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Der Burgtheater-Stammtisdi

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Zu Beginn der Saison 1925/26 steuerte mein unstetes Leben seinem Höhepunkt zu. Ich spielte in jenen Tagen vor allem das Fach des Bonvivants. Also fühlte ich mich bemüßigt, die von den Vertretern des Faches so gern geübte Tradition des Schulden-machens nicht abreißen zu lassen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Es gab keinen Kaiser mehr, der den Herren Hofschauspielern immer wieder ihre Schulden nachließ. Aus einem großen Reich war ein von inflationären Tendenzen ständig bedrohter Kleinstaat geworden, der trotz aller Not die Noblesse aufgebracht hat, die einstigen kaiserlichen Theater in seine Obhut zu übernehmen. Da Gagenvorschüsse nicht mehr so leicht zu bekommen waren wie einst, sah man sich gezwungen, private Kreditinstitute in Anspruch zu nehmen. Ich bediente mich der Hilfe des „Spar-und Vorschußkonsortiums Währing des Ersten allgemeinen Beamtenvereines“, bei dem ich im Laufe der Spielzeit 1925/26 mit fast 20.000 Schilling in die Kreide geriet. Trotzdem gab ich mein wildes „Drahrerleben“ nicht auf. Ich verfiel dabei auf die Idee, einen Burgtheaterstammtisch zu gründen, da ich glaubte, durch ein regelmäßiges Beisammensein mit meinen Kollegen auch außerhalb des Theaters einen Halt zu finden.

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Zu Beginn der Saison 1925/26 steuerte mein unstetes Leben seinem Höhepunkt zu. Ich spielte in jenen Tagen vor allem das Fach des Bonvivants. Also fühlte ich mich bemüßigt, die von den Vertretern des Faches so gern geübte Tradition des Schulden-machens nicht abreißen zu lassen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Es gab keinen Kaiser mehr, der den Herren Hofschauspielern immer wieder ihre Schulden nachließ. Aus einem großen Reich war ein von inflationären Tendenzen ständig bedrohter Kleinstaat geworden, der trotz aller Not die Noblesse aufgebracht hat, die einstigen kaiserlichen Theater in seine Obhut zu übernehmen. Da Gagenvorschüsse nicht mehr so leicht zu bekommen waren wie einst, sah man sich gezwungen, private Kreditinstitute in Anspruch zu nehmen. Ich bediente mich der Hilfe des „Spar-und Vorschußkonsortiums Währing des Ersten allgemeinen Beamtenvereines“, bei dem ich im Laufe der Spielzeit 1925/26 mit fast 20.000 Schilling in die Kreide geriet. Trotzdem gab ich mein wildes „Drahrerleben“ nicht auf. Ich verfiel dabei auf die Idee, einen Burgtheaterstammtisch zu gründen, da ich glaubte, durch ein regelmäßiges Beisammensein mit meinen Kollegen auch außerhalb des Theaters einen Halt zu finden.

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Das war bis zu einem gewissen Grad auch der Fall. Doch nach Auflösung der Tafelrunde zog ich meist noch allein weiter. Ich konnte damals einfach nicht heimfinden! Und dabei hätte ich es so leicht gehabt. Denn zu Beginn des Jahres 1926 hatte ich mir im obersten Stockwerk jenes Hauses, in welchem sich der Burgtheaterstammtisch befunden hat, ein Zimmer eingerichtet. Es war das Haus Herrengasse Nr. 19, an der Ecke der Bankgasse.

Dort befand sich einstmals das Hotel „Klomser“, in dessen ersten Stock sich 1913 der Verräter Oberst Redl erschossen hat. Zur Zeit der Gründung des Burgtheaterstammtisches befand sich in den Parterrelokalitäten dieses ursprünglich einem Grafen Batthyäny gehörigen Palais das Restaurant „Landhaus“, das vom jüngsten Sproß der bekannten Gastwirtefamilie Rieder, meinem lieben Freund Maxi Rieder,

geführt wurde. Dieser warmherzige, begeisterungsfähige Idealist, der im Stehparterre des Burgtheaters ebenso zu Hause war wie hinter seinem Schanktisch, scheute weder Kosten noch Mühe, um uns Burgschauspielern den Aufenthalt in seinem Lokal so gemütlich wie nur möglich zu machen. Er ließ nach den Originalen der Ehrengalerie unseres Hauses das von Lenbach gemalte Jugendbildnis Auguste Wilbrandts und das große Bild von Josef Kainz als König Richard II. auf seine Kosten kopieren. Das von Professor Krausz geschaffene, ungemein repräsentative Kainz-Porträt bildete den Hauptschmuck des Stammtisches, der sich im kleineren, entlang der Bankgasse gelegenen Speisesaal des Restaurants befunden hat. Es war ein gewölbter Raum mit holzgetäfelten Wänden, in dessen abgeschirmter Ecke gegen die Schank zu ein wuchtiger Tisch stand, auf dessen schwere Platte aus naturbelassenem Eichenholz von

oben her aus einer schmiedeeisernen Laterne ein warmes Licht fiel. Rechts vom Kainz-Bild war ein Porträt von Georg Reimers als Dunois angebracht. Links davon stand auf dem Gesims der Wandvertäfelung eine Statuette Max Devrients als Zawisch. Dicht unter dem Bild von Kainz war in die Wandverkleidung ein Ziegelstein des alten Burgtheaters am Michaelerplatz eingelassen, der aus dem Nachlaß einer Enkelin des Burgschauspielers Anschütz in meinen Besitz gelangt war. An der Schmalseite der Stammtischecke hing zuoberst das Jugendbildnis von Auguste Wilbrandt-Baudius, daneben ein Stich vom alten Burgtheater und darunter ein Selbstporträt Otto Tresslers als Fedja in „Der lebende Leichnam“.

