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Ansprache auf einen Maler

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Der Mann, den zu würdigen, zu feiern und zu danken wir, seine nächsten Freunde, uns hier versammelt haben, verbreitet in jedem von uns, sobald wir seiner auch nur ansichtig werden, Heiterkeit und ein Frohbefinden der Seele. Es wird hell in unserem Gemüt, wenn wir seiner aus der Entfernung gedenken. Aufgeregtes beruhigt sich, wir finden zur Gelassenheit, selbst der sprichwörtlich böse Nachbar, den es ja nicht nur in der Literatur gibt, erscheint uns plötzlich erträglicher. Mit einem Wort, die dumpfe und lastende Welt, die uns zuweilen bedrängt, verwandelt sich ins Leichte und Heile, tritt er, Schulz Josef, wie er sich am Telephon gemeiniglich zu erkennen gibt, uns vor Augen oder auch nur ins Gedächtnis. Die Ausstrahlung verspüren wir, woher sie kommt, wie sie geworden ist, wissen wir nicht. Wir können darüber nur Vermutungen anstellen. Unser Jubilar ist Maler, ein Künstm Rang. Hängt die Verzauberung, die wir in seiner Nähe oder im Gedenken an ihn erfahren, damit zusammen? Zum Teil wohl, aber gewiß nicht ausschließlich. Wir alle kennen Männer, die seiner Zunft zugehören und die, zumindest in ihrer handwerklichen Formungskraft und technischen Perfektion, von gleichem Rang sind, aber wir werden von ihnen, in ihre Nähe gestellt, nicht das gleiche wärmende Licht empfangen. Das ist ohne jedwede Geringschätzung gemeint und ausgesprochen. Es kann der Mensch im Verlauf seiner Entwicklung sich bilden bis zur Würde des Alterns, er mag das Seine redlich tun und es hingeben zum Nutzen des Allgemeinen, er wird aber am Ende seiner Tage doch nicht mehr vorzeigen können, als was ihm für die Grundbeschaffenheit seines Charakters in die Wiege gelegt worden ist. Dies alles bedenkend und unsere ganze Erfahrung zusammennehmend, greifen wir gewiß nicht zu hoch, wenn wir, um Wesen und Charakter des Schulz Josef einigermaßen habhaft zu werden und so gerecht wie möglich zu kennzeichnen, ganz einfach und ungezwungen von Gnade sprechen, von der Gunst der Götter, die ihm in dem Augenblick zugelächelt haben mußte, als man ihn ins Licht der Welt gehoben.

Solche Gunst zielt auf den Menschen, sie kann niemals die Verhältnisse meinen, in die er hineingeboren wird. Sie drückt sich in der Souveränität aus, mit welcher der einzelne sich in vorgefundenen Verhältnissen zu behaupten und in entscheidenden Phasen von ihnen zu lösen weiß. Der Schulz Josef hatte eine harte Kindheit auszugehen. Die Krankheit der geliebten Mutter legte eine Last auf den Knaben, die kaum von einem Erwachsenen zu tragen war, und der Unverstand der Lehrer erschwerte sie noch; das Studentlein des Gymnasiums ist zur gleichen Zeit ein ebenso schmucker Page im Hotelfach, aber nicht aus ökonomischen Gründen der Eitelkeit, sondern weil es überhaupt keine Ökonomie gegeben hat; der junge Leutnant der Kaiserschützen muß im ersten Weltkrieg erfahren, wie Willkür und Zufall hoffnungsvolle Menschenleben zu Ende bringen, aber er erlebt in diesem Kriege auch eine noch vorhandene Ritterlichkeit zwischen Gegnern; er wird schwer verwundet, die Ausheilung in Lazarett und Heilanstalt braucht kostbare Zeit; der Maler in ihm hat sich während dieser Jahre längst angemeldet, bevor er jedoch sich der Ausbildung überlassen und dem schöpferischen Drang nachgeben kann, muß er für einige Zeit aufs Salzburger Land, um dort, in Dorfschulen, als Lehrer zu wirken; der Umgang mit den Kindern gibt Trost, und was ihm aus der Stadt zugeschickt wird, heißt „Die Fackel“ des Karl Kraus und „Der Brenner“, die Zeitschrift des hochverehrten älteren Freundes Ludwig Ficker, dessen Name sofort aufglänzt, wann und wo immer Georg Trakl angerufen wird, und der mit Dallago, Haecker und Ebner nicht nachließ in der Bemühung, eine neue Ethik als haltbare Basis zwischenmenschlicher Beziehungen aufzustellen. Die Freundschaft mit diesem hervorragenden und zugleich bescheidenen Mann wird alle Wechselfälle kommenden Daseins überstehen und dauern; wir sehen dann den Schulz Josef, anerkannt inzwischen als Maler, in Gemeinschaft mit gleichgesinnten und gleichstrebenden Künstlern in Wien und Berlin;

stand und Mut, philosophischer Gelassenheit und niemals aussetzendem Humor er jene Jahre durchgestanden hat, in denen der Name Österreich von der- Tafel der Geschichte für immer gelöscht schien; und alle, die ihn kannten, erinnern sich dankbar der schwungvollen Aktivität, mit der er auf dem geistigen und materiellen Trümmerfeld, die Hinterlassenschaft jenes Interregnums, kulturelle Voraussetzungen wieder aufleben ließ, damit die Stadt Salzburg ihren festbegründeten Ruf auf diesem Gebiet zurückgewinne. Als auch hier das Werk seinen Meister lobte, trat er still, bescheiden, ohne Aufhebens wieder ein in das geliebte Atelier in der Haunspergstraße, um dort, zeichnend und malend, im Bild festzuhalten, was ihn auf Fahrten durch das Land vor Augen kam oder ihn als Erinnerung oder Vision mächtig bewegte.

Es war den Wirklichkeiten seiner Zeit stets nahe. Er hat sie mit seinem malerischen Werk durchdrungen und erhellt. Im Bild ist nicht nur die jeweilige Gegenwart des Malers enthalten, es offenbart ebenso Zukünftiges und bewahrt auch Erinnerungen auf. Schöpferische Souveränität erweist sich, wenn das Bild imstande ist, den Zeitbegriff, der das normale Dasein regelt, unbekümmert um Logik und Grammatik, aufzuheben. „Die drei Jahrhunderte“, sagte einmal Benno Reifenberg, „seit Rem-brandt erschienen ist, trennen uns nicht mehr von ihm als seien es drei Stunden ...“. Hier wird der grundlegende Unterschied zwischen Kunst und bloßen Kunststücken deutlich. Der Schulz Josef hat zeitlebens an der ersteren festgehalten. So möchte ich ihn denn zu diesem Tag mit dem immergrünen Zuruf des alten Goethe grüßen und ihm danken: „Wiedermorgen — Immermorgen!“

FRANZ TAUCHER ist Preisträger der Stadt Wien für Publizistik 1969

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