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Polnisches Theater in Wien

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Die Polen sind ein musisches Volk. In den schwersten Zeiten ihrer an Ungemach überreichen Geschichte verstanden sie es, aus dem unversiegbaren Born der Kunst stets neue Hoffnung und nationalen Lebenswillen zu schöpfen. Tanz, Gesang und Spiel liegen ihnen im Blute. Farbenprächtig erstrahlen die Denkmale ihrer Folklore. So sind bei ihnen alle Voraussetzungen gegeben, aus denen sich eine Theaterkultur auf höchster Stufe entwickelt. In der Zwischenkriegszeit war ihre Bühne eine der ersten in Europa, gleichermaßen hervorragend durch die Schöpferkraft der Regisseure, durch die Kühnheit der Bühnenbildner und durch das begnadete Spiel der Mimen. Nach den Jahren des Grauens erblühte neues Leben aus den Ruinen auch des Theaters. Wohl suchten die kommunistischen Machthaber, sich die moralische Anstalt dienstbar zu machen und belasten die Schaubühne mit wertlosen Zeit- und Tendenzstücken, während manches Werk weltanschaulicher Gegner von der Szene verschwand. Doch auch im Lustrum des schärfsten Druckes wurde die Politik nie zur Alleinbeherrscherin der weltbedeutenden Bretter. Die Pflege der heimischen und der fremden Klassiker blieb ein Hauptanliegen der Kulturschaffenden und des Publikums. Neuesten Nachrichten zufolge soll nunmehr — im Zeichen der gewandelten politischen Atmosphäre — eine Anzahl dichterisch gültiger Werke „rückschrittlicher“ Tendenz wieder auf dem Spielplan erscheinen. Selbst Krasinskis „Ungöttliche Komödie“, dem im GaUlaee, vicistl ausklingenden Hohenlied der Gegenrevolution, wird eine triumphale Rückkehr bereitet.

Uns hätte es gefreut, hier in Wien das dramatische Können der Polen an einer Shakespeareschen Tragödie oder an einem Meisterwerk der nationalen Romantik — etwa an einem Trauerspiel Slowackis, an Mickiewicz' „Ahnen“ oder gar an Wyspianskis „Hochzeit“ — messen zu dürfen. Die geheimnisvollen Beweggründe amtlichen Planens brachten es jedoch mit sich, daß man den Wienern das Konversationsstück eines Zeitgenossen und eine liebenswürdige Komödie aus der Epoche des polnischen Biedermeier darbot. Als Gegenbesuch zur Polentournee des Burgtheaters gastierte das Krakauer Teatr Stary am Akademietheater mit je zwei Aufführungen von Jaroslaw Iwaszkiewicz' „Lato w Nohant“ („Sommer in Nohant“) und von Aleksander Fredro „Slubz paniefiskie“ („Mädchenschwüre“).

Iwaszkiewicz, ein gefeierter Erzähler, hat in der Kurzgeschichte Meisterschaft erlangt. So ist auch „Sommer in Nohant“ eher eine Dialognovelle denn ein Drama mit gestraffter Handlung. Ohne von der historischen Wahrheit stark abzuweichen, greift der Autor aus dem Liebesroman der George Sand mit

Chopin die Schlußepisode heraus. Das Stück ist unpolitisch, doch nicht zeitlos: es entstand vor zwanzig Jahren, als in Polen unter Boy-2eleiiskis Einfluß die Großen der Vergangenheit „entbronzt“, also vermenschlicht wurden. Von George Sands dichterischer Geltung bleibt hier nichts zurück — doch Chopin erstrahlt, trotz der mit Wollust hervorgehobenen Kleinheiten und Schwächen seines niederen Ich, als der die Jahrhunderte überdauernde Genius. — Die Inszenierung Tadeusz Kantors und die Regie Roman Za-wistowskis halten die Mitte zwischen Realismus und Symbolik. Zofia Jaroszewska gestaltet meisterhaft das hinter der Maske männischer Stärke und schriftstellerischer Eitelkeit sich bergende schwache, sensible Weib George Sand. Die feinsinnige Kreation Jerzy Kaliszewskis (Chopin), das starke Temperament von Haiina Kuzniaköwna und Kazimierz Meres (die Kinder der Dichterin) fügen sich in den Rahmen des vortrefflich aufeinander eingespielten Ensembles. Ein Sonderlob gebührt Regina Smcndzianka für ihre einfühlsame Wiedergabe Chopinscher Klaviermusik.

Einen wahren Genuß für den Liebhaber des klassischen Lustspiels brachte der zweite Abend, des Grafen Aleksander Fredro 1833 enstandene „Mädchenschwüre“, ein ewig junges Werk, das den zarten Lavendelduft jener Tage mit der kräftigen Würze des Ortes, des polnischen adeligen Gutshofes, harmonisch vereint. Eine dreifache Liebesintrige mit Situationen der überlieferten Komödie — zwischen Beaumarchais (ohne dessen politische Kühnheiten) und Kotzebue — erfährt hier Bereicherung durch seelenkundliche Feinheiten, in denen Fredro, als Kenner des menschlichen Herzens seiner Zeit vorauseilend, die Tiefenpsychologie der Heutigen ankündigt. Die Sprache der anmutigen Verse ist die gebändigte des polnischen Nachklassizismus. Ein scharfer Gegensatz trennt die sorglos aristokratische Welt Fredvos (der füglich den Beinamen des ..polnischen Moliere“ mit dem eines sar-matischen Nestroy vertauschen sollte) von der volksdemokratischen Wirklichkeit des beutigen Polen. So zeugt es für die hohe Kunst des Regisseurs Roman Zawistowski, des Bühnenbildners Andrzej Stopka und aller Darsteller — an deren Spitze das quicklebendige Duo Gustaw-Klara (Kazimierz Meres-Halina Kuzniaköwna) und der gutmütig-polternde Oheim Radost (Zdzislaw Mrozewski) stehen — wenn eine stilgerechte Aufführung voll de zeitlosen polnischen Charmes zustande kam.

In den warmen Beifall des dankbaren Publikums beider Abende stimmten die des Polnischen unkundigen Besucher mit der gleichen Ueberzeugung ein wie die Mitglieder der Wiener polnischen Kolonie.

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