6532340-1945_03_07.jpg
Digital In Arbeit

Der österreichische Schauspieler Josef Kainz

Werbung
Werbung
Werbung

An einem Schauspieler kann die Art eines Landes und eines Menschenschlags besonders deutlich werden, in aller Sinnfälligkeit des Daseins, mit dem ganzen Zauber des Herzens und der Leidenschaften, in der Offenbarung seines geheimsten Daseins, wie es uns aus Wort und Hauch durch die Kunst des Mimen übermittelt wird. Ist ein solcher Schauspieler nicht ein erlesenes Dokument unserer Art und seine Erscheinung würdig unseres Gedenkens? Bei Josef Kainz kann man es wohl mit besonderer Überzeugungskraft behaupten, Erinnerungen hoher Art sind durch seinen Namen heraufbeschworen, er ist nach Jahrzehnten noch von unauslöschlichem Glanz umgeben, und das Ereignis, das er gewesen ist, wird dem Lande zugeschrieben, das ihn geboren hat, wie der Kunstgattung, die durch ihn eine Ausdeutung in neue Weiten erfahren hat. Es wird dies auch immer wieder Anlaß sein, seiner einzigartigen Persönlichkeit nachzufragen und seiner kometenhaften Laufbahn zu folgen.

Als Josef Kainz in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf der deutschen Bühne antrat, wirkte sein Erscheinen wie ein Einbruch. Ein seltsam leuchtender Fremdkörper flackerte über den beruhigten, in geordneten Bahnen laufenden Himmel, wenn es scheinbar auch nur der war, den der Theatermeister noch mit blauer Farbe auf Leinwand malte. Dieses Meteorhafte an dem Schauspieler Kainz hatte einen besonderen Grund, er stellte nicht nur das Theater, an dem er wirkte, sondern auch alle Begriffe vom Theater auf den Kopf. Wo fragte noch jemand nach der Fülle und Schönheit der menschlichen Erscheinung, ohne die es angeblich beim Theater nicht ging? Wer dachte je daran, wenn er ihn in einer Rolle sah, daß sein Körper unansehnlich, seine Gesichtszüge nicht gerade ebenmäßig waren? Ja, er hatte sein Theaterspielen auf den Kopf gestellt, aber dieser Kopf barg die Leidenschaft des Geistes. Dieser Geist sprach nicht nur aus seinen wundervoll beredten Augen, er hatte seinen ganzen Körper durchdrungen und gab ihm geistige Grazie und bezwingende geistige Haltung.

Kainz hat einmal im Theater erklärt, ihm brauche eine Abänderung der Vorstellung nicht angesagt zu werden, man lege ihm nur das richtige Kostüm in die Garderobe, dann wisse er schon Bescheid. Aber es lag nicht daran, daß er sich an irgend etwas Äußeres gehalten hätte, sondern er war bei jeder Rolle bis ins Herz ihres Herzens vorgedrungen und hatte sie von ihm aus bis in die letzten Fasern erfüllt. So wenig er aber auch an irgendeinem Detail haftete, war doch an der losesten Schwingung seiner heiß hinströmenden Rede diese Durchdrungenheit von Herzblut und Wissen hörbar. Daß er daneben auch ein technisches Phänomen war, kam erst in zweiter Linie. Wie mühelos gehorchte ihm aber seine Stimme und wie konnte er sie verlieren, von messerharter Schärfe bis zum breiten Vollklang gesättigter Betrachtung! Eine nicht mehr wiedergekommene Sicherheit des Gedächtnisses ermöglichte ihm, so frei mit seinem Genie zu schalten. Ob König Alphons oder Düsterer, Hamlet oder Cyrano, ein Fuldascher Lustspielkönig oder ein kleiner preußischer Leutnant: er war in allen seinen Rollen gleicherweise zu Hause.

Ein österreichischer Provinzschauspleler war er 19jährig auf dem Umweg über Leipzig an das Hoftheater in Meiningen gekommen, lernt künstlerische Zucht, sein jugendliches Temperament blüht, gehalten von der künstlerischen Gesinnung, die hier herrscht, erst richtig auf. Er legt den Grundstock zu der umfassenden Bildung, aus der er gestaltend immer reicher schöpfen sollte. So kommt er 1880 an das Hoftheater in München und wächst dort, von der Freundschaft des unglücklichen Königs Ludwig IL gefördert, mannigfaltiger als bisher in das jugendliche klassische Fach. Drei- Jahre später ist er am neugegründeten Deutschen Theater in Berlin und spielt in der Eröffnungsvorstellung von „Kabale und Liebe“ den Ferdinand. Der darauffolgende Karlos ist ein überwältigender Erfolg für Kainz. Berlin ist für ihn gewonnen, er wird auf Jahre zum gefeierten Schauspieler der Reichshauptstadt. Zwischen Liebhaber- und Charakterfach schwankend, bezwingt er durch einen romantischen Zauber ganz neuer Art. Wenn man ihn zergliedern wollte, könnte man ihn wohl nicht anders bezeichnen als geistige Besessenheit, die über einen Körper und eine Stimme restlose Gewalt gewonnen hatte. Es war eine fruchtbare Zeit. Am Deutschen Theater lernt er Ibsen kennen, der junge Hauptmann und Sudermann erringen mit Kainz ihre ersten Erfolge. Immer aufs neue wirbt er auch für Grillparzer und hat zu dessen Geltung in Deutschland wesentlich beigetragen.

