Nizza soll die Nebel lichten

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Die Zukunft der Europäischen Union liegt im dichten Nebel", kommentierte der vormalige österreichische EU-Botschafter Manfred Scheich die augenblickliche Situation der Union. Hinzu komme noch, dass gerade diese Tatsache von europäischen Spitzenpolitikern in hohem Maße vernebelt werde, dramatisierte der Diplomat die Lage. Niemand vom hochkarätig besetzten Podium, niemand aus dem zahlreich erschienenen Publikum widersprach dem EU-Haudegen. So blieb Scheichs Bild als prägender Eindruck von einer Diskussionsveranstaltung zur Krise oder Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union zurück.

Und kommt wieder in Erinnerung, als sich bei einer Fahrt durch das spätherbstliche Burgenland dichter Nebel über das Land legt. Wahlplakate tauchen schemenhaft am Fahrbahnrand auf. "Ziel 1-Gebiet" und "Osterweiterung-Volksbefragung" ist beim Näherkommen auf rotem beziehungsweise blauem Hintergrund zu lesen. Die EU ist eben oder gerade auch im burgenländischen Landtagswahlkampf das Thema. Mehr als der Bank-Burgenland-Skandal. Beides liegt jedoch im dichten Nebel und viele tragen ihr Scherflein dazu bei, die Dinge noch weiter zu verschleiern.

Oberwart, Hauptplatz, Wochenmarkt: Ein für den Wahlkampf umgebauter Lastwagen beherrscht die Szene. FPÖ-Plakate an den Wagenwänden versprechen: "Ohne Euch geht gar nichts." Eine breite Stiege lädt zum Besuch auf der Ladefläche ein, und aus dem Lautsprecher dröhnt die Versicherung, dass die burgenländischen Freiheitlichen das Land vor der Osterweiterung schützen werden. Der Lastwagencontainer spricht diesbezüglich zugegebenermaßen schon eine eindeutige Sprache: Wir drinnen - die anderen draußen, dazwischen eine Metallwand, und im Notfall könnte ja noch die Laderampe hochgefahren werden.

Angstmache? "Blödsinn", entgegnet ein freiheitlicher Wahlkampfhelfer. "Was glauben's, was uns Autos gestohlen werden." Der Parteiaktivist wohnt an der Grenze. Er versichert zu wissen, wovon er spricht. Solange Ungarn die Grenze zu Rumänien nicht dicht mache, gehe bei der Erweiterung überhaupt nichts. "Sonst werden wir überschwemmt!" Der Mann sammelt Unterschriften zur Einleitung einer Volksbefragung über die Erweiterung. Der Erfolg seiner Arbeit hält sich an diesem Vormittag in Oberwart in Grenzen. Die meisten Passanten winken schon von weitem ab. Einige greifen nach dem hingehaltenen Kugelschreiber und gehen weiter ohne zu unterschrieben. "Wahlgeschenk", murmelt der Unterschriftensammler und lächelt ein wenig verlegen. Von Tag zu Tag gehe das Sammeln besser, versichert er. Schade, dass der Wahlkampf so kurz ist, die Wahl schon am 3. Dezember stattfindet. Wieviele er schon für eine Unterschrift gewinnen konnte, will der Freiheitliche nicht sagen. In die kalte Luft nebelt sein Hauch, wenn er spricht, wenn er den Passanten erklärt, dass ohne sie gar nichts gehe.

Auch im Lastwagencontainer nebelt es: Glühwein und Punsch werden ausgeschenkt, dazu gibt's Jourgebäck. Austrinken, fertigkauen, hinunterschlucken - dann erst kann ein älteres Ehepaar auf die Frage nach ihren Befürchtungen über die EU-Erweiterung antworten: "Wenn die Ungarn dabei sind, dann müssen die ihre Grenzen sichern. Das kommt uns dann um vieles billiger", analysiert der Mann und seine Frau nickt. Die Überraschung über diese Antwort an diesem Ort bringt das Gespräch ins Stocken. Im Epizentrum der burgenländischen Anti-Erweiterungskampagne zählt das Gegenüber nur Vorteile der Erweiterung auf. Dem Einwand, dass die FPÖ massiv dagegen eintritt, lassen beide Gefragte nicht gelten: "Sie dürfen nicht alles glauben, was die Politiker immer sagen. Die tun einmal so, einmal anders." Das sitzt, und ein herzhafter Biss ins Jourgebäck unterstreicht es noch.

Ein anderer Gast auf der Ladefläche ist überhaupt gegen die EU. Zur Erweiterung im Speziellen fällt im nichts ein. Sein Visavis hinter der Bar springt ein: "Wer nicht um 8.000 Schilling im Monat arbeiten will, kann dann gleich gehen. Über der Grenze warten's schon. Die machen die Arbeit um dieses Geld auch. Und was bleibt dann für uns?" Die nächsten fünf Jahre gehe mit Sicherheit gar nichts, dann könne man weiterreden, meint er. "Anständige Menschen wählen anständige Politiker", meldet sich wieder der Lautsprecher zu Wort.

"Politik soll Antworten geben, nicht Ängste schüren", meint auf der anderen Straßenseite die Spitzenkandidatin der burgenländischen Grünen, Grete Kojer. Die freiheitliche Kampagne schade dem Land, ist Kojer überzeugt. Seit über 80 Jahren trage das Burgenland die Last, Grenzregion zu sein. Die Erweiterung biete die Chance, sich von diesem Ballast zu befreien. Andrea Gottweis, VP-Kandidatin, steht nur wenige Meter von Kojer entfernt, und auch in ihrer Beurteilung der EU-Erweiterung liegen beide nicht weit auseinander. "Sicher wird es einige Verlierer der Erweiterung geben", gibt Gottweis zu. Für diese gelte es halt, die Risiken der Erweiterung abzufedern. Aber auch der ungarische Arbeitsmarkt biete Chancen, ist die Unternehmerin überzeugt.

Weniger eindeutig pro Erweiterung klingt es beim Stand der Sozialdemokraten. Nicht so laut Nein wie bei Blau, nicht so überzeugt Ja wie bei Grün und Schwarz. "Realistisch", heißt diese Einschätzung bei Rot. Aus den Tee-, Punsch-, und Glühweinkannen dampft auch hier der Nebel. Aber nur bis Mittag, dann kommt die Sonne durch und die Nebel - die kleinen und die großen - verziehen sich.

Ein Bild auch für die Europäische Union? Für die vielen großen und kleinen Nebel und Vernebler in der Unionspolitik? Heißt das, im richtigen, mit gutem Licht betrachtet, verzieht sich so manches angebliche Problem von selbst? Dann wäre das sonnige Nizza als Schauplatz für die nächste, entscheidende Etappe im europäischen Integrationsprozess gut gewählt. Nizza soll die EU darauf einstellen, dass die Union mit der Erweiterung ein numerisch und qualitativ neues politisches Wesen wird. Kein Platz jedenfalls für Nebel und Vernebler, denn so Manfred Scheich: "Gerade die Kleinen brauchen funktionierende Institutionen. Sonst verlagert sich Politik in die Korridore der Macht - und dort gehen die Kleinen nicht spazieren."

Zum Dossier Am 7. Dezember beginnt der EU-Gipfel von Nizza. Fit für die Erweiterung soll die Union dabei gemacht werden. Im furche-Dossier werden die zentralen Punkte von Nizza vorgestellt und debattiert. Die aktuelle Erweiterungs-Angstmache in Österreich und EU-Erwartungen in Ungarn sind weitere Themen.

Redaktionelle Gestaltung: Wolfgang Machreich EU-REgierungskonferenz

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