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Der Klassiker zu Lebzeiten

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Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts war der Name Friedrich Halm ein geläufiger Begriff und man verband mit ihm die Erinnerung an dankenswerte Bühnengestalten und wohlklingende Verse. Man hatte sie wohl meist nur auf den roten Reklame-bändchen und nicht mehr von der Bühne herab kennengelernt, aber immerhin erschienen noch einzelne dramatische Dichtungen Halms wie „Wildfeuer“ oder „Der Fechter von Rayenna“ hin und wieder auf dem Spielplan eines deutschen Theaters. Von 1840 bis 1880 etwa zählte jedoch dieser Wiener Dichter zu den am meisten gespielten deutschen Dramatikern und gar das Burgtheater, an dem die Stücke Halms fast durchwegs zur Uraufführung gekommen waren, konnte achtzehn verschiedene in seiner Chronik verzeichnen. Es handelte sich dabei aber keineswegs um eine bloße Wiener Lokalerscheinung, auch viele mittel- und norddeutsche Bühnen wetteiferten mit der Heimatstadt des Dichters in der Pflege wenigstens seiner beliebtesten Werke und als am 10. November 1859 der hundertste Geburtstag Schillers in ganz Deutschland gefeiert wurde, war es Halms Festdichtung „Vor hundert Jahren“, die sowohl am Burgtheater, wie in Weimar und Kassel, Schwerin und Mannheim zur Aufführung kam. Es muß auch bemerkenswert bleiben, wie in ihr der Dichter, der doch nur in dieser Eigenschaft den Namen Friedrich Halm führte und in Wirklichkeit als Eligius Freiherr von Münch-Bellinghausen österreichischer Hofbeamter war, freie und mutige Worte gegen die da und dort auftretende Kirditurmpolitik fand und die edle Gestalt Friedrich Schillers als Symbol für die,überall geltende Humanität feierte.

Der Siegeszug der Halmschen Bühnenwerke über die deutschen Bühnen begann am Burgtheater 1835 mit dem dramatischen Gedicht „Griseldis“. Die Vorzüge dieses letzten Zöglings des romantischen Theaters traten dabei gleich blendend zutage: wirksame dramatische Konflikte im Gewand einer farbigen Zeit, an den spanischen Klassikern geschulte Szenentechnik, die Leichtigkeit mit Dichte aller Spannungsmomente geschickt vereinie, eine Sprachkultur, die die Verse ebenso gefällig wie flüssig gestaltete, und für die Schauspieler vor allem Rollen, in denen sie sich in der ganzen Mannigfaltigkeit ihres Könnens zeigen konnten. Es trat aber auch die Grenze im Schaffen Friedrich Halms hervor, seine Gestalten hatten weniger Lebenswahrheit als Bühnensicherheit, sie brauchten den Schauspieler, damit er ihnen aus eigenen Beständen Fülle des Lebens und Überzeugungskraft schenkte. Traf dies aber ein und wurden die Rollen aus der großen Natur eines echten Menschendarstellers gespeist, so kamen Wirkungen zustande, wie sie sonst nur bei großen Dichtern einzutreten pflegten. So mußte es bei Julie Rettich der Fall gewesen sein, die Halms „Griseldis“ mit so auffallendem Erfolge durch Jahre verkörperte. Es darf aber gleichzeitig nicht vergessen werden, welche außerordentliche Möglichkeiten der Dichter der Schauspielerin mit weisem Vorbedacht geliefert hatte, dieses natürliche, liebende Weib am zynischen Hofe des Königs Artus, ein bis an d;e letzten Grenzen getriebenes Spiel, das im Vertrauen auf ihre Liebe in Szene gesetzt wurde, das Aufbäumen ihrer Menschenwürde, als ihr der Trug bekannt wird, und die Kraft der Entsagung und des Abschieds, wenn sie dem geliebten Mann danach nicht mehr folgen zu können glaubt. Das Schauspiel stieg von einem Höhepunkt auf den anderen, die Geiadlinigkeit der Entwicklung bereitete weder dem Schauspieler nodi dem Publikum eine Schwierigkeit, der dramatische Schwung wurde, dabei von keinem tieferen Eindringen in die menschli~he Seele beiastet und die Erschütterungen des Herzens gingen nie so weit, daß der Charakter eines auf Genuß und Erbauung bedachten Spieles überschritten wurde.