*

Der in allernächster Nähe des Burgtheaters gelegene Stammtisch, zu dem von der Bankgasse aus eine kleine Tür führte, wirkte wie ein Magnet, besonders auf die männlichen Mitglieder unseres Hauses. Stammtische sind nun einmal Reservate der Männerwelt, vor allem der trinkfreudigen. Daher kam es auch, daß sich die Damen des Ensembles und jene Kollegen, die für einen guten Trunk nichts übrig hatten, wie zum Beispiel Raoul Aslan, nur selten am Stammtisch einfanden. Dafür um so mehr und häufiger die großen Alten von damals: Max Devrient, Georg Reimers, Carl von Zeska, Otto Tressler, Willy Thaller. Auch die neuen reichsdeutschen Kollegen Paul Hartmann und Werner Krauss kamen immer wieder. Im Gegensatz zu den meisten Stammtischrunden, die sich für gewöhnlich nur allmonatlich an ganz bestimmten Tagen zusammenzufinden pflegten, tagte der letzte Bur?theaterstamm-tisch im „Herrenviertel“ während der Spielzeit ununterbrochen. Da sich meine Wohnung und der

Stammtisch in ein und demselben Haus befanden, empfand ich ihn als einen Teil meiner Behausung, als mein Empfangs- und Speisezimmer. In der von Maxi Rieder und mir eingerichteten Stammtischecke fühlte ich mich gewissermaßen als Hausherr. Dort führte ich Regie. Bei allen besonderen Anlässen inszenierte ich die entsprechenden Festivitäten. Auf diese Art und Weise kam ich mit der Mehrzahl meiner Kollegen in einen engeren persönlichen Kontakt und wurde nach und nach zu deren Sprecher.

Durch mehr als ein Jahrfünft saßen wir Schauspieler des Burgtheaters, ob alt oder jung, hier beisammen. Wir „Jungen“ von damals saßen neben den von uns verehrten Idolen unserer Studienzeit, ließen uns von ihnen über Vergangenes berichten und besprachen mit ihnen die Probleme und Geschehnisse unserer Tage. Eine Atmosphäre herzlicher Kameradschaft und Zusammengehörigkeit lag über der letzten ständigen Tafelrunde unseres Hauses. Bed aller fröhlichen Ausgelassenheit, die mehr als einmal herrschte, ging uns „Jungen“ doch niemals das Gefühl der Ehrfurcht und des Respektes vor den „Alten“ verloren. Trotzdem durften wir uns zum Beispiel einer geistigen Autorität wie Albert Heine gegenüber ruhig auf seine Person gemünzte Bemerkungen erlauben, die uns gar mancher der heutigen Herren Regisseure verübeln würde. Albert Heine verübelte es uns auch nicht, daß wir den Stammtisch nicht mit einem seiner Rollenbilder schmückten, sondern in Anspielung auf sein stereotypes „Himmelhund, verfluchter, ich erschlag djch mit dem Klosettdeokel“ mit einem solchen, dessen Knauf das Porträt von Heines markantem Schädel zierte.

Natürlich gab es auch damals innerhalb des Ensembles persönliche Unstimmigkeiten und Gegensätze, doch nach außen hin war es ein geschlossenes Ganzes, beseelt von einem echten Zusammengehö-

rigkeitsgefühl, das nicht nur uns Schauspieler, sondern sämtliche Angestelltengruppen unseres Hauses miteinander verband. Ein ganz besonders vertrautes Verhältnis herrschte zwischen uns und dem Garderobepersonal. Der Garderobier gehörte zu seinem Herrn wie eine Frau zu ihrem Gatten. Wie diese sah auch er seinen Herrn im vollsten Sinne des Wortes nackt, kannte alle seine Gewohnheiten und Schwächen und war an den so aufregenden Premierenabenden der geduldige Blitzableiter für seine Nervositäten. Der Garderobier, der im Laufe der Kostümproben das Werden einer Rolle seines Herrn verfolgen konnte, durchlebte mit ihm auch alle Qualen und Wonnen einer Premiere, stand dabei aufgeregt hinter den Kulissen und hielt die Daumen. Aber nicht nur diese uns nahestehenden und getreuesten Handlanger des Theaters, sondern auch alle anderen, wie Requisiteure, Beleuchter und Bühnenarbeiter, nahmen früher einmal regen Anteil an uns, verfolgten aufmerksam das Geschehen auf der Bühne, freuten sich über jede positive Reaktion des Publikums und begrüßten uns beim Abgang mit strahlenden Gesichtern und einem herzhaften: „Das war tulli!“ Auch zwischen dem darstellenden und dem technischen Personal unseres Hauses herrschte zur Zeit, da ich ans Burgtheater kam, ein viel herzlicherer und dabei doch respektvollerer Ton als heute. Die Bühnenarbeiter aller Kategorien von damals hatten noch eine persönliche Beziehung zu uns Schauspielern, waren irgendwie stolz auf uns. Dies zeigte sich ganz besonders, wenn es darum ging, das Dienstjubiläum eines Burgschauspielers zu feiern. Burgtheaterjubiläen waren aus der Hast des Alltags ausgesparte Stunden besinnlicher Rückschau, Gipfelstunden für den Gefeierten und Stunden ehrlicher Freude für alle daran Beteiligten.

Aus dem soeben im Herold-Verlag Wien-München erschienenen Buch „Das republikanische Hoftheater“ von Fred Henning.

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