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Gomulkas schwarze Liste

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Diesmal duldet Gomulka keinen zweiten „polnischen Frühling“. Lang ist die schwarze Liste der polnischen Regierung, die bisher die Namen von 221 bekannten „Aufwieglern“ und „Zionisten“ enthält, die bereits der Säuberungen zum Opfer fielen und ihre führenden Stellungen verloren haben. Wer weiß, wie viele noch folgen werden? Und die Namen der kleineren Schriftsteller, Künstler und Uniiversitätsdozenen, die der eiserne Parteibesen auf die Straße gefegt hatte, wurden überhaupt nicht publiziert.

Mitte März 1968 erwähnte Wla- dyslaw Gomulka namentlich elf Schriftsteller als gefährliche Gegner der Parteipolitik. Darüber hinaus bestätigte noch der Erste Parteisekretär Polens, daß an der außerordentlichen Sitzung der Warschauer Sektion der Polnischen Schriftstellerunion am 29. Februar 1968 nicht weniger als 221 Literaten für eine Resolution gestimmt hatten, die von Nichtparteianhängern eingebracht worden war, womit die Parteiresolution, für die nur 124 Stimmen abgegeben wurden, zum Scheitern gebracht wurde. Die Regierung hat die Liste der 221 „Aufwiegler“ sorgfältig aufbewahrt. Kein Zweifel, daß sie mit schweren Repressalien zu rechnen haben. Schon am 28. März 1968 verabschiedete das Sejm-Kultur- und Kunstkomitee eine verurteilende Resolution, in der die 221 Literaten bezichtigt wurden, daß ihre Ansichten ausschließlich „den imperialistischen Zentren der antipolnischen Propaganda gedient“ hätten. Prompt wurde der Ball von der Gewerkschaft der Warschauer Sektion für Kultur,- und Kunstbeschäftigte auf- gefangen und in einem Beschluß die Forderung veröffentlicht: „Alle Zionisten und Leute, die das Bild der polnischen Kultur und Geschichte verfälschten, sind aus den sozialen Organisationen und der Administration zu entfernen.“

Monopol für schlechte Ansichten

Das Parteispiel führte zur konkreten Forderung, aus der Hauptkör- persahaft der Warschauer Schriftstellerunion Anfang April 1968 die folgenden drei namhaften Schriftsteller kurzerhand hinauszuwerfen: January Grzedzinski, Pawel Jasie- nica und Stefan Kisielewski. Die Genannten sollen während vieler Jahre eine politische Aktivität ausgeübt haben, die „aus einer antisozialistischen Position feindlich dem System Volkspolens gegenüber gesinnt war“. Auf einer Plenarsitzung vom 9. April 1968 wurde dann programmgemäß die Ausschließungsresolution gefaßt.

Die Partei scheint noch nicht ganz entschlossen zu sein, welche Arten von Bestrafung gegen die zahlreichen Literaten und Künstler angeordnet werden müssen, weil man einen Rückschlag auf den kommenden Schriftstellerkongreß fürchtet.

KP-Mitläufer und Journalisten lieferten noch einige Namen auf die besagte schwarze Liste: Artur

Miedzyrzecki und Seweryn Pollak wurden in der „Trybuna Ludu“ und „Wspolczesnosc“ als „Demagogen“ apostrophiert. Auch Mieczyslaw Ja- strun, der Musikexperte und Schriftsteller Zygmunt Mycielski sowie Arnold Slucki und Juliusz Zul- waski wurden dank Denunziation in die Liste eingetragen.

Aber auch Universitätsprofessoren, Dozenten und Lektoren haben nicht besser abgeschnitten. Bereits in der ersten Säuberungswelle wurden an der Warschauer Universität sieben berühmte Wissenschaftler suspendiert. So geschah es mit Prof. Adam Schaff, der früher Mitglied des Parteizentralkomitees war und dessen „Power-Elite“-Theorie den Parteimächtigen nicht gefiel. „Trybuna Ludu“ nannte Prof. Schaff einen „Inhaber und Träger des Monopols für schlechte Ansichten“.

Eine wahre Überraschung: Wilhelm Billig, Regierungsbevollmächtigter für Fragen der Atomenergie, wurde ebenfalls plötzlich abgelöst. Überraschend auch deswegen, da Billig ein „Moskau-Pole“ ist, das heißt, zur Gruppe der polnischen Kommunisten gehört, die während des ganzen Krieges in der Sowjetunion gelebt hatten. Billig ist der Rivalität zwischen den „Moskau“- und „National“-Kommunisten zum Opfer gefallen, obwohl er lange Zeit Mitarbeiter der polnischen Abteilung des Moskauer Senders war. Billig war sogar zwischen dem September

1966 und September 1967 Vorsitzender des Gouverneurrats der Internationalen Atomenergiekommission in Wien. Er war als Stalins persönlicher Freund und Bolesilaw Bieruts Vertrauter bekannt und alternierendes Mitglied des polnischen Zentralkomitees.

Zwei Sportführer sind ebenfalls unter den Opfern der permanenten Säuberung: Aleksander Gutowski,

Direktor des Instituts für Körpertraining und Vorsitzender des Hauptrats für Körpertraining und Tourismus, und Tomasz Lempart, Generalsekretär des Olympischen Komitees. Beide sind Juden. Ihre Ausbootung kam insofern nicht ganz überraschend, weil sie bereits auf einer Tagung der Sportredakteure öffentlich scharf angegriffen wurden.

Die polnische Filmindustrie leidet ebenfalls unter der schweren Säuberungskrise. Sowohl der Rektor als auch der Vizerektor der weltberühmten Film- und Theaterakademie in Lodz, Professor Jerzy Toeplitz und Dr. Roman Wajdowicz, wurden ruhmlos experdiert. Toeplitz ist ein 58 Jahre alter Jude und als Filmhistoriker und Kritiker eine weltberühmte Kapazität, der seit 1949 mit Intervallen mehrmals Direktor in Lodz war. Er ist nebenbei seit 1948 Präsident der „Internationalen Federation der Filmarchive“ (FIAF) und Direktor des Kunstinstituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Angeblich wurden die beiden hoohangesehenen Männer wegen der Studentendemonstrationen an der besagten Akademie entfernt.

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