Unter den späteren Werken Halms erreichte noch manches an Publikumswir-kung seinen dramatischen Erstling am Theater, ja er wurde an Ergiebigkeit der Rollen vielleicht sogar mitunter übertroffen, aber „Griseldis“ wurde in ihrer fraulichen Würde, in der urprünglichen Anmut ihres Gefühlsausdrucks von keiner ihrer zahlreichen Nachfolgerinnen in den Schatten gestellt. In dem Drama „Der Fechter von Ravenna“ entbehrt der dramatische Konflikt einer letzten Glaubwürdigkeit und wirkt daher künstlerisch überspitzt, weil Halm die schlichte Größe für Szenen von solchem weltweiten Ausmaß fehlte. Was für eine dankbare Rolle für eine Heroine war jedoch diese Thusnelda, die unglückliche Witwe Armins, die in Rom vor Cäsar Caligula den eigenen Sohn tötete, um ihn der Schmach zu entreißen. Nach solchen großen Situationen war Halm immer wieder auf der Suche und der gelehrte Kenner der spanischen Literatur fand manchen ergiebigen Stoff auf diesem ihm sehr entgegenkommenden Boden, sei es, daß er ihn für eine eigene Arbeit nutzte .oder in freier Art ins Deutsche übertrug. Daß ihm auch liebenswürdiger Humor zu eigen und seinen bildnerischen Fähigkeiten vielleicht sogar gemäßer war, zeigte „Der Sohn der Wildnis“ und „Wildfeuer“. Das erstgenannte dramatische Gedicht wurde vier Jahre nach der unglücklichen Premiere von Grillpar-zers „Weh dem der lügt“ am Burgtheater gegeben, Halm hatte darin sichtlich Anregungen verwertet, die er von dem aus menschlichen Tiefen heiter aufgestiegenen Meisterwerk empfangen hatte, nur waren bei ihm die Themen auf einer anmutigen Oberfläche zubereitet und in reizvolle Spielszenen so geschickt aufgelöst, daß das Stück dem Publikum sehr zu Gefallen gespielt wurde. Konnte es aber auch etwas Dankbareres für einen jungen Helden mit Humor und eine beherzte Liebhaberin geben als diesen Ingomar, einen kraftstrotzenden rauhen Krieger, der von einer ihm in den Weg laufenden Mädchenunschuld gezähmt wird? Auf der gleichen Linie liegt auch Halms „Wildfeuer“. Hier ist es gar ein junges Mädchen, das einer Erbschaft wegen als Mann aufgezogen worden war, und nun die Liebe kennenlernt, die in ihr zu ihrem edlen Waffenmeister aufkeimt, der sich .dann unglücklich-glück-licherweise auch als ihr Rivale um das Erbe erweist. Dieser tapfere Junge Rene, der sich in eine liebevolle Renate verwandelt, war eine Fundgrube an schauspielerischem Detail für jede Naive, und ganze Generationen von ihnen ließen sich diese Bombenrolle nicht entgehen. So war es auch noch das letzte Stück, das von Halm am Burgtheater gegeben wurde, 1910, mit unserer Albach-Retty als Rene und Georg Reimers als Marcel de Prie. Um Friedrich Halms Art zu bezeichnen, darf es hier genügen, seine bekanntesten Werke an uns vorüberziehen zu lassen. Es finden sich aber auch in den anderen viele bemerkenswerte dramatische Situationen und dankbar profilierte Gestalten. Seine zahlreichen, bei inneren und noch mehr äußeren Gelegenheiten entstandenen Gedichte und die an lateinischen Novellen geschulten Erzählungen zeigen sein reiches Können auch auf diesen nur nebenher betretenen Gebieten. Es gibt darunter ein rührendes Gedicht, das seinem ersten Erlebnis mit Grillparzer gelegentlich des Erscheinens der „Ahnfrau“ gilt. Wie er sich hier als ehrgeizigen Knaben schildert, der vor der Leistung eines Größeren bescheiden und einsichtsvoll zurücktritt, das übermittelt uns ein anschauliches Bild seiner hochgearteten Charaktereigenschaften und der wahrhaften Würde eines echten Edelmanns.

Im Lebenswerk Friedrich Halms verkörpert sich ein Stück Wiener Theaterkultur. War sie bei Grillparzer eben erst in die Tiefe gegangen und hatte Meisterwerke von bleibender Gültigkeit hervorgebracht, so wirkte sie bei Halm nun in die Breite. Ein glücklicher Erbe war auf den Plan getreten, der den Thespiskarren ohne sichtbare Anstrengung über geebnete Straßen zog und überall Erfolge einheimste. Daß es mit so viel ursprünglichem Theatersinn, mit Geschmack und Anmut geschah, bleibt Halms persönliches Verdienst. Er hat das Wissen um alle Wesenszüge des Theaters in einem dafür besonders empfänglichem Publikum wachgehalten und an der schon legendären Glanzzeit des alten Burgtheaters einen we-sentlidien Anteil gehabt, durch die vielen dankbaren Aufgaben, die er seinen Lieblingen stellte. Wenn im Stiegenhaus des neuen Hauses seine Büste neben denen von Grillparzer und Hebbel stand, so durften wir dies mit ihm nicht als Ausdruck seiner dichterischen Wertung nehmen; aber als Dankesschuld in der Geschichte des Hauses und seiner Schauspieler wie als bleibendes Zeichen seiner Verdienste um die Theaterkultur dieser Stadt hatte es durchaus historische Berechtigung.

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