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Österreich ist der große Gewinner offener Wirtschaftsgrenzen, lehnt aber den neuen Schengen-Raum ab. Die Regierungen dieses Landes haben viel dazu beigetragen.

Als Außenminister Alois Mock mit seinem Kollegen Gyula Horn am 27. Juni 1989 den Stacheldraht an der österreichisch-ungarischen Grenze durchschnitt, war er ein Held: Er hatte zum Sturz des Kommunismus mit dessen menschenrechtswidrigen Reisebeschränkungen beigetragen. 18 Jahre später, am 21. Dezember 2007, standen EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und der ungarische EU-Steuerkommissar László Kovács an derselben Stelle in St. Margarethen/Fertörákos, um den krönenden Abschluss dessen zu feiern, was damals begonnen hatte - das Ende der Grenzen -, aber es blieb eine Feier politischer Funktionäre, zumindest in Österreich; und beim Zusammentreffen Alfred Gusenbauers mit seinem slowakischen Kollegen Robert Fico am österreichisch-slowakischen Grenzübergang Berg war es nicht anders. Das Unglaubliche ist passiert: Zwischen 22 EU-Staaten sowie Norwegen und Island herrscht grenzenlose Reisefreiheit für fast 400 Millionen Einwohner von Portugal bis zu den baltischen Staaten; doch in Österreich lehnen 58 Prozent die Schengen-Erweiterung ab; und mehr als ein Viertel der Bevölkerung würde am liebsten aus der EU austreten.

Ziemlich sicher haben diese Menschen die kommunistischen Grenzkontrollen nie erlebt, und wahrscheinlich haben sie auch heute noch keine engen Freunde oder Verwandten in den neuen Schengen-Staaten, sonst wüssten sie, was ihnen die offenen Grenzen bedeuten und würden sich freuen, selbst möglichst oft ungehindert dorthin fahren zu können. Was aber gänzlich unverständlich ist: Von Budapest bis Bukarest dominieren österreichische Firmenschilder und Banken-Logos, und alle Statistiken weisen Österreich als großen Gewinner der EU-Osterweiterung aus, aber im Land überwiegt die Angst vor offenen Grenzen. Wahrscheinlich spuken Vorurteile à la "Heute gestohlen, morgen in Polen" noch immer in den Gehirnen herum, weil man ja auch nicht realisiert, dass Schengen viel bessere Möglichkeiten bietet, Kriminalität grenzüberschreitend zu verfolgen.

Da wäre natürlich die Regierung am Zug. Dass Schwarz-Blau hier nicht sehr aktiv war und im "Gedankenjahr" 2005 den 10. Jahrestag des EU-Beitritts ziemlich unter den Tisch fallen ließ, ist erklärbar, wo doch mit FPÖ bzw. BZÖ eine Anti-EU-Partei in der Regierung saß. Aber dass die Große Koalition nicht entschiedener an das historische Verdienst der Regierung Vranitzky/Busek anschließt, ist grotesk. Die EU-Sonntagsreden wirken immer ein bisschen bemüht, und die konkrete Politik spricht eine andere Sprache: So hat gegen Jahresende Wirtschaftsminister Bartenstein bestätigt, dass die Grenzen für gering qualifizierte Arbeiter bis zum letztmöglichen Zeitpunkt, bis Ende April 2011, dicht bleiben sollen. In den letzten Jahren wurden Asyl- und Aufenthaltsrecht ebenso wie die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft kontinuierlich erschwert - wie soll da gleichzeitig Freude über offene Grenzen im Schengen-Raum aufkommen? Wie soll ein Innenminister, der seinen sozialdemokratischen Vorgängern Franz Löschnak und Karl Schlögl zum Verwechseln ähnlich ist und der unmenschlichen Abschiebepraxis gegen Nicht-EU-Ausländer täglich so authentisch ein Gesicht verleiht, Freude über den grenzenlosen Schengen-Raum verbreiten?

Und Kanzler Gusenbauer? Wäre doch wenigstens auf seine Pro-EU-Rhetorik so viel Verlass wie auf die tägliche Anti-Schengen-Hetze der Krone. Aber dazu müsste er zuerst einmal die EU-Zustimmung in seiner eigenen Partei heben - die liegt nämlich mit 69 Prozent deutlich hinter der ÖVP (80 Prozent) und den Grünen (91 Prozent). Immerhin kündigt der Kanzler eine Info-Kampagne zum EU-Reformvertrag an. Höchste Zeit, denn 39 Prozent haben angegeben, darüber noch nie etwas gelesen oder gehört zu haben. Die Beseitigung der Grenzkontrollen betrifft die Menschen allerdings direkter - warum gab es da keine Kampagne?

Doch man soll sich ja nicht in schlechter österreichischer Tradition alles von der Regierung erwarten. 2008 ist ein gutes Jahr, um hinzufahren zu den Nachbarn, ihren faszinierenden Städten, unbekannten Landschaften und kulturellen Traditionen. Noch 1989 hätte niemand von dieser Reisefreiheit zu träumen gewagt.

cornelius.hell@furche.at

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