.

Doch zugleich kam man einander näher. Sorgsam vorbereitet, wurde am 26. April eine Zusammenkunft zwischen Gomulka und dem Primas ver-

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