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Um übertriebene Erwartungen, die manche an Rumäniens eigenwilligen Kurs knüpfen, die Spitze abzubrechen, hätte es nicht erst eines Dementis in Bukarest und einer zweiten Rede Ceausescus in Jassy bedurft. Für Rumänen wie auch für Franzosen galt stets die Binsenweisheit: Wer Bündnisse reformieren, umbauen, ja lockern will, kehrt ihnen nicht den Rücken. Schon deshalb gab es außer der Rede Ceausescus vom 7. Mai — die kühn genug war — kein spektakuläres „Memorandum“ der Rumänen, das etwa an den Warschauer Pakt als solchen gerührt hätte. Schließlich hat ja auch de Gaulle — was manchmal vergessen wird — seine Beistandsverpflichtungen, die sich aus dem Atlantischen Bündnis und, schärfer noch formuliert, aus der Westeuropäischen Union (WEU) ergeben, nie in Frage gestellt.

So riskant de Gaulles ostpolitische Taktik ist, die durch Revision des eigenen Bündnissystems das gegnerische aufzulockern sucht — sie hat bereits unübersehbare Bewegungen im Osten ausgelöst. Die Reisen Außenminister Couve de Murvilles in die osteuropäischen Hauptstädte haben dort Tendenzen sichtbar wer

den lassen, die sich nur aus Antworten auf diese französische Politik verstehen lassen.

Schon in Sofia hatte der bulgarische Außenminister Baschew nicht gezögert, seinem französischen Gast „ernsthafte Reformen in der Organisation des Warschauer Paktes“ in Aussicht zu stellen, falls solches in der NATO geschähe. In Bukarest folgte die sensationelle Rede Ceausescus dem Besuch Couve de Murvilles ; sein rumänischer Kollege Manescu fuhr alsbald nach Prag und Budapest, um die stets vorsichtigen Tschechoslowaken und die Ungarn für die rumänischen Ideen zu gewinnen. Aber auch Moskau, das sich auf den Besuch de Gaulles vorbereitet, benutzte seine Antwort auf die Bonner Friedensnote, um zu erkennen zu geben, daß es einer „Auflösung der Militärblocks“ und der „Beseitigung der ausländischen Militärstützpunkte auf fremden Territorien“ grundsätzlich nicht abgeneigt ist — wenn es die Blöcke auch nicht, wie Ceausescu, schon jetzt für einen „Anachronismus“ hält.

Moskau scheint sich allmählich an die Vorstellung zu gewöhnen, daß man Vorteile, die de Gaulles Politik bietet, nicht einheimsen kann, ohne

gewisse Entwicklungen im eigenen Lager in Kauf zu nehmen. Erleichtert wird diese Einsicht freilich durch die — bis jetzt noch — ziemlich sichere Barriere, die der Beweglichkeit auf beiden Seiten Grenzen setzt: die deutsche Frage. Am deutlichsten ist dies spürbar in Polen, das außer der DDR Moskaus engster Verbündeter auch deshalb ist, weil es anders seine territoriale Sicherheit gefährdet sähe.

Doch selbst in Warschau ist dem französischen Außenminister letzte Woche lebhaftes Interesse für die Europapolitik de Gaulles begegnet. Mit offiziellen Äußerungen gingen beide Seiten zwar sparsam um; Couve de Murville deutete — unwidersprochen — „neue Bedingungen“ an, unter denen die deutsche Frage „für alle Seiten annehmbar“ gelöst werden könnte. Eine „Anerkennung“ der DDR gehört für Paris gewiß nicht zu diesen „Bedingungen“, doch de Gaulles Außenminister gab den Polen zu verstehen, daß ein europäisches Sicherheitssystem, das die militärische und politische Konfrontation der bisherigen Blöcke allmählich ablösen würde, „ganz Deutschland“ — in seiner gegenwärtigen Gestalt — einschlösse und so auch die starre, für Deutschlands Nachbarn beunruhigende Frontstellung an der Elbe entschärfen würde.

Bisher stand besonders Polen diesen französischen Vorstellungen eher skeptisch gegenüber. Gomulka hatte kurz vor dem Besuch Couves in Warschau seinen engsten Mitarbeiter Zenon Kliszko nach Paris geschickt, um sich bei de Gaulle noch einmal zu versichern, ob dessen „Europa“ auch wirklich nicht nur bis zum Bug, sondern bis zum Ural reiche — also Polen nicht in einen Gegensatz zur Sowjetunion bringe — was Gomulkas Alptraum ist. Einig war man sich in den polnisch-französischen Gesprächen darüber, daß „ohne dauerhafte Regelung der deutschen Frage von einer wirklichen und dauerhaften Entspannung in Europa keine Rede sein kann"; so formulierte es die katholische Wochenzeitung „Tygodnik Pows- zechny“. Anderseits waren sich auch beide Seiten einig, daß eine Vereinigung des geteilten Deutschland „nur unter den Bedingungen der Entspannung, der Abrüstung und der kollektiven Sicherheit in Europa vor sich gehen kann“; so hatte Außenminister Rapacki kurz zuvor in einer Rede in Breslau das Problem gestellt. Zwischen diesen beiden Nuancen, die keine Alternative bedeuten, sondern gleich schlüssig sind, liegt das weite Feld der politischen Praxis — in der sich Paris mit seinen östlichen Gesprächspartnern nicht einigen konnte

Wie sehr es der französischen Politik freilich gelingt, selbst den härtesten Boden aufzulockern, zeigt das polnische Beispiel. Minister Rapacki benutzte seine alte, seit Jahren verschwundene Formulierung von der „Überwindung der Teilung Europas“ wieder, er stellte die Teilung in Militärblocks als eine — durch NATO und Bonn — „erzwungene Notwendigkeit“ dar, und er kündigte für den Fall von Strukturänderungen in der NATO „entsprechende Schlüsse“ an. Sogar in seiner scharfen Polemik gegen Bonn stellte Rapacki die — in den letzten Monaten manchmal verwischten — Proportionen wieder her. Mit einer Anspielung auf Erzbischof Komineks Mahnung in Tschenstochau sagte Rapacki: „Man braucht uns keine Predigten über,engen Nationalismus“ halten. Wir wissen, wem wir niemals verzeihen dürfen, wer dagegen die Schuld der Passivität in den Kriegsjahren nur durch Aktivität für den Frieden abtragen kann und wer schließlich eine Verzeihung überhaupt nicht braucht “

1 Vgl. Die Titoisten von Bukarest, „Die Furche“ Nr. 22 28. Mai 1966.

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