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Ein Meister der Erinnerung

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Er wird dieser Tage 70, hat aber nichts von seiner Dynamik verloren: Wladyslaw Barto-szewski, der Schnelldenker, hat die Antwort oft schon parat, ehe die Frage ganz ausgesprochen wurde. Seit 1990 ist er Botschafter Polens in Österreich, und auch in dieser Funktion fühlt er sich der Dreiheit verpflichtet, die sein Leben bestimmt: Erinnern, Schreiben, Sprechen.

„Unbeugsam friedlich" ist der leidenschaftliche Christ Barto-szewski immer in Konflikt mit den Mächtigen geraten, wenn ihn sein Gewissen dazu drängte: Als 18jähriger kam er ins Konzentrationslager Auschwitz; er nahm als Oberleutnant der Heimatarmee am Warschauer Aufstand teil, er war einer der Organisatoren eines Hilfskomitees zur Rettung der Juden - und er, der Widerstandskämpfer, wurde 1946 auf sechs Jahre in ein stalinistisches Gefängnis gesteckt.

Als Historiker schreibt er gegen das Vergessen an, als Publizist kämpft er gegen das, was er für Hauptsünden hält: Gleichgültigkeit und Opportunismus.

Es sind scheinbar einfache Wahrheiten, die Wladyslaw Bartoszewski vertritt. Zum Beispiel, daß es ohne Freiheit keinen Frieden gibt. Doch sollte man, so fordert er, den Frieden nicht mit bequemer Ruhe verwechseln. Die Ruhe, die man sich mit Passivität erkauft hat, dauere nämlich nicht lange. Für ihn gibt es kein Leben um jeden Preis, weil er die Opfer zu ernst nimmt, die für das Leben in Freiheit gebracht worden sind.

Die Erfahrung seines Lebens hat Bartoszewski in ein Talmud-Wort gekleidet: „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt."

„Es lohnt sich, anständig zu sein", ist der Untertitel einer Aufsatzsammlung, die unter dem Titel „Herbst der Hoffnungen" herauskam. Auch das eine Erfahrung, die auf einer anderen basiert. Bartoszewski hat keine Scheu, sie klar und direkt auszusprechen: „Die Liebe ist stärker als die Kraft des Bösen."

Der Pole Bartoszewski ist ein überzeugter Europäer und weiß um die gemeinsame Hierarchie und Harmonie von Werten. Stockholm liege da näher bei Athen als Wilna bei Leningrad, auch wenn es geographisch nicht so scheine, meinte er einmal.

Ein Gejagter, der nicht zum Jäger geworden sei - so wurde Wladyslaw Bartoszewski 1986 charakterisiert, als er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Vielleicht sollten wir an der Schwelle zum europäischen Binnenmarkt ein Wort Bartoszewskis besonders ernst nehmen, nämlich, daß es nicht nur eine europäische Gemeinschaft, sondern auch eine europäische Gemeinsamkeit gibt.

Diese Gemeinsamkeit im Historischen und Geistigen wach zu halten, wäre angesichts der zerstörerischen Chauvinismen eine wichtige Aufgabe.

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