6777666-1969_28_15.jpg
Digital In Arbeit

Juz, Juzsteht tur Polen

19451960198020002020

Es gibt wohl keinen treffenden Begriff für die Situation Polens als diese beiden Worte, die man von früh bis abends hört, wohin man kommt: „Juz, juz“, sofort, sofort — aber wann diese Versprechung Wirklichkeit wird, erlebt man nur, wenn man orientalische Geduld mit westdeutscher Energie zu paaren versteht... Dieses Aufschieben auf später, dieses Vertrösten auf eine ungewisse Zukunft ist das typische Kennzeichen für ein östliches Land, das seine Zugehörigkeit zum Westen nicht vergessen will und darüber hinaus auch gar nicht kann. Krakau lebt nicht nur in der Historie, sondern auch in der Gegenwart: der Reisende kann nicht nur im Museum des Fürsten Czartoryski Leonardo da Vincis „Dame mit dem Hermelin“ (übrigens sehr ungünstig placiert!) und Rembrandts „Landschaft“ (mit dem barmherzigen Samariter) bewundern, sondern auch die bewegte Bildkunst der Moderne, den Film, studieren — bei dem alljährlich Ende Juni statt-findenen „Kurzfilmfestival“, das heuer in ein neuntes Polnisches und ein sechstes Internationales gegliedert war und in dem unwahrscheinlich modernen, mit 70-mm-Projektion ausgestatteten Kinopalast „Kijöw“ (Kiew ist die „Schwesterstadt“ Krakaus) neben dem alptraumartigen Touristenkombinat und Luxushotel „Cracovia“ stattfand...

19451960198020002020

Es gibt wohl keinen treffenden Begriff für die Situation Polens als diese beiden Worte, die man von früh bis abends hört, wohin man kommt: „Juz, juz“, sofort, sofort — aber wann diese Versprechung Wirklichkeit wird, erlebt man nur, wenn man orientalische Geduld mit westdeutscher Energie zu paaren versteht... Dieses Aufschieben auf später, dieses Vertrösten auf eine ungewisse Zukunft ist das typische Kennzeichen für ein östliches Land, das seine Zugehörigkeit zum Westen nicht vergessen will und darüber hinaus auch gar nicht kann. Krakau lebt nicht nur in der Historie, sondern auch in der Gegenwart: der Reisende kann nicht nur im Museum des Fürsten Czartoryski Leonardo da Vincis „Dame mit dem Hermelin“ (übrigens sehr ungünstig placiert!) und Rembrandts „Landschaft“ (mit dem barmherzigen Samariter) bewundern, sondern auch die bewegte Bildkunst der Moderne, den Film, studieren — bei dem alljährlich Ende Juni statt-findenen „Kurzfilmfestival“, das heuer in ein neuntes Polnisches und ein sechstes Internationales gegliedert war und in dem unwahrscheinlich modernen, mit 70-mm-Projektion ausgestatteten Kinopalast „Kijöw“ (Kiew ist die „Schwesterstadt“ Krakaus) neben dem alptraumartigen Touristenkombinat und Luxushotel „Cracovia“ stattfand...

Werbung
Werbung
Werbung

Polens Kurzfilm scheint auch unter dem Motto zu stehen, der diesem Artikel die Überschrift gibt — die Aktualität kommt morgen... Es scheint, von wenigen Ausnahmen selbstverständlich abgesehen, nur eine Flucht in die heroische Vergangenheit zu geben oder die in die Neutralität der Kunst: national-politische Ereignisse wie siegreiche Kriegshandlungen, der Widerstand gegen die Okkupanten und der sozialistische Wiederaufbau (der kaum zu bemänteln versteht, daß Polen keineswegs das „reichste“ Ost-blockland darstellt) stehen ästhetisch-formvollendeten Bilddokumenten über das Kunsthandwerk, ausübende Künstler und die gegenwärtig in höchster Blüte stehende graphische Kunst gegenüber. Experimente gibt es nicht — sie sind höchstens im Genre des Zeichenfilms zu finden, wo sie in origineller Gestaltung eine gewisse Duldung oder „Narrenfreiheit“ besitzen.

Das Internationale Kurzfllmfesti-val das von 850 offiziellen Teilnehmern (diarunter etwa 300 ausländische Gästen) besucht war, brachte eigentlich nur die bei

ähnlichen westlichen Festivals (wie Mannheim und Oberhausen) verlorengegangene Erkenntnis, daß es den „normalen“, das heißt allgemeinverständlichen und fernsehunbeeinflußten Kurzfilm doch — zumindest im Verborgenen — noch in den westlichen Ländern gibt. Höhepunkte bilde-

ten hier der ausgezeichnete Kurzfilm „One of the Missins“ von Anthony Scott (ein englischer Studentenfiim nach einer Novelle von Ambrose Bierce) und der Zeichenfilm „Vne Bombe par Hasard“ (von Jeah-Frarigois Lagoüioriie, Frankreich), “ Nebst einer anläßlich des 25jähri-gen Bestandes der polnischen Volksrepublik durchgeführten Übersicht über' den „polnischen Kurzfilm“ in seiner Gesamtheit, an ausgewählten Beispielen (in denen aber sowohl Poianski als selbstverständlich auch Skolimov-ski fehlten!) aufgezeigt, veranstaltete „Film Polski“ auch eine Reihe von Vorführungen neuer polnischer Spielfilme, in denen ebenfalls der Zug zur Historie oder unverbindlichen formalen Ästhetik erkenntlich wurde. Bunte Geschichtsgemälde, drei Stunden und länger dauernd — wie Jerzy Antczaks „Gräfin Cosel“ oder Jerzy Hoffmans „Pan Wo-lodyjowski“ (nach der Romantri-logie von Henryk Sienkiewicz), letzteres durch eine überaus naturalistische Pfählungsdarstellung sichtlich westlich beeinflußt — wechseln mit ausgezeichneten, doch ätherisch-psychologischen Studien, für die Andrezej Wajdas „Alles zu verkaufen“ stellvertretend dasteht: weniger dem Andenken Zbigniew Cybulskis gewidmet als der Rehabilitierung des Regisseurs, sozusagen Wajdas „Otto e mezzo“ aus sozialistischer Sicht... Goswin Dörfler

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung