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GRETA GARBO

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TM JAHRE 1941 stand Europa mitten im Krieg. Niemand wußte, wann er enden würde. Auch Hollywood nicht. Das Filmbabel hatte Sorgen. Der europäische Markt war abgeschnitten. Deshalb machte man Filme nur nach amerikanischem Geschmack. Einer davon hieß: „Die Frau mit den zwei Gesichtern.” Es war ein Lustspielfilm und ein Mißerfolg. Man führte ihn darauf zurück, weil der Hauptdarstellerin die Rolle eines Glamourgirls mit zweigeteiltem Badeanzug aufgedrängt worden war. Die Schauspielerin filmt seither nicht mehr. “Jetzt ist die ruhelos Umherirrende mehr als fünfzig Jahre, bei Lebzeiten schon eine Legende, in der Lebensmitte ein Stück weiterlebenden Ruhms. Ihr Name ist Greta Garbo.

DAS SCHWEDISCHE LADENMÄDCHEN kam vor mehr als 30 Jahren vor die Kamera. Seither wohnt sie im Weltruhm, wie er keiner anderen Frau zuteil wurde, Helena miteingerechnet. Sie hat dem Film eine Poesie auf die Silberschicht gegeben, wie sie sonst, auf seine Art, nur Charly Chaplin herstellen konnte.

Mit der Garbo und Chaplin traten zwei Persönlichkeiten ins Bild, die auf der Bühne undenkbar gewesen wären. Er wirkte nur mit der Maske, sie wirkte an sich. Das ist in der Filmgeschichte ein einmaliges Phänomen. Die Garbo war kein Star, sondern belebte die Rollen von innen her, erfüllte sie mit dem unerklärlichen Zauber ihres Wesens, ihrer Schönheit, die die äußere Leuchtkraft der inneren Integrität war, die Genie des Herzens heißt. Sie war der Protest auf die Wogen des Sex-Appeals (ja, das ist die richtige Formulierung), die damals an die Ufer der Alten Welt schlugen. Wege und Umwege, sind die großen Filmmanager und Kameraleute gegangen, bis sie auf die Goldader Sex- Appeal gestoßen sind. Bis sie jene Mischung aus heiß und kalt, aus Unschuld und Verworfenheit, Keuschheit und gelassener Präsentation des Körpers herausgearbeitet hatten, die auf das Durchschnittspublikum der Welt so unwiderstehlich wirkt. Damals waren die „It-Girls” im Zenit und die blassen Süßholzjünglinge: Mae West, Clara Bow, Rudolf Valentino. Da kam die Garbo — und spielte sie an die Wand.

„DIE GÖTTLICHE GARBO” - ein Protest gegen den Sex-Appeal? Das klingt grotesk und ist doch so gewesen, ein schmerzlicher und passiver Protest. Ihre Wirkung auf die Menschen war, im Gegensatz zu den meisten Filmmädchen, „reinigender, moralischer Natur”. Wer sie sah, wurde besser. Sie wurde zum Traumbild ihrer Epoche. Mit ihrer einmaligen Erscheinung hatte sie die heimlichen Wünsche der Menschheit jener Tage erfüllt. Auch wenn sie krasse Kolportage spielen mußte, hatte sie „die Ausstrahlung einer leidenden Heiligen”. Noch heute seufzen die Leute bei der Wiederaufführung ihrer Filme. 27 Filme haben ihre Erscheinung aufs Zelluloid gebannt, aber darüber hinaus ist das Unwägbare ihres Wesens nicht erfaßbar. Der schwer erklärbare persönliche Zauber, der jung das Mädchen schon umgeben hatte, das 19jährig nach Hollywood kam, begann sich auf der Höhe des Lebens voll zu entfalten. Wenn man zeitgenössische Berichte liest, aber auch, wenn man Menschen spricht, die sie kannten, sie gesehen haben, vorurteilslose Skeptiker, so erhält man stets die gleiche Antwort: sie sei eine der schönsten Frauen gewesen, die je gelebt haben. Immer wieder ist es das Auge in dem feinen Gesicht von ruhiger Sinnlichkeit, das man rühmt. Das wundervolle Auge, so menschlich wohltuend, seelenvoll und intelligent, mit dessen Blick sie ihre Gespräche in lebhafter Weise unterstützte. Ein beunruhigendes Auge, Enthüller einer sich schwer offenbarenden Seele.

Wir haben eine interessante Beschreibung des sicher unverdächtigen Klaus Mann aus den zwanziger Jahren. Mit Freunden saß er spätabends in Hollywood auf der Terrasse der Villa Emil Jannings’ beim Whisky: „ ... Plötzlich war sie da — eine atemberaubende Erscheinung — die sich durch die duftende Dunkelheit des Gartens stolzen und schleppenden Schrittes auf uns zubewegte. Sie war barhäuptig und trug einen offenen Regenmantel, dazu Sandalen ohne Absätze. ,Ich bin ja so furchtbar müde1, rief sie uns, statt eines Grußes, mit tiefem Klageton zu — den Vokal in ,müde’ melodisch dehnend —, wobei sie sich auch schon in einen Sessel warf. Abgewendeten Hauptes verlangte sie einen Schnaps: .Aber einen großen, Emil, einen doppelten.’

Ihr nobles Antlitz unter der Löwenmähne war von verblüffender Schönheit. Sie hatte die Marmorstirn einer trauernden Göttin und weite Augen voll goldener Dunkelheit. Sie benützte keine Schminke, nicht einmal Lippenrouge, weshalb denn auch ihr Mund sehr blaß erschien, ein blasser, großer, trotziger Mund von unvergleichlicher Zeichnung in einem blassen, groß und kühn modellierten, trotzig-schwermütigen Antlitz. Ihre tiefe, grollende Stimme schien beladen mit Geheimnis, ob sie nun übers Wetter sprach oder über den Film, in dem Sie eben beschäftigt war. Mit grollender Pythiastimme forderte sie einen zweiten Whisky und erklärte dann, zur allgemeinen Ueberraschung, daß sie nun tanzen wolle. Sie tanzte einen Tango mit der Tochter des Hauses, kräftig ausschreitend, in etwas steifer Haltung, das weiße Gesicht mit gesenkten Lidern ziemlich weit von der Partnerin entfernt. Nach dem Tanz ließ sie uns mit sonorem Jammerlaut wissen, daß sie sich nun entschieden besser fühle. ,Ich danke euch allen’, sprach sie nicht ohne Feierlichkeit. ,Ich habe getanzt und getrunken. Thank you ever so much!’ Und sie verschwand im düfteschweren Dunkel der kalifornischen Nacht, aus der sie — atemberaubende Erseheinung — stolzen und schleppenden Schrittes zu uns gekommen war.”

KEIN SKANDAL, KEIN GEWAGTER AUSSCHNITT, keine hirnvernebelnde Oberweite, kein Spiel mit schönen Beinen hatte ihren Weltruhm begründet. Sie machte sich mit niemandem gemein, auch mit besten Freunden nicht, ließ in die Vertrautheit immer einen Streiken1 Kälte einströmen. Sie gab nie Interviews. Das wurde als Reklametrick gewertet, ist es indes nicht. Die Biographien über sie ähneln alle einander in einem Punkt: Ueber ihr Privatleben ist so gut wie nichts bekannt. Ihr schrulliges Verhalten hat Beweggründe, die tief liegen, denn sie hat alle Qualen der modernen „Publicity” ausgekostet. Ihr Seufzer: „Ich will allein sein. Laßt mich bitte allein”, blieb ungehört. Der Klatsch erschöpfte sich schnell, es ist, als ob sich die Welt in dieser Zeit hemmungsloser Neugierde zu einem Bündnis der Diskretion zusammengeschlossen hätte, um auf diese Weise ihr Ideal zu hüten.

WÄHREND DER ARBEIT war sie unerbittlich streng. Arbeit war ihr Beruf. Starlaunen kannte sie nicht.