Dem Burgtheater gehörten die Jahre seiner Reife. Nachdem er bereits 1897 und 1898 in je vier Rollen gastiert hatte, wurde er am 1. September 1899 Mitglied des Theaters und blieb es bis zu seinem Tode. Der Österreicher war heimgekehrt. Der Romeo wurde hier zu Mark Anton, Ferdinand zu Tasso und Mephistopheles und, als er starb, hatte er statt des Rustan die Rolle des Zanga, statt Karlos den König Philipp im Hause. Diesem großen Gestalter des Wortes war es verliehen, einer Figur jene absolute Gültigkeit zu geben, die nur dem Vollendeten zukam. Wie er etwa als Richard II. in den beiden letzten Akten das irdische Abwärtsgleiten dieses tragischen Königs mit einer Manifestation seines Denkens durchdrang, wie er dabei die Horizonte immer weiter und weiter steckte und die wirkliche Souveränität des Geistes errang und behauptete, ihn durch Erniedrigungen noch immer tiefer führte und im letzten Augenblick am reinsten bewahrte, das war nicht bloß ein geistiges Phänomen besonderer Art, sondern Erfüllung eines künstlerischen Weltbilds. Was immer er äußerte, es ging durch das'tausendfältige Sieb seines Kopfes, aber aus dem Temperament, in dem sein Hirn arbeitete, sprach Herzblut, wie nur bei irgendwem. So konnte er noch neben dem Armen Heinrich den Mortlmer spielen und war hinreißender und glaubhafter, als es bloße Jugend hätte geben können. Doch kannte dieser Kopf auch den Zweifel und das Wissen um die Dinge, es zeichnete sich in allen Zwischenfarben eines modernen Schauspielers, wie etwa in Schnitzlers „Zwischenspiel“, Charakteristisch für ihn war, wie er noch zuletzt den Grutz in Schönherrs „Erde“ spielte, den man nachher noch von Baumeister, Tyrolt und Thaller gesehen hat. Wenn er auf der Waage stand und die Schale wieder stieg, sprach aus seinen Augen nicht die Freude über die Zähigkeit seines Körpers, sondern es lebte in ihnen unheimlich eine Genugtuung auf über die Zähigkeit des Geistes, der über den Körper gesiegt hatte.

Hierin liegen auch die Wurzeln der fast magischen Gewalt, die Kainz auf seine Mitwelt ausübte. Staunend konnte sie an ihm erleben, wie der Geist einen Menschen restlos durchdrang. Das war das unerhört Neue an ihm und damit auch das manchmal fast Beunruhigende. Der Mann auf der Bühne war durch ihn ein anderer geworden, das männliche Wesenselement hieß bei ihm: geistige Persönlichkeit. Er war sie so stark, daß die ganze Literatur, die er spielte, auf dem Theater eine geistige Aufwertung erlebte und die hohe Prägung, die er ihr sein Leben lang gab, hier nicht mehr verloren gehen kann.

Was die Art des Geistes aber anbelangt, der in Josef Kainz ewig brennend herrschte, so muß sie als eine spezifisch österreichische bezeichnet werden. Melodische Weichheit verband sich in ihr mit Energie des Willens, klagend und anklagend brach sich der angeborene Reichtum von Gefühlen am Wissen um die irdischen Dinge und aus den schillernden Formen einer erfahrenen Lebenshaltung trat wieder die Klarheit natürlicher Anschauung hervor. In der Melodie der Rede mochte etwas von den bewegten Linien des Wienerwalds liegen, zwischen denen der Strom zielgebend sich durchbrach, die würzige Luft der Alpen spielte noch herein, ohne ihre Härte, die breite Sicherheit der Ebene, ohne ihre Schwermut. So war Josef Kainz ein hödister Ausdruck österreichischer Besonderheit und geistige Manifestation des Menschenschlags, der am Rande unserer Voralpen zu Hause ist.

Die Art eines großen Schauspielers erscheint uns stets im Spiegel von Gestalten, die aus der dramatischen Weltliteratur kamen, um in ihm einen Abend lang zu Hause zu sein. Sie begrenzten wohl sein Wesen und engen es durch ihre nun einmal vorbestimmten Linien ein, schütten aber zugleich ein Füllhorn von Farben und Tönen über ihn aus, die er nur riditig zu nutzen verstehen muß. Selten hat diese vielgestaltigen Möglichkeiten ein Schauspieler in so reichem Maße ergriffen wie Josef Kainz, und der Lorbeer, der über seinem spredien-den Kopfe nicht verwelken kann, ehrt ihn auch aus dem Grunde, weil er ein großer Künstler geworden ist eben dadurch, daß er ein echter Österreicher war.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung