Wiener Blut, vergeistigt

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Er wies der modernen Schauspielkunst den Weg, sein Ruhm hat sich # entgegen einem Diktum # bis heute erhalten. Zum 100. Todestag von Josef Kainz am 20. September.

Einigen Mimen flicht die Nachwelt doch Kränze. Josef Kainz, der vor hundert Jahren in Wien gestorben ist, gehört zu diesen wenigen. Er war ein Ausnahmekünstler seiner Epoche. Und er war ein Star # den viel geschundenen Begriff gab es schon damals. Als Kainz am 20. September 1910 starb, #empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von seinem Tode#, wie Thomas Mann wenig später den #Tod in Venedig# seines Protagonisten Gustav Aschenbach beschrieb. Hugo von Hofmannsthal indes dichtete in seinem Epitaph auf den Freund, dem er manche Anregung verdankte: #Ich klage nicht um dich. Ich weiß jetzt, wer du warst, / Schauspieler ohne Maske du, Vergeistigter.#

Der Ruhm dieses Menschendarstellers hat sich erhalten, bis heute. Denn Josef Kainz hat der Schauspielkunst des 20. Jahrhunderts den Weg gewiesen. Vor ihm wurde vorwiegend von der Bühne herab deklamiert: Spielbein, Standbein, dazu eine hochfahrend-rhapsodische Sprache, wobei die nahezu singend vorgetragenen Töne zwischen Einfühlung, Hymnus und Dramatik keineswegs immer sicher getroffen wurden. Mit Kainz begann auf deutschsprachigen Bühnen eine Menschengestaltung, der es um die Enthüllung nicht nur der äußeren Triebkräfte theatralisch gedeuteter Handlungen, sondern vor allem ihrer seelischen Beweggründe ging.

Rasanz der Sprache

Das Ekstatische und Exzessive war kennzeichnend auch für die Bühnenkunst von Josef Kainz. Nur lud er sie mit einer nervösen Spannung auf, die seiner Umbruchszeit geschuldet war. Die jüngere Generation der Theatergeher sah sich in dieser aufgewühlten, suchenden Spielweise des ephebenhaften Schauspielers erkannt und erkor ihn zum Idol. Seine Paraderollen wurden Romeo, Hamlet, Don Carlos, Ferdinand in Schillers #Kabale und Liebe# oder Franz Moor in #Die Räuber# # lauter Rebellen gegen die Väterwelt. Kainz verkörperte mit der federnden Geschwindigkeit seiner Sprachbehandlung die Dynamik einer neuen Zeit, die sich auch im Lauffeuer der beginnenden Großstadt-Illuminierung ausdrückte: in der Elektrifizierung. Noch 1908 stellte Hermann Bahr fest, es sei Kainz gelungen, #den Inhalt einer ganzen Jugend auszudrücken#.

Die Rasanz seiner Sprache entzündete den Geist der Zuschauer. Wie ein Pfeil schnellt ja der deutsche Satz seinem Ziel, der verbalen Auflösung seines Sinnrätsels, entgegen. Dem Pfeil zu folgen, ohne in den gebotenen Fermaten den Spannungsbogen zu verlassen, verlangt vom Schauspieler eine rhetorische Meisterleistung. Kainz muss sie, Berichten zufolge, wie ein Sperber ausgeführt haben: #Er konnte über eine weite Ebene von gleichgültigen Worten hintanzen, um sich dann auf ein einziges Hauptwort zu stürzen. Daran hing er sich mit aller Wucht wie an eine Glocke, so dass jeder wusste: das war es, das pochende Herz dieses Aktes. Seine Kunst gab Ausblicke, Fernblicke, Panoramen# # so beschrieb es später der Reinhardt-Schauspieler Friedrich Kayßler.

Wie entsteht Charisma auf der Bühne? Dem (griechischen) Wortsinn zufolge ist es eine #Gnadengabe#. Also: nicht herstellbar. Unabdingbar ist: Persönlichkeit. Im antiken Theater war persona die Stimme des Darstellers, die durch die Maske durchtönte: per-sonare. Demnach ist die Stimme der maßgebliche Träger der Verzauberung. Bei Kainz muss sie betörend, aufreizend gewesen sein. Dazu kommt ein großer Aufruhr des Temperaments, der den ganzen Körper erfasst, nicht äußerlich aufgesetzt, sondern von innen sich Form schaffend. So wird Authentizität erlebbar: durch Energie. Von Kainz wird die artistische Biegsamkeit des schlankwüchsigen Körpers überliefert, sein unbedingter Einsatz, die drahtige, doch kraftvolle Erscheinung.

#Zuständigkeitsrecht nach Wien#

#Siehst, Pepi, da unten wirst du auch einmal stehen#, soll der theaterbegeisterte Vater Kainz seinem halbwüchsigen Sohn zugeraunt haben, als er ihn in Wien in die Burgtheater-Galerie einführte. Später, als 42-Jähriger, schrieb der Schauspieler über seinen Werdegang: #Ich bin als der Sohn christlicher, aber ehrlicher Eltern zu Wieselburg in Ungarn am 2. Januar 1858 geboren. Als ich drei Jahre alt war, übersiedelten meine Eltern nach Brünn, wo ich meine erste Schulbildung genoss. Im Jahre 67 wurde mein Vater nach Wien versetzt. Da meine Eltern geborene Wiener waren, habe ich auch das Zuständigkeitsrecht nach Wien, den Wiener Dialekt, das Blut etc. Und bin also Wiener. Im Jahre 73 ergriff mich der #Trieb# und ich ging bei#s Theater.# Der Vater hatte eine typische altösterreichische Laufbahn als einfacher Beamter der Staatseisenbahn eingeschlagen, mit Dienstverpflichtungen dort und da; so auch in der westungarischen Grenzstadt Mosonmagyaróvár, wie Kainz# Geburtsort heute heißt. Seinen Sohn musste Joseph Alexander Kainz, der selber einmal in Linz als Heldendarsteller sein Glück auf den Bühnenbrettern gesucht hatte, nach der vierten Klasse Gymnasium aus der Schule nehmen. Der Grund: häufiges Fehlen wegen Auftretens in Wiener Wirtshaussälen. In dem 200 Plätze umfassenden Sulkowsky-Theater nahe dem Matzleinsdorfer Platz, das vorwiegend Eleven als Übungsbühne diente, debütierte der junge Josef 1873.

Mit dem Meininger Hoftheater ging der 20-Jährige auf Gastspielreise, bevor er ans Hof- und Nationaltheater München engagiert wurde, wo er zum Lieblingsschauspieler des Bayernkönigs Ludwig II. wurde. In Separatvorstellungen durfte er vor dem theaterseligen Monarchen brillieren, bis ihn dessen Ansinnen, auch zu nächtlicher Stunde, passend zur majestätischen Laune, mit seiner Deklamationskunst zur Verfügung zu stehen, abstieß. Das königliche Angebot eines lebenslangen Kontrakts schlug er, an Schiller geschult, mit der kühnen Wendung aus: ## und so schließe ich mit den Worten des Lieblingsdichters Ew. Majestät: Ich kann nicht Fürstendiener sein!#

In Berlin, im Ensemble des 1883 gegründeten Deutschen Theaters, stieg sein Stern steil empor am Theaterhimmel. In der am stärksten aufstrebenden europäischen Großstadt entwickelte sich Kainz zum berühmtesten Charakterdarsteller seiner Zeit. Otto Brahm setzte dort die sozialkritische Sicht einer neuen, naturalistischen Dramatikergeneration durch. Josef Kainz spielte Hauptmann, aber auch Ibsen, Hofmannsthal und Schnitzler # und Shakespeare, Molière, Goethe, Kleist, Schiller und Grillparzer. Zwischendurch wurde er, da vertragsbrüchig, für alle großen deutschsprachigen Bühnen gesperrt. Er wich auf eine Berliner Kleinbühne aus und ging, inzwischen mit einer Deutschamerikanerin verheiratet, auf USA-Tournee und nach Russland.

#Jüdischer Schauspielstil#

Seit 1897 spielte Kainz in Wien. Seine Ernennung zum Hofschauspieler 1899 bedeutete gewissermaßen die Erhebung in den künstlerischen Adelsstand # es war die optimale soziale Politur. Am Burgtheater spielte er neben modernen und komischen Rollen bis zu seinem Tod fast zwei Drittel aller Klassikerpremieren. #Demetrius#, #Prinz von Homburg#, #Tartuffe#, Mephisto im #Faust# und Marc Anton in #Julius Cäsar# sind darunter. Doch er wurde nicht nur bejubelt. Wie die Münchner Theaterwissenschafterin Judith Eisermann in einer druckfrischen Kainz-Darstellung (im Utz-Verlag) dokumentiert, wurde dem Mimen, ebenso wie später seinem genuinen Nachfolger Alexander Moissi, in ultrakonservativen Wiener Kreisen #jüdischer Schauspielstil# vorgeworfen # ein typischer Fall von Antisemitismus ohne Juden.

Mag sein, dass diese Anfeindungen Kainz zuletzt dazu bewogen haben, einen sechsjährigen Urlaub vom Burgtheater zu nehmen. Er ging wieder auf Vortragsreisen, eilte von Spielort zu Spielort, rieb sich auf # nicht nur für seine Kunst, auch für seinen exzessiven Lebensstil. Mit 52 Jahren starb er an Darmkrebs. Fünf Tage vor seinem Tod hatte er die ersehnte Ernennung zum Hoftheaterregisseur überreicht bekommen. Doch der Hexenmeister der modernen Schauspielkunst konnte nur mehr posthum das Spiel bestimmen # als Legende und Vorbild für viele nachfolgende Bühnenzauberer.

* Der Autor war stellvertretender Direktor am Wiener Volkstheater und Chefdramaturg in Graz. Er lebt als Kulturpublizist in Wien.

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