Aber lassen wir die Leute vom Bau reden. William Daniels, Kameramann aller in Hollywood gedrehten Garbo-Filme, sagte, sie sei die schönste Schauspielerin, die er je photographiert habe. „Ideale Augen für Großaufnahmen, eine herrlich profilierte Figur für Fernaufnahmen, dazu ein Gang, so anmutig und reizvoll, wie der eines edlen Tieres.” James W. Howe, ein anderer Kameramann, wußte zu berichten: „Sobald die Kamera zu laufen begann, fing sie an zu leben. Man konnte Zusehen, wie ihre Persönlichkeit herauskam, ihre Stimmung sich wandelte, wie sie schöner wurde.” Harry Evans, ein abgebrühter Zeitungshase, schrieb: „Ihre Stimme hat den Klang eines gedämpften Cellos; wenn sie spricht, so spiegeln sich ihre Worte in den Augen wider. Und hört sie zu, so strahlen ihre Augen ihre Gedanken zurück. Wenn sie ihre langen, weit geschwungenen Wimpern senkt, ist es, als ginge ein Vorhang zu.”

ZUM ABSCHLUSS sei vermerkt, was in solcher Darstellung gewöhnlich am Anfang steht (und sie so ledern macht). Als Greta Lovisa Gustafsson kam sie zur Welt. Auch das Geburtsjahr bleibt umstritten. Die Geburtsurkunde ist in Stockholm an einem 18. September ausgestellt. Der Brockhaus schwört aufs Jahr 1903, das „Lexikon der Frau” auf 1906, Erwin Weill auf 1908. Die praktischen Amerikaner einigten sich auf Oktober 1905. Ueber den Vater weiß man wenig. Er soll Seemann, nach anderer Version Maurer gewesen sein. In einer Baracke wurde sie geboren, wuchs in dürftigen Verhältnissen auf. Ihre übertriebene Sparsamkeit verrät es heute noch. Sie waren ihrer drei gewesen. Greta pflegte den kränkelnden Vater, der 1920 starb. Dann wird sie Helferin in einem Frisiersalon, schlägt Rasierschaum, rückt den Kunden den Stuhl zurecht. Nach einem halben Jahr wechselt sie zur Verkäuferin in einem Warenhaus über. Nachdem sie für einige Werbefilme entdeckt worden war und am Schauspielhaus künstlerisch tätig war, wird sie von dem bekannten Regisseur Mauritz Stiller für seinen Film „Gösta Berling” engagiert. Dann dreht sie unter G. W. Pabst den berühmten Streifen „Die freudlose Gasse”. 1925 wird sie durch Louis B. Mayer mit Stiller zusammen nach Hollywood geholt. Stiller, von dem man sagt, er sei der einzige Mann gewesen, den sie geliebt habe, zerstreitet sich aber mit Hollywood, kehrt nach Schweden zurück und stirbt 1928. Sein Protege blieb an der kalifornischen Küste zurück — allein mit ihrer erstaunlichen Schönheit und mit ihrem künftigen Ruhm.

SCHON MEHR ALS ZWANZIGMAL hieß es, die Garbo werde wieder auftreten, und immer wieder erschien ein Dementi. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie wieder eine Rolle, die sie angenommen hat, im letzten Augenblick zurückgegeben, wie sie es vor zehn Jahren mit der Rolle der „George Sand”, das Jahr darauf mit der „Herzogin von Langeais” getan hatte. 1951 hatte sie versprochen, eine Aebtissin in dem Film „Das Mirakel” zu spielen. Aber als der Regisseur des Films, Irving Rapers, in ihr Haus in Manhattah kam, versuchte er mehr als eine Stunde lang vergeblich„ ihr die Einhaltung des Versprechens abzuringen. Alle Worte glitten an ihr ab. Sie tat’s mit jenem wesenlosen, stumpfen Blick, den ihre Freunde seit langem an ihr kennen und fürchten, mit jenem dumpfen Gemurmel: „Ich habe Angst, nein, ich kann nicht, ich habe Angst!” mit dem sie seit Jahren alles zu erklären sucht, was als unüberwindliche Schwierigkeit vor ihr aufsteht.

„Sie ist ein toter Stern, wir werden sie nie wieder sehen”, sagte Rapers später, selber erschüttert von diesem Drama, das Greta Garbo heißt.